Die unerträgliche Leichtigkeit des Steins

Wenn Physiker ditschen

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Es ist immer wieder nett, wenn sich Naturwissenschaftler seltsamer Geschichten oder Alltagsphänomene annehmen, um ihnen wissenschaftlich auf die Spur zu kommen. Dazu gehört die Frage, warum im Müsli immer die dicksten Nüsse nach oben wandern (vgl. Dicke Nüsse liegen obenauf), oder warum der Frühstückstoast meist mit der fettigen Seite auf dem Boden landet, um dort nach den Regeln von Murphy's Law kleben zu bleiben (vgl. Buttertoast und Murphy's Law).

Videostill vom Weltrekord im Steine Hüpfe am Blanco River, der ins Guiness-Buch der Rekorde aufgenommen wurde, Foto: North American Stone Skipping Association

Jetzt ist das Steinehüpfen dran, das im Deutschen auch Ditschen, Steinschnellen oder Klippen genannt wird. Ein Zeitvertreib von meist männlichen Personen jeder Altersgruppe, gerne auch in der Kombination Vater und Sohn ausgeübt. Ziel ist es, einen Kieselstein so zu schleudern, dass er möglichst oft auf dem Wasser springt, bevor er versinkt. Zu beobachten an jedem Fluss, See, Teich oder anderem Gewässer mit ruhiger Oberfläche und wenig Badenden. Das Spiel ist alt, über diesen Wettkampf hatte schon Homer geschrieben und später Shakespeare in der Originalfassung von Henry V.

Die beste praktische Anleitung für dieses Spielchen findet sich online im Forum eines Seniorentreffs:

1. Die Form des Steines muss ein flaches Ellipsoid sein .. also ein Körper, der durch eine gedrehte Ellipse im Raum entsteht. Sollte möglichst keine Ecken und Kanten haben. 2. Größe und Gewicht muss so gewählt werden, dass er gut in die Hand passt und der eigenen Wurfkraft entspricht. Wichtig ist die Geschwindigkeit beim Aufsetzen. 3. Die Wurftechnik: der Stein wird zwischen Daumen und Zeigefinger so gehalten, dass die Fingerbeeren die Schmalseite berühren. Der Stein erfährt beim Abwurf durch den Zeigefinger eine starken Drall um die ... Achse. 4. Standort: so tief wie möglich, am besten auf der Höhe der Wasseroberfläche (z.B. im Wasser stehend). 5. Flugbahn: in spitzem Winkel auf die Wasseroberfläche, der Winkel bestimmt die Weite des ersten Sprunges. 6. Stellung des rotierenden Steines: in der Flugrichtung leicht nach oben gekantet. 7. Die Wasseroberfläche sollte möglichst glatt und ohne Wellen oder Wirbel sein. Ein gelungener Wurf bringt den Stein ca. 15 - 20 mal zum Hüpfen ... am Ende der Bahn werden die Sprünge immer kürzer und gehen in ein Schlittern über.

Felix

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Aber das ist natürlich nur eine prosaische Beschreibung, wenn auch von einem wissenschaftlich geschulten Menschen.

Lydéric Bocquet, ein Physiker von der Claude-Bernard-Universität in Lyon veröffentlichte sein Paper im American Journal of Physics; "The physics of stone skipping", eine Betrachtung der Grundlagen und Bewegungsabläufe beim Steine hüpfen lassen. Frei verfügbar gibt es den Artikel auch beim arXiv.org e-Print archive. Bocquet hält seine Auseinandersetzung für besonders geeignet, um im Unterricht eingesetzt zu werden und legt sie deshalb speziell den Lehrern ans Herz.

Das Ziel des Ditschens ist es, den Stein möglichst häufig auf der Wasserfläche tanzen zu lassen und er untersucht die Faktoren, die dafür ausschlaggebend sind.

Unsere Intuition gibt uns einige empirische Regeln für den besten Wurf: die besten Steine sind flach und möglichst rund; man wirft sie sehr schnell und in einem kleinen Winkel zur Wasseroberfläche; man gibt dem Stein mit einem Finger einen kleinen Kick, um ihn in eine Drehbewegung zu versetzen,

schreibt er am Anfang seines Artikels zur grundsätzlichen Wurftaktik. Das theoretische Modell der Physik, das er entwirft, setzt sich dann folglich vor allem mit Radius, Geschwindigkeit und Eigendrehung (Spin) auseinander. Das sind die Hauptparameter, von den die Anzähle der Sprünge abhängig sind. Vorausgesetzt werden dabei allerdings bestimmte Optimalbedingungen wie eine glatte Wasseroberfläche und kein Wind.

Dann bleiben als Hauptfaktoren, die den Stein ausbremsen oder destabilisieren vor allem die Folge der Kollisionen mit der Wasserfläche übrig, wobei der Kiesel zunehmend langsamer wird und der Winkel sich verändert, bis die Eigenrotation aus dem Gleichgewicht gerät und von der Bewegungsenergie nichts mehr übrig ist. Der Stein geht unter.

Lydéric Bocquet ist überzeugt, dass bei einem vertieften Verständnis der Regeln der Physik der bestehende Weltrekord von 38 Sprüngen gebrochen werden könnte. Nach seinen Berechnungen und guten Ausgangsbedingungen müsste ein zehn Zentimeter großer Stein mit 40 Stundenkilometern und 14 Umdrehungen pro Sekunde in flachem Winkel auf das Wasser geworfen werden. Außerdem spekuliert er, dass durch kleine Mulden auf dem Stein (ähnlich wie bei einem Golfball) der Wasserwiderstand verringert werden könnte und damit die Anzahl der Sprünge noch weiter erhöht. Bocquet will jedenfalls demnächst ein Katapult bauen, um damit die Kiesel in Geschwindigkeit und Rotation kontrolliert aufs Wasser zu schleudern. Durch die Überprüfung mit neuen Hochleistungskameras sollen dann seine Thesen experimentell verifiziert werden.

Die bisher ungebrochene Glanzleistung von 38 Steinhüpfern wurde am Blanco River in Texas aufgestellt und 1994 ins Guiness Buch der Rekorde aufgenommen. Die US-amerikanischen Steineschleuderer sind in der "North American Stone Skipping Association" (NASSA) organisiert, die für Personen aller Altersgruppen offen ist und seit 1989 "World Stone Skipping Championships" veranstaltet.

Die NASSA behauptet, viele Schlüsselformeln, warum ein Stein auf dem Wasser hüpft, seien von den Regierungen der USA und Großbritanniens bisher als geheim klassifiziert. Das könnte sich nun ändern und jeder kann antreten, um auf dem Wasser hopsende Geheimwaffen zu bauen oder einfach nur den bestehenden Weltrekord zu brechen. Bis alle Seen und Flüsse mit Steinen gefüllt sind. Denn wie ein rumänisches Sprichwort sagt: Wasser verrinnt, Steine bleiben.