DigiCash: Aus Fehlern lernen

Die Probleme von DigiCash widersprechen jeder Vorstellung von Techno-Determinismus

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Eher als durch Erfolgsgeschichten wird uns in den traurigen Fällen des Versagens der Blick auf alle blutigen Details der Entwicklungsgeschichte eröffnet, auf all die verstreut herumliegenden Einzelteile, die dann für jeden zur Inspektion frei zugänglich sind. Kein Glanz einer "Evolution", eines "Markterfolges", oder einer "überlegenen Technologie" kann dann mehr die Sicht auf die Kraftvektoren verstellen, auf jene Stränge und Verbindungen, welche die Ereignisse formen.

Der wichtigste Aspekt, den wir aus den Schwierigkeiten von DigiCash lernen können, ist, daß diese allen techno-deterministischen Vorstellungen völlig widersprechen, selbst der abgeschwächteren, modischeren Version, laut welcher sich Technologie entlang einer ihr innewohnenden, unabhängigen Linie entwickelt.

Stattdessen zeigen DigiCashs Probleme auf, daß Technologie viel mehr ist als nur Technologie, mehr als eine Anzahl greifbarer und ungreifbarer Artefakte. Denn wäre das der Fall, würde DigiCash meilenhoch abheben, weil es eine schöne, elegante, gesellschaftlich wünschenswerte Technologie ist. Nun findet es es sich aber flach am Boden, weil seine besondere Schwäche darin lag, daß DigiCash seinen technologischen Vorschlag nicht mit all den anderen Elementen zu verbinden wußte, die notwendig sind, um eine Technologie von einer Idee in etwas zu transformieren, das tatsächlich funktioniert.

Im Fall von DigiCash wären diese anderen Elemente hauptsächlich Banken und Anwender gewesen. Aber weder Banken noch Anwender sind Alices und Bobs, wie die, die in Chaums Entwurf herbeivisioniert werden. In der wirklichen Welt haben sie alle ihre eigenen Interessen, Trägheiten und Eigenarten, die eine Technologie in Betracht ziehen muß, um User an sich zu ziehen.

Es könnte genauso gut der Fall sein, daß DigiCash eine zu gute Technologie war, die zu gut ausgedacht und überentwickelt worden war. Als es dann auf echte menschliche Wesen traf, auf wirkliche Institutionen und tatsächliches Online-Verhalten wurde es für DigiCash unmöglich, seine Technologie zu verändern, um jene unterschiedlichen Interessen zu reflektieren, aber nicht weil sie nicht gut genug war, sondern weil sie dermaßen gut konstruiert war, daß sich niemand traute, damit herumzuspielen.

In diesem Sinne kann eine starke aber unflexible Technologie zu einem großen Hindernis für ihren eigenen Fortschritt werden. Bei technologischen Entwicklungen geht es zu einem hohem Grad um das wechselseitige und gleichzeitige Zusammentreffen verschiedenster Elemente: die in Entwicklung befindliche Technologie, diese Technologie unterstützende Institutionen, eine Gesellschaft, die diese Technologie in ihre Routine einbezieht, und schließlich die Kultur, die aus den Geschehnissen Sinn macht und sie in einen größeren Kontext integriert, aus dem wir wiederum kommen, wenn wir uns auf diese Technologie beziehen. Keines dieser Elemente kann einfach die anderen bestimmen, und genauso ist keines einfach durch ein anderes bestimmt. Sie befinden sich alle in einem Prozeß ständiger Nachregulierung. Viele der wichtigeren Technologien haben sich einer Reihe tiefgehender Veränderungen unter dem Einfluss nicht-technischer Faktoren unterzogen, die ihre Geschichte geprägt haben, man denke zum Beispiel an die Geschichte des Radio.

Es muß eine kunterbunte Schar an unterschiedlichen Kräften, Ideen und Interessen in Technologie Eingang finden, um diese akkzeptabel zu machen, das heißt, damit sie funktionieren kann. Die wahren Erneuerer sind meistens nicht die brillianten Erfinder, die völlig und ausschließlich in ihre Technologie eingetaucht sind, sondern heterogene Ingenieure, Leute, die sich mit mehreren Gebieten gleichzeitig auseindersetzen und fähig sind, zwischen ihnen zu übersetzen. Das benötigt Zeit, denn nicht alle Elemente verändern sich im gleichen Tempo. Gewöhnlich werden Artefakte rasch von anderen ersetzt, aber das hat nicht so viel zu bedeuten, weil sie nur einen kleinen Aspekt dessen, worum es bei einer Technologie geht, ausmachen. Das ist einer der Gründe, warum Veränderung nie unkontinuierlich verläuft, trotz all der Jahrtausendwenderethorik, die das Internet umgibt.

Ein weiterer, wichtiger Mythos, der leicht entlarvt werden kann, indem man sich die Geschichte von DigiCash ansieht, ist der der "Unsichtbaren Hand" des Marktes und der angeblich zentralen Rolle von "Konsumentennachfrage". Diese Konzepte mögen adäquat sein, wenn es bei der Einführung einer neuen Technologie nur darum ginge, neue Artefakte herauszubringen, und dann zu sehen, wer sie aufnimmt. Aber die stillschweigende Nachregulierung der Faktoren, die manchmal sehr langsam vor sich geht, verlangt tiefe Taschen und unterstützte Bemühungen. Und im Falle elektronischen Geldes benötigt der Prozeß besonders tiefe Taschen, da das Produkt technisch, wirtschaftlich, juristisch, politisch, sozial und kulturell dermaßen komplex ist.

Betrachtet man das gegenwärtige Feld elektronischen Geldes, sind nur Schwergewichtler übriggeblieben. Da wären zum einen die gigantischen Smart Card Allianzen Mondex und VisaCash, die von einem bedeutsamen Anteil der Finanzindustrie unterstützt werden. Taschen können gar nicht mehr tiefer reichen als bisdorthin. Und trotzdem haben sogar sie Schwierigkeiten alle unterschiedlichen Aspekte zu koordinieren, die eine Technologie zum Funktionieren bringen. Mondex hat gerade erst einschneidend die Größenordnung seiner globalen Showcase Implementierung in Canada verändert, und ein breitveröffentlichter Test in NYC wurde stillschweigend auf Grund mangelnden öffentlichen Interesses geschlossen. Nicht einmal die reichsten Institutionen sind fähig, Technologie einfach zu kontrollieren (wie politische Ökonomie anzunehmen pflegt).

Auf der anderen Seite promoten IBM und Digital/Compaq Mikro-Zahlungen, also auch Firmen, die gewichtige Ressourcen mobilisieren können. Zu der Zeit, wenn diese Technologien am "Markt" erscheinen werden, werden die meisten Entscheidungen bereits getroffen worden sein.

An diesem Punkt bleibt es offen, ob irgendeine der anderen gegenwärtigen Technologien jemals als das, was sie zu werden anstrebte, akzeptiert werden wird: als weit verbreitet verwendetes Geld. Im geschlossenen Umfeld eines nationalen Staates kann eine neue Währung von oben herab leicht eingeführt werden, indem sie alte ersetzt, so wie es mit dem Euro geschieht. Im Internet, wo Veränderung additiv ist und alles Neue seine eigene Nische schaffen muß, ist Kontrolle viel komplizierter und sind Entwicklung viel unvorhersagbarer.