Digitale Metamorphosen

Elevator, von Curd Duca

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Mit seiner jüngsten Veröffentlichung "Elevator" bricht Curd Duca mit der Tradition der durchnummerierten "Easy Listening" CDŽs (5 Stück gab es davon bislang) und bleibt sich doch selbst treu.

Während die letzten Easy Listenings zu immer längeren Stücken tendierten, wobei auch die Abfolge der Stücke auf CD einen gewissen Sinn machte, ist Elevator nun wieder ähnlicher den ganz ersten Veröffentlichungen, mit sehr vielen, zum Teil sehr kurzen Stücken. Deren Reihenfolge suggeriert manchmal strukturelle Ähnlichkeiten zwischen oberflächlich betrachtet überhaupt nicht zusammenpassenden Teilen. Dann wieder ist es vorbei mit jeder Analogie, und was die Abfolge der insgesamt 27 indizierten Stücke betrifft, so regiert der "hard cut", wie man filmisch sagen würde - z.B. abrupte Wechsel von Lounge-Music zu verkorkstem Pseudo-Techno, um gleich danach wieder in tiefer filmischer Soundtrack-Stimmung zu baden.

Was das Sich-treu-bleiben betrifft, so hat dieses nicht nur mit der Rückkehr zu vielen Soundschnipseln, über deren Zusammenhang man streiten kann, zu tun, sondern auch mit einer gewissen Unverwechselbarkeit, die das musikalische Treiben angenommen hat. Die Samples stammen aus verstreuten verstreuten musikalischen Welten: 7x Ethno, 4x Country Blues, 2x Klassik, 2x Latin, 2x Autogeräusche, sowie etwas Jazz, Film-Orchester, Selbstgespieltes und nur 2 Samples, die im klassischen Sinne Easy Listening sind, läßt Curd Duca wissen, machen das Gerüst des Soundkörpers von "Elevator" aus. Doch trotz dieser Vielfalt, der Eindruck, den jedes einzelne Stück aufs erste Hinhören macht, ist doch unverwechselbar Curd Duca. Kann man also schon von einer Duca-Methode sprechen?

Um eine solche Hypothese zu beweisen, muss sie überhaupt erst einmal aufgestellt werden. Die Stücke auf Elevator beginnen auf eine seltsame Art und Weise älteren Stücken ähnlich zu sein. Mein erster Hör-Eindruck war, Elevator wäre eine Zusammenfassung und ein Remix der zahlreichen beschrittenen Wege auf Easy Listening 1 - 5. Doch nein, der Künstler borgt nicht bei sich selbst, alles ist neu. Was ihn jedoch immer schon interessiert hat, und was auf Elevator vielleicht noch mehr in den Vordergrund rückt, ist, mit einer Spannung zwischen bisweilen fast atonalen Sounds und/oder sehr steifen Loops zu spielen, um diesen dann letztendlich doch eine musikalische Rundung zu geben. Dies läßt "Elevator" deutlich in der Tradition von Easy Listening stehen. Und was wäre auch anderes erwarten von jemandem, der sich vor dem Gebäude von Muzak Inc photographieren läßt, dem legendärem erstem und superkommerziellem Produzenten von Supermarkt- und Hotel-Lobby-Beschallungsmusik. Während Gruppen wie Throbbing Gristle Referenzen zu Muzak noch auf der Basis einer situationistischen Kritik der Unterhaltungsindustrie begründeten, infiltriert Duca das Genre auf wesentlich geschmeidigere Art und Weise. Er macht Klangkombinationen hörbar - auch im Sinne von erträglich oder konsumierbar - , die es zuvor nicht waren.

Dabei versucht "Elevator" noch einen Schritt weiterzugehen, als bisherige Produkte, die vielleicht bereits in eine ähnliche Richtung arbeiteten, aber dabei weniger selbstbewußt vorgingen. Eine wesentliche Rolle spielen dabei einerseits neue digitale Soundtechnologien und andererseits ein zunehmend gespaltenes Verhältnis zur Rhythmik. Wie eine handvoll anderer Experimenteller derzeit auch, spürt Duca dem digitalen Störgeräusch und dessen Verwendbarkeit in musikalischen Kompositionen nach. Während die jungen Radikalen dabei wiedereinmal die Grenzen der Hörbelastung ausloten, führt auch das Störgeräusch bei Duca unweigerlich zur Musikalität.

Die Mittel dazu geben diverse Tools aus dem Repertoire der digitalen Klangbearbeitung - verschiedene DSP-Editoren, interaktive Sample Player, mit denen man musikaoisch interagieren kann, aber auch Anwendung herkömmlicher Methoden, an die Grenzen getrieben, wie z.B. extremes Equalizing, Mini-Loops und Mikro-Schnitte. Curd Duca ist dabei auf einem Weg, der vom herkömmlichen Sequencing und Harddisk-Editing weg und letztendlich zur Verwendung höherer Programmiersprachen wie z.B. MAX von IRCAM hinführt - letzteres ist jedoch, wie er bescheiden zugesteht, etwas, in das er sich erst noch einarbeiten muß.

Auf Elevator steht, musikalisch gesprochen, ein freierer Umgang mit Samples im Vordergrund und der immer deutlichere Wunsch zur Verwirklichung einer nicht-metrischen Rhythmik, wie in der Klassik, ohne sich dadurch vom Kontext der populären Musik des 20.Jahrhunderts zu distanzieren. Dies ist einer der wesentlichen Punkte, in denen "Elevator" den Ansatz zu einem neuerlichen Quantensprung markiert, die endgültige Ablösung aus dem Easy Listening Universum und die spannend zu beobachtende Reifung der Duca-Methode, die in der populären zeitgenössischen Musik kaum ihresgleichen findet.

Siehe auch Easy Listening, was übrigens der allererste Artikel in der Kulturrubrik von Telepolis war.