Diplomatie auf dem Schrottplatz

Für den gegenwärtigen Zustand der UNO ist der zerfallende Hauptsitz in New York symptomatisch

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Zur Eröffnung der 60. UN-Generalversammlung werden vom 14. bis 16. September am Hauptsitz der UNO in New York voraussichtlich mehr als 170 Staats- und Regierungschefs zusammenkommen. Die von den Vereinten Nationen als „größtes Treffen auf höchster politischer Ebene in der Geschichte“ angekündigte Versammlung wird sich mit der Reform der Weltorganisation befassen. Während sich die Diplomaten in den Hauptstädten um die Erweiterung des UN-Sicherheitsrates streiten, Enthüllungen zum Öl-für-Nahrung-Programm dramatisch angekündigt werden und UN-Generalsekretär Kofi Annan bei seinem Zeitplan für die Reform bereits zurückrudert, haben manche Beamte bei der UNO praktischere Sorgen: Das UN-Hauptgebäude fällt buchstäblich auseinander.

UN-Hauptsitz in New York. Foto: Andreas Bummel

Der Grundstein für das vom Architekten Wallace K. Harrison geplanten Gebäudes am East River wurde am 24. Oktober 1949 gelegt. Drei Jahre später war das mit einer blauen, spiegelnden Fassade ausgestattete Hochhaus und der dazugehörige Konferenzkomplex mit dem Kuppelsaal der UN-Generalversammlung fertiggestellt. Danach passierte bis 1977 gebäudetechnisch erst einmal gar nichts. Der Raumbedarf war auf 70 Mitgliedsländer ausgelegt. Inzwischen müssen die Aktivitäten von 191 Regierungen betreut und koordiniert werden.

Bis in die jüngste Vergangenheit waren Erweiterungs- und Erhaltungsmaßnahmen notgedrungenermaßen Flickwerk, einerseits wegen der chronischen Finanzkrise der Organisation, andererseits aber auch, weil es die hohe Bauqualität des Gebäudes zuließ, das letzte Gericht immer noch ein bißchen weiter in die Zukunft zu verschieben.

Franz Baumann in der Zeitschrift Vereinte Nationen

Kaum jemand leugnet mehr, dass das „letzte Gericht“, nämlich eine Generalsanierung, überfällig geworden ist. Vor einigen Jahren brachen Teile vom Dach der Generalversammlung auf parkende Fahrzeuge hinunter. Im Innenraum fielen Stücke auf die Delegierten hinab. Eine Marmorwand in der Bibliothek ist vom Einsturz bedroht. Im 39stöckigen Bürokomplex fallen die Fahrstühle und Rolltreppen regelmäßig aus. Putz fällt von den Wänden, die Teppichböden stinken. Für Behinderte ist das Gebäude praktisch unzugänglich. Die Klimaanlage führt ein Eigenleben. Hitze und Frost wechseln sich willkürlich ab, so dass es oft nur noch hilft, die Fenster aufzureißen.

Die Anlagen waren auf 25 Jahre ausgelegt. Diese Spanne ist vor dreißig Jahren abgelaufen. Den Hersteller gibt es gar nicht mehr, also können wir nicht einmal Ersatzteile beschaffen.

Peter Wendeborn, zuständig für Renovierung

Viele der 5.400 Fenster platzen wegen poröser Isoliermasse regelmäßig aus den Halterungen. Darüber hinaus lecken die Wasserleitungen. In einem Stockwerk funktionieren keine Computer, weil sie von elektromagnetischen Feldern von veralteten Systemen in einem Raum darüber schachmatt gesetzt werden. Zu allem Überfluss sind die Büros durch Asbest verseucht, das teilweise pulverartig aus den Wänden rieselt. „Wenn wir so etwas reparieren lassen müssen, kommen Leute in Weltraumanzügen“, sagt Wendeborn. Die Klimaanlage steht im Ruf, die Schadstoffe im ganzen Komplex zu verteilen.

Zeichnung von Andreas Raub

Nach US-amerikanischen baurechtlichen Vorschriften müsste das Gebäude wohl umgehend außer Betrieb gesetzt werden. Es ist das einzige Hochhaus in New York, das über keine Sprinkleranlage für den Fall eines Feuers verfügt. Und sollte ein Feuer ausbrechen, kann dieses anhand der völlig veralteten Meldeanlage nur auf drei Stockwerke genau geortet werden. Flüchtende Diplomaten und Mitarbeiter müssten sich über enge Fluchtwege zwängen. Das Gebäude ist sicherheitstechnisch das perfekte Ziel für Terrorangriffe. Auf den Korridoren der Republikaner im US-Kongress kursiert der zynische Witz, dass gegen die UNO gar nichts mehr unternommen werden müsse: Bald stürze der Amtssitz von selbst zusammen und dann sei die Angelegenheit erledigt.

Betritt man den Gebäudekomplex, begibt man sich auf eine Zeitreise in die 1950er Jahre. Die Telefone und die Ausstattung der Sitzungsräume wären reif für das Museum. Die Telekommunikation ist alles andere als abhörsicher.

„Das ist ein einziger Schrottplatz. Selbst in Afrika haben wir für internationale Konferenzen modernere Gebäude“, empörte sich ein Diplomat aus Kenia, der zum Millennium-Gipfel im Jahr 2000 angereist war, gegenüber dpa.

Der „Capital Master Plan“

Im Jahr 2000 endlich wurde der Plan für eine Generalrenovierung, der so genannte „Capital Master Plan“ (UN-Dok. A/RES/55/238), auf den Weg gebracht. Nach einigem hin- und her autorisierte die UN-Generalversammlung eine Sanierungsvariante. Demnach soll das Innere des Gebäudes entfernt und neu gebaut werden. Die Glasfassade soll ausgetauscht und durch energiesparende nicht-splitternde Fenster ersetzt werden. Auf dem umfangreichen Programm stehen unter anderem auch zeitgemäße Elektronik und Sicherheitssysteme und eine Modernisierung der Konferenzräume. Während der Bauarbeiten soll das Sekretariat in ein eigens neu zu errichtendes Bürogebäude, genannt UNDC-5, auf der Südseite der 42. Strasse in New York ausgelagert werden. Die Kosten werden auf etwa 1,27 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Als Gastland hat die US-Regierung der UNO ein mit 5,54 Prozent verzinstes Darlehen in Höhe der geschätzten Sanierungskosten angeboten. Dieses wurde zwischenzeitlich auch vom Kongress gebilligt. Für die 1,2 Milliarden US-Dollar Darlehen würden die Vereinten Nationen in der maximal dreißigjährigen Laufzeit etwa 2,5 Milliarden US-Dollar aufbringen müssen - also 1,3 Milliarden US-Dollar als Zinsen. Andere Finanzquellen sind allerdings nicht in Sicht.

Lokalpolitiker legen sich quer

Die Pläne mit der Auslagerung des Sekretariats in UNDC-5 wurden im Frühjahr durch Beschlüsse vom New Yorker Stadtrat und dem New Yorker Senat durchkreuzt. Der Bau von UNDC-5 auf der vorgesehene Flächen, dem Robert Moses Playground in der Nachbarschaft des Hauptgebäudes, wurde nicht genehmigt. Das neue Gebäude sollte 35 Stöcke haben. Unter der vorgesehenen Fläche verläuft ausgerechnet der „Queens Midway“-Tunnel. Bürgermeister Bloomberg hatte sich bis zuletzt für das Projekt eingesetzt. Die UN sucht jetzt fieberhaft nach Alternativen, etwa die Anmietung von Büroraum. Aus dem ersten Spatenstich für UNDC-5 im Frühjahr 2007 wird wohl nichts mehr.

Die Stimmung in den beiden New Yorker Kammern ist durch prinzipielle Ablehnung der UNO geprägt: „Wir wollen die UNO hier nicht und wenn sie nun mal hier ist, werden wir nichts dafür tun, es ihr angenehmer zu machen. Ich bin dafür, dass Kofi Annan zurücktritt. Und ich bin dafür, den Laden dichtzumachen“, sagte beispielsweise der demokratische Stadtrat Simcha Felder aus Brooklyn gegenüber der New York Sun. Felder ist der Vorsitzender des Unterausschusses für Landplanung und öffentliche Flächen (landmarks and public siting) im Stadtrat, der sich mit dem UN-Anliegen lokalpolitisch befassen musste.

Die Ablehnung des Versuchs der Vereinten Nationen, sich in Turtle Bay Land unter den Nagel zu reißen ist eine Gelegenheit für Stadt-, Staat-, und Bundesregierung – und für die Vereinten Nationen selber – die Logik, überhaupt in New York zu bleiben, noch einmal zu überdenken. ... Nach unserer Ansicht wäre das beste Ergebnis dieses Streits für die Weltorganisation, die die Ideale Amerikas verraten hat, sein Hauptquartier hier aufzugeben und umzuziehen, sagen wir in die ehemalige westdeutsche Hauptstadt Bonn oder in eine Drittwelt-Hauptstadt, die die Feindseligkeit der UNO gegenüber das, wofür Amerika steht, auch teilen.

Hämischer Kommentar der New York Sun

Unberechtigte Polemik

Auslöser für die starken Gefühle liegen im Widerstand der UNO gegen den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg, in dem Öl-für-Nahrung-Skandal, aber auch in lokalen Angelegenheiten wie der unbezahlten Bußgelder für Verkehrswidrigkeiten durch UN-Diplomaten. Allein die pakistanische UN-Botschaft schuldet der Stadt sagenhafte 560.000 US-Dollar an Verkehrsbußgeldern. Insgesamt sind es etwa 10 Millionen US-Dollar. Die UN zu kritisieren, ist in den USA eine beliebte politische Praxis, um sich zu profilieren. Welch bessere Gelegenheit könnte sich einem Stadtrat bieten, als es der „großen“ UNO mal zu zeigen und so in der „Weltpolitik“ mitzumischen? Ein Umzug des UN-Hauptquartiers steht auf dem internationalen Parkett nicht im Entferntesten zur Debatte.

Berechtigt ist die Polemik ohnehin nicht. Gerade die Untersuchungen im Öl-für-Nahrung-Programm zeigen deutlich die Mitverantwortung der US-Regierung in dem Skandal. Durch Missbrauch des Programms hat das Regime von Saddam Hussein nach Feststellung der Volcker-Kommission rund 3,7 Milliarden US-Dollar eingenommen. Durch Ölschmuggel wurden insbesondere die UN-Sanktionen unterlaufen. Ein Großteil des geschmuggelten Öls wurde auf dem Seeweg durch den persischen Golf verbracht – für die Kontrolle waren Einheiten der US-Marine zuständig.

Die UNO und ihre Instrumente sind nur so gut oder schlecht, wie es die Mitgliedsstaaten selber möglich machen. In eine effektive Weltorganisation investieren die Regierungen nur allzu ungern. Der Verfall des UN-Hauptgebäudes ist dafür ein gutes Beispiel.