Dramatische Fehlentscheidungen

Die Energie- und Klimawochenschau: Bei RWE bezahlen die Mitarbeiter dafür, dass der Vorstand die Energiewende verschlafen hat, E.On erzielte den größten Verlust seiner Geschichte

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Der Energiekonzern RWE hat am Dienstag seinen Geschäftsbericht für 2014 vorgelegt. Offensichtlich kämpft das Unternehmen weiter mit den Umwälzungen im Stromgeschäft. Das Betriebsergebnis ging um 25 Prozent auf vier Milliarden zurück. Der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBIDTA) hat sich mit 7,1 Milliarden Euro nicht ganz so schlecht entwickelt, doch insgesamt geht es mit dem Essener Konzern deutlich abwärts.

Für die Dividende schlägt der Vorstand der Hauptversammlung lediglich ein Euro pro Aktie vor. Im vergangenen Jahr hatte es bereits das gleiche magere Ergebnis gegeben. Für die Geschäftsjahre 2011 und 2012 wurden hingegen nach Angaben des Konzerns noch zwei Euro gezahlt und für die Jahre 2006 bis 2010 sogar 3,5 Euro, wie aus der gleichen Quelle sowie aus dem Wikipedia-Beitrag über RWE zu entnehmen ist.

Für viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen ist das eine schlechte Nachricht, zumal zugleich auch der Börsenwert ihrer RWE-Anteile weiter zurückgeht. Am Dienstag verlor er 80 Cent. Seit ihrem Höchststand im Dezember 2007 hat die RWE-Aktie rund 75 Prozent ihres Börsenwertes verloren. In etwa ein Drittel des Verlustes erlitt sie zwischen März und Dezember 2011. Manche Großstadt im Ruhrgebiet hält noch immer Beteiligungen an RWE, und die Einnahmen aus diesen spielen mitunter eine nicht unwesentliche Rolle in den öffentlichen Haushalten. RWE ist einst aus der Kooperation von Stadtwerken entstanden. 25 Prozent der Anteile werden von Kommunen gehalten, weitere 16 Prozent von Sparkassen und ähnlichen öffentlichen Institutionen.

Probleme bereitet dem Konzern vor allem das kommerzielle Stromgeschäft. Das betriebliche Ergebnis ging in diesem Bereich um 29 Prozent auf 979 Millionen Euro zurück. Eine wesentliche Rolle spielte dabei der niedrige Großhandelspreis für Strom, heißt es in einer Pressemitteilung des Konzerns. Außerdem mussten mal wieder eine größere Summe - 600 Millionen Euro - auf Kraftwerke in Großbritannien und auch in Deutschland abgeschrieben werden.

Ansonsten hat RWE 2014 208 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt, was in etwa einem Drittel der deutschen Bruttoproduktion entspricht. Allerdings ist ein Teil der Erzeugung im Ausland erfolgt, das heißt, der inländische Anteil des Konzerns ist kleiner als ein Drittel. Die Investitionen gingen 2014 um 14 Prozent auf 3,4 Milliarden Euro zurück. Rund ein Drittel davon ging in nicht näher spezifizierte konventionelle Kraftwerke, wurden also vermutlich vor allem für die künftige Verstromung von Braunkohle ausgegeben. Für das laufende Jahr rechnet der RWE-Vorstand mit einem weiteren Rückgang der Gewinne: Der EBITDA werde vermutlich auf 6,1 - 6,4 Milliarden Euro und das betriebliche Ergebnis auf 3,6 - 3,9 Milliarden Euro sinken.

Für Umweltschützer kommt das schlechte RWE-Ergebnis nicht gerade überraschend. Sowohl die Klima-Allianz als auch Greenpeace nehmen die Veröffentlichung der RWE-Bilanz und die des zweiten großen deutschen Atom- und Kohlestromers E.on, zum Anlass, auf die verfehlte Politik der Konzerne hinzuweisen. Auslöser der prekären Lage sei nicht die Energiewende, sondern gravierende Managementfehler, heißt es bei Greenpeace.

E.On machte mit 3,16 Milliarden Euro den größten Verlust seiner Geschichte. Dennoch wird eine Dividende von 50 Cent pro Aktie ausgeschüttet. Der Konzern berichtet von einem Gewinneinbruch von neun Prozent auf 8,3 Milliarden Euro (Vorjahr: 9,2 Milliarden Euro). Das EBITDA soll zwischen 7,0 und 7,6 Milliarden Euro liegen. 5,4 Milliarden Euro schrieb der Konzern ab, dabei handelt es sich vor allem um Kraftwerke in Großbritannien, Schweden und Italien. Bereits letztes Jahr wurde angekündigt, dass der Konzern aufgespalten wird. Man will sich nun auf Erneuerbare Energien, Netze und "Kundenlösungen" konzentrieren und in die alten Gas-, Kohle- und Atomkraftwerke in ein neues Unternehmen, das gewissermaßen als Bad Bank fungiert, stecken.

Altersstruktur des deutschen Kraftwerkparks. Viele müssten eigentlich sofort vom Netz. Insgesamt gibt es Kapazitäten von 47,3 Gigawatt. Davon sind 27,3 GW älter als 30 Jahre und 12,6 GW älter als 40 Jahre. Bild: FÖS

Die Klima-Allianz wirft vor allem RWE vor, noch besonders der Kohle verhaftet zu sein. Der Konzern habe seit 2011 massiv in neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von insgesamt rund 4.000 Megawatt investiert, wie auch obige Angaben für die Investitionen in 2014 belegen. Diese Politik gefährde die Rentabilität von moderneren, emissionsärmeren Gaskraftwerken. Außerdem würden die alten Kohlekraftwerke trotz Stromüberproduktion zu spät stillgelegt. Rund ein Drittel der Steinkohlekraftwerke seien über 40 Jahre am Netz. Braunkohlekraftwerke würden im Durchschnitt sogar erst mit 55 Jahren stillgelegt. Deswegen müsse ein "wirksames Gesetz zur Begrenzung der Emissionen aus der Stromwirtschaft" her. "Die Stromerzeugung mit Kohle ist ein Auslaufmodell und muss spätestens 2040 ganz enden", warnt Klaus Breyer, Sprecher der Klima-Allianz.

Insbesondere Investitionen in Steinkohlekraftwerke seien als "stranded investment" zu bewerten, heißt es in einer Kurz-Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft. Schon 2009 habe es entsprechende Warnungen einiger Wirtschaftswissenschaftler gegeben. Die Bilanzen der Konzerne seien ansonsten auch durch Aufkäufe im Ausland stark belastet, die sich im Nachhinein oft als unrentabel erwiesen hätten. RWE ist dadurch mit rund 30 Milliarden Euro hoch verschuldet. Die kleine Literaturstudie des FÖS listet diverse Fehlinvestitionen von RWE und E.On auf. In Hamm-Uentrop wurden zum Beispiel von RWE zwei Steinkohlekraftwerksblöcke gebaut. Ursprünglich hätten sie 2012 in Betrieb gehen sollen. Der eine läuft nun seit sieben Monaten, beim zweiten ist unklar, ob er je ans Netz gehen kann. Die Stadtwerke Dortmund sind an dem Projekt mit fünf Prozent beteiligt, was ihnen einen jährlichen Verlust von 14 bis 16 Millionen Euro beschere.

Insgesamt wirft das RWE-Geschäft allerdings noch genug ab, um den Vorstand fürstlich zu entlohnen. Laut Jahresabschluss 2014 erhielt der vierköpfige Vorstand im vergangenen Jahr Bezüge in Höhe von 10,8 Millionen Euro. Weitere 2,34 Millionen Euro wurden an Pensionsansprüchen an ehemalige Vorstandsmitglieder und deren Hinterbliebenen ausgezahlt. Auf 500.000 Euro habe der Vorstand 2014 verzichtet, heißt es in dem Bericht. Andere mussten den Gürtel etwas enger schnallen, damit der Vorstand nicht darben muss und zugleich den Anteilseignern noch ein wenig Dividende geboten werden kann: Auf die 61.715 Mitarbeiter - acht Prozent weniger als im Vorjahr - entfielen Personalkosten (Lohn und Gehalt inklusive der Nebenkosten) von 3,815 Milliarden Euro. Das sind rund 62.000 Euro pro Person Bruttogehalt plus Arbeitgeberanteile an die Sozialversicherungen im Vergleich zu den rund 2,5 Millionen Euro pro Vorstandsmitglied. Der Durchschnitt fürs Personal wird zudem noch dadurch erhöht, dass in den Zahlen auch die deutlich höheren Gehälter der leitenden Angestellten stecken, die nicht von Tarifverträgen erfasst werden.

Vielleicht hätte man also, statt Mitarbeiter zu entlassen, lieber die Vorstandsgehälter beschneiden sollen, denn schließlich waren es ja dessen Fehlentscheidungen, die den Konzern in die Schieflage gebracht haben. "Ob Atomausstieg, Energiewende oder der zu reformierende Emissionshandel - alles was den Versorgern heute die Geschäftszahlen verhagelt, war im Voraus absehbar", heißt es bei Greenpeace in Reaktion auf die RWE-Zahlen. "Das Management der großen Versorger hat die Augen zu lange vor dem absehbaren neuen Energiemarkt verschlossen", meint Heinz-Josef Bontrup, der für Greenpeace eine Analyse der zahlreichen Fehlentscheidungen in den Konzernetagen der vier großen Stromkonzerne geschrieben hat: "Jetzt rächt sich das sture Festhalten an einem überkommenen Geschäftsmodell."

Aussicht auf Besserung gäbe es nicht. Die Verschuldung sei viel zu hoch und der Wert der konventionellen Kraftwerke nehme beständig weiter ab. "Diese Schraubzwinge wird für die ehemaligen 'Big 4' absehbar nicht lockerer sondern enger werden", fasst Bontrups Co-Autor Ralf-Michael Marquardt zusammen.

Der ehemals langjährige Grüne Bundestagsabgeordnete Hans-Josef Fell, seinerzeit Mitautor des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, weist darauf hin, dass es "dramatisches Fehlverhalten" auch bei anderen Unternehmen gegeben habe: "Viele, vor allem größere Stadtwerke haben noch im letzten Jahrzehnt Neubaupläne für Kohle- und Erdgaskraftwerke verwirklicht und stehen nun vor dem Scherbenhaufen unrentabler Kraftwerke." In diesem Zusammenhang sei es "nicht akzeptabel, dass gerade der Verband der kommunalen Unternehmen (VKU) nun die Politik auffordert, über Kapazitätsmärkte die Fehlentscheidungen der hoch dotierten Vorstände der letzten Jahre auch noch nachträglich mit öffentlichen Geldern zu finanzieren."