Dringende Anpassung an "neue digitale Möglichkeiten",

Grafik: TP

Der deutsche Verfassungsschutz soll künftig WhatsApp- und Telegram-Chats anzapfen dürfen

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Heute ging ein neuer Entwurf für ein Gesetz zur "Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts" aus dem Bundesinnenministerium in die Ressortabstimmung. Er sieht vor, dass der deutsche Verfassungsschutz künftig außer Telefongesprächen auch verschlüsselte Chats anzapfen darf - zum Beispiel auf WhatsApp oder Telegram.

Überwachung unter parlamentarischer Kontrolle"

Politiker der Großen Koalition lobten die Änderung bereits im Vorfeld. Mathias Middelberg, der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, sprach von einer dringenden Anpassung an "neue digitale Möglichkeiten", und der SPD-Politiker Ralf Stegner verlautbarte gegenüber dem Handelsblatt, "um die Verfassung vor den Feinden unserer demokratischen Grundordnung zu verteidigen", müsse "der Verfassungsschutz selbstverständlich auch Zugriff auf moderne Kommunikationsmöglichkeiten haben". Darum müsse sich niemand sorgen, schließlich erfolge "die Überwachung [ja] unter parlamentarischer Kontrolle".

In Sozialen Medien teilen viele Bürger diese Beruhigtheit nicht - auch deshalb weil sie den Eindruck haben, dass die deutschen Verfassungsschützer nur bedingt parteipolitikunabhängig agieren können. Darauf, dass so ein Eindruck möglicherweise nicht ganz unzutreffend ist, deuten auch unterschiedliche Sichtweisen zum Umgang mit Kritikern der aktuellen Anti-Corona-Maßnahmen hin.

Während Baden-Württembergs Verfassungsschutz-Präsidentin Beate Bube auf die Frage nach einer Beobachtung der Demonstrationen dazu hervorhob, man habe "im Zuge der Corona-Pandemie […] sehr intensiv im Blick, wie extremistische Szenen jeder Couleur reagieren und sich äußern", betonte ihr bayerischer Kollege Burkard Körner dem Straubinger Tagblatt zufolge, es sei "aus Sicht des bayerischen Verfassungsschutzes […] gut und richtig, dass die Menschen im Freistaat auch in Corona-Zeiten bei Demonstrationen ihre Meinung ausdrücken können - unter Wahrung des Mindestabstands".

Die Protestveranstaltungen mit einer "sehr, sehr bunten Palette" an Teilnehmern seien "gelebte Demokratie". Einen Beobachtungsauftrag sieht der Präsident des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz erst "dann eröffnet, wenn eine Bestrebung das Ziel verfolgt, wesentliche Verfassungsgrundsätze oder Grundrechte außer Kraft zu setzen". Als Beispiel dafür nennt er die QAnon-Verschwörungstheorie, die seiner Ansicht nach "die Gefahr [birgt], dass antisemitische Narrative in eine Gesellschaftsgruppe getragen werden, die bisher von diesen antisemitischen Narrativen nicht geprägt war".

Brüsseler Anti-Terror-Koordinator will durch die Vordertür überwachen

Damit das Anzapfen von WhatsApp und Telegram technisch klappt, soll der deutsche Verfassungsschutz mittels Trojanern "an der Quelle" mitlesen dürfen, bevor eine Botschaft verschlüsselt wird. Diese so genannte "Quellen-Telekommunikationsüberwachung" (oder kurz "Quellen-TKÜ") nutzen bislang der Zoll und die Polizei, wenn es um Straftaten geht. Beim Verfassungsschutz sollen "Gefahren" ausreichen. Eine komplette Online-Durchsuchung von Geräten, die Ermittlungsbehörden durch den geänderten § 100b der Strafprozessordnung 2017 explizit erlaubt wurde, soll dem Verfassungsschutz aber vorerst verwehrt bleiben.

Dem Brüsseler Anti-Terror-Koordinator Gilles de Kerchove reicht eine Überwachung durch die Trojaner-Hintertür nicht. Er fordert mit Verweis auf den britischen Investigatory Powers Act von 2016, die australische Telecommunications Assistance and Access Bill von 2018 und die überparteilichen amerikanischen Pläne für einen EARN IT Act eine EU-Vorschrift, die Interessenten auf der Staatsseite einen Anspruch auf Zugang zu verschlüsselten Chat-Informationen durch die Vordertür gewährt.

Das, so der Flame in einer vertraulichen Mitteilung an Vertreter des EU-Ministerrats, sei wegen eines "umfassendes Trends" zur automatischen Verschlüsselung durch Anbieter nötig (vgl. Anti-Terror-Koordinator will "das Problem der Verschlüsselung" angehen). Wegen dieses Trends erwiesen sich existierende Rechtsgrundlagen zum Anzapfen von Kommunikationen zunehmend als nutzlos.

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