Dunkler Rächer, heiße Nacht

Bild: © 2021 Warner Bros.

Kein Spaß - nirgends: "Batman"

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.

Kant, "Was ist Aufklärung?"

Wir glauben, dass Fledermäuse irgendwie Schmerz, Angst, Hunger und Verlangen fühlen und dass sie neben dem Radar andere, vertrautere Arten von Wahrnehmungen besitzen.

Thomas Nagel "What is like to be a Bat?", 1974

Kinder wollen keine neue Geschichte hören, sondern immer wieder die Geschichte, die sie bereits kennen und die ihnen schon häufig erzählt wurde.

Umberto Eco

Wenn der Mann zum ersten Mal aus dem Schatten hervortritt, wird man sich erinnern: Batman ist eindeutig ein Mann mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, aber er ist kein Übermensch mit unerklärlichen Kräften.

Theoretisch sind seine Fähigkeiten nur solche, die ein jeder Comic-Leser und Kinogänger mit entsprechendem Ehrgeiz und Hingabe und dem richtigen Training auch erreichen könnte. Außerdem sind diese Fähigkeiten nicht auf Muskelkraft und Kampfkunst beschränkt. Er hat Verstand, Einfallsreichtum, trockenen Witz und bei aller No-Nonsense-Haltung eine verführerische Fähigkeit zur Ironie.

The Batman (18 Bilder)

Bild: © 2021 Warner Bros.

Batman schaltet die Schurken auch nicht in erster Linie als Mittel zum Zweck aus, er ist kein Sauberman, kein Anwalt der Wokeness und auch keiner, der am Steinbruch der Selbstfindung schuftet. Vielmehr geht es um den Sieg über die inneren Dämonen. Über den Trieb, sich selbst zu entfliehen in der Arbeit der doppelten Aufklärung: Um einen Hinweis auf den Mord an seinen Eltern zu erhalten, der für Buce Wayne/Batman das Urtrauma darstellt.

Der Held als Detektiv und als Philosoph

Tim Burton, dieser Meister des Skurrilen und des abgründigen Witzes war der erste, der den während des Zweiten Weltkriegs entstandenen Batman erfolgreich auf die Leinwand brachte: 1989 kam "Batman" ins Kino, drei Jahre später folgte "Batman Returns", wieder von Burton.

Dies war überhaupt die erste erfolgreiche Verfilmung einer Comic-Superheldengeschichte, lange vor dem Boom, der heute jährlich mehrere Verfilmungen der Bat-, X- und Spinnenmänner und zunehmend auch -frauen ins Kino bringt. Aber Batman ist speziell geblieben und einer der beliebtesten: Ein düsterer Held, beseelt von Melancholie und Rachegedanken. Der Held als Detektiv und als Philosoph.

Nach den drei schon als pessimistisch empfundenen Verfilmungen von Christopher Nolan mit Christian Bale zeigt nun der genre-erfahrene, aber nicht wirklich berühmte Hollywood-Regisseur Matt Reeves, bekannt geworden mit "Cloverfield" und zwei "Planet der Affen"-Filmen, dass es noch dunkler geht. In das hautenge lederne Fledermauskostüm und damit die Rolle des "Batman" ist – nach Michael Keaton, Val Kilmer, George Clooney, Christian Bale und Ben Affleck – nun kein Geringerer geschlüpft, als der einstige Teenieschwarm Robert Pattinson.

"Ich bin der Schatten"

Schuberts "Ave Maria" erklingt aus dem Off. Die Bilder sind Rot und Schwarz eingefärbt, eine subjektive Kamerafahrt zeigt die nasse, menschenleere Straße einer Großstadt, dazu hört man deutliches Atmen und ein Mann erzählt: Furcht sei ein Werkzeug. Chaos sei das Element. "Aber ich beobachte. Ich, ein Tier der Nacht. Die mich fürchten, denken, ich käme aus dem Schatten. Aber ich bin der Schatten." Es ist Batman, der hier spricht.

Batman, einer der populärsten Superhelden der Filmgeschichte ist immer mehrere auf einmal gewesen: ein Rächer, ein Ordnungshüter, ein merkwürdig verschrobener Einzelgänger, ein technik-verspielter Millionär, ein Playboy, ein Gerechtigkeitsfanatiker.

Und Batman-Geschichten handeln immer vom Zusammenprall von Gut und Böse, und zwar in einer klassisch modernen Großstadt: Gotham City ist eine Kreuzung aus dem New York der 1940er-Jahre, dem Chicago der 1920er, und der futuristischen Science-Fiction Stadt Metropolis, die einst Fritz Lang fürs Kino erfand. Batman-Filme sind also auch immer Dialoge mit der Filmgeschichte.

Der neue "Batman" ist vor allem ein Rächer. Und Gotham City eine Gangster-Metropole wie aus "Scarface" oder der "Dreigroschenoper".

Ein Müllmann der Moral

Dieser neue Batman-Film hat drei Haupt-Aspekte: Der wichtigste ist der rein filmische, ästhetische. Auf dieser Ebene von Filmkunst, Können und Stilgefühl ist "The Batman" hervorragend. Man sieht harte, düstere, grobkörnige Bilder, die einerseits sehr klassisch wirken wie aus einem Film-Noir, jener "Schwarzen Serie" der "hardboiled"-Kriminalfilme der 1940er und 1950er-Jahre.

Zugleich sind sie aber auch in einem gewissen Sinn schmutzig und unrein. Sodass sie auch zu einem Mitternachts-Trash-Horror oder einem B-Movie oder zu einem gegenwärtigen, mit Handkamera gedrehtem Autorenfilm aus Spanien oder Italien gehören könnten. Das düstere, unterbelichtete Ambiente ist das Verdienst von Kameramann Greig Fraser, und es ist angenehm filmisch, ein cinematisches Bild, das mit opernhaftem Schwung noch in die Ränder der Leinwand kriecht.

Die Schauspieler sind ausgezeichnet, allen voran der einstige Teenieschwarm Robert Pattinson ("Twilight"), der – nach Michael Keaton, Val Kilmer, George Clooney, Christian Bale und Ben Affleck – nun in das hautenge lederne Fledermauskostüm geschlüpft ist, und seine Titelrolle ganz anders interpretiert als alle seine Vorgänger: Dieser Batman ist kein bisschen glamourös, kein bisschen cool, weder ironisch noch sarkastisch noch auch nur zynisch.

Er ist ein Getriebener, körperlich wie seelisch vernarbt, schmutzig; fast könnte er ein Tramp sein, den es von der Straße aus Versehen in eine feine Villa verschlagen hat. Als Held ist er ein Müllmann der Moral, einer der aufräumt und reinigt, was die Gesellschaft zu säubern versäumt hat.

Zoe Kravitz als "Catwoman" zeigt etwas völlig Neues im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen Michelle Pfeiffer, die 1992 die zur Katzenfrau mutierte Selina Kyle als gefallene Sekretärin interpretiert hat, die ihren Perfektionismus nie ganz verliert. Oder zu Halle Berry, die 2004 der Catwoman eine verletzliche Seite gab. Oder zu Anne Hathaway, deren Catwoman am ehesten einer klassischen Femme Fatale ähnelte, die aber in Christopher Nolans als Jungs-Film angelegten Batman-Verfilmungen immer nur eine Nebenrolle spielte.

"You got a lot of cats." - "I have a thing about strays" - diese Catwoman ist Batman ebenbürtig: Eine empowerte, selbstbewusste Frau, die auch a la Femme fatale mit ihren Reizen spielt – der auch sexuell aufgeladene Fetischismus enger Lederklamotten ist von beiden Figuren nicht zu trennen.

Andererseits kämpft sich ähnlich schlagkräftig. Und so wie er einmal ihr Leben rettet, bewahrt sie auch ihn einmal in letzter Sekunde vor dem Tod. Im Gegensatz zum introvertierten, innerlich brodelnden Schweiger Batman ist Kravitz' Catwoman auch cool und schlagfertig. Als er ihr in bester Absicht zuruft: "Selena, dont throw your life away!", antwortet sie: "Dont worry honey - I got nine of them."

Doch ähnlich wie ihr männliches Pendant hat auch sie eine persönlich motivierte Rache-Mission.

Beide sind übrigens Helden, die über Super-Fähigkeiten, aber nicht Superkräfte verfügen. Sie sind immer noch verletzliche, sterbliche Menschen, nicht von einem anderen Stern.

Interpret eines perversen Textes

Am Anfang steht Batman allein. Und er hat es mit einer seltsamen Mordserie an Politikern und Spitzenbeamten zu tun, als deren Urheber sich sehr schnell ein Unbekannter entpuppt, der sich "The Riddler" nennt, also ein Rätselsteller, der an seinem Tatort immer eine Rätselaufgabe zurücklässt, die auf die nächste Tat verweist. Gespielt wird der Serienmörder von Paul Dano, der mit seinem kindlich-abgründigen Mondgesicht für derartige Rollen prädestiniert ist.

Dieser "Riddler" ist also auch ein Geschichtenerzähler. Und Batman wirkt zusammen mit Chief Gordon, dem einzig nicht korrupten Polizeibeamten von Gotham City, der ihn regelmäßig zu Hilfe ruft, mitunter wie Studenten eines Literaturseminars, wie Interpreten eines perversen Textes – Entzifferer und Dechiffrierer im Auftrag erkennungsdienstlicher Ermittlungen.

Bild: © 2021 Warner Bros.

Auch das macht diesen Batman zu einem klassischen Film Noir, denn diese waren fast immer Detektivgeschichten.

Der Held als Detektiv und auch, ja: Philosoph – darin erinnert Reeves' Batman stark an David Finchers legendären "Se7en". Auch hier ist ständig Nacht oder Zwielicht, auch hier prasselt ein schwarzer Dauerregen permanent auf Figuren und Geschehen ein. So weit, so ausgezeichnet, so spannend, so zeitgemäß.

Batman darf nie wieder Spaß haben

Als Verfilmung der Graphic Novels betrachtet, schlägt sich Matt Reeves Verfilmung allerdings auch klar auf eine ganz bestimmte Seite der Möglichkeiten der Batman-Figur. Dieser Batman ist keiner, mit dem man sich leicht identifizieren kann oder auch nur möchte. Sondern er ist ein Außenseiter, ein scheuer Soziopath.

Und dies ist der düsterste aller Batman-Filme, und vor allem auch in jedem Moment todernst gemeint. Kein bisschen Ironie, kein bisschen Verspieltheit, keine Tabubrüche und Überschreitungen, kein Scherz, kein Spaß – nirgends.

Wenn man sich dann an Tim-Burton zurückerinnert, kommt bei allem Respekt auch etwas Wehmut auf.

Darf Batman keinen Spaß mehr machen? Ist er dazu zu unbürgerlich, zu gefährlich für das allgemeine Spießer-Bewusstsein? Zumindest wenn er Spaß hätte? "Die Vorstellung, dass 'Batman' lustig ist oder sogar Spaß hat, übersteigt heute den Rahmen unserer verkniffenen Vorstellungskraft", schreibt eine US-Kritikerin.

Batman kann kann aber nicht nur keinen Spaß machen, er darf auch nie wieder Spaß haben. Er darf kein Playboy sein und den Frauen nicht hinterherlaufen, denn das wäre unwoke. Er muss sich suhlen in seinem Schmerz, in traumatischen Erinnerungen, er darf diesen Schmerz nicht durch Lust betäuben, nicht durch Drogen, und nicht durch einen geschmacklosen Humor.

Auch das sagt viel über unsere Gegenwart. Es wird nicht lustiger werden. Das Zwielicht der Gegenwart führt zur Entdeckung unserer Zukunft in der Vergangenheit des 20.Jahrhunderts.