Durban: Letzter Ausweg fürs Kyoto-Protokoll

Chancen für einen Erfolg sind bestenfalls gering

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Die weltweiten Treibhausgasemissionen sind im Vergleich zum Vorjahr 2010 um insgesamt 512 Millionen Tonnen gestiegen. Nach Datenlage des US-Energieministeriums hat es in der Menschheitsgeschichte nie einen größeren Abstieg des Klimaproblems gegeben - Plus sechs Prozent. Hauptproduzent war China, gefolgt von den USA und Indien.

Klimaschutz? Boom der regenerativen Energien? Internationale Klimaverhandlungen? Die Bilanz spricht eine klare Sprache: Heute sind 40 Prozent mehr Treibhausgase in der Atmosphäre als 1990. Und das, obwohl doch durch das mühsam ausgehandelte Kyotoprotokoll die Industriestaaten verpflichtet sind, ihren Ausstoß um 5,2 Prozent unter das Niveau des Basisjahres 1990 zu drücken. Gleichzeitig zeigt die Erderwärmung bereits ihre menschenfeindlichen Folgen. Während im Oktober auf vielen Pazifik-Inseln wegen extremer Dürre der Notstand ausgerufen werden musste, kämpfte Thailand mit einer Jahrhundertflut.

In Sambia oder Tansania warten die Menschen derzeit sehnsüchtig auf Regen - eigentlich ist seit einem Monat Regenzeit. Andernorts spült zu viel Regen Menschenleben und Häuser hinfort - in Kenia zum Beispiel. Während 2010 Pakistan in den Fluten versank, wüteten in Russland die schlimmsten Waldbrände in der Geschichte. Eine Häufung der berüchtigten 5-B-Wetterlagen in Mitteleuropa, Tornados in Nordamerika, Starkregen in der Subsahara - 2011 wird zum Rekordjahr der Naturkatastrophen. Und das, obwohl doch schon 2010 als eines der teuersten Jahre in den Büchern der Versicherungswirtschaft steht.

Zwei Jahre nach dem Debakel von Kopenhagen kommen die Weltklimadiplomaten im südafrikanischen Durban wieder zur Klimawandelkonferenz zusammen, um zu beraten, was wohl zu tun sei. Was 2009 Obama, Medwedjew, Merkel und Co. 2009 nicht gelang, soll nun ihren Umwelt- und Energieministern bis zum 9. Dezember gelingen: Das Kyoto-Protokoll zu retten - oder wenigstens Ideen für ein Folgeabkommen zu entwickeln, die endlich weltweiten Klimaschutz in Gang setzen.

Für die Diplomaten selbst steht viel auf dem Spiel. Scheitern sie, wird der gesamte internationale Klimaschutz mit all seinen mühsam etablierten Mechanismen in sich zusammenzubrechen. Ohne einen Erfolg verlieren die Weltklimakonferenzen nebst ihren Akteuren die Legitimität: Nach 14 Jahren Dauerverhandeln wäre der internationale Klimaschutz auf dem Stand von 1997. 1997 war den Klimaunterhändlern in der japanischen Kaiserstadt der Durchbruch gelungen. Im Kyoto-Protokoll verpflichteten sich die Industriestaaten zu einem ersten Reduktionsschritt - 5,2 Prozent weniger bis zum Jahr 2012 gegenüber dem Niveau von 1990. Damit war die sogenannte erste Verpflichtungsperiode eingeläutet. Die Mütter und Väter des Protokolls legten diese auf vier Jahre zwischen 2008 und 2012 an, um die Möglichkeit zu haben, in der darauffolgenden Verpflichtungsperiode die Zahlen zu korrigieren - falls die Emissionen stärker steigen, als damals angenommen.

Die Industriestaaten bekannten sich in Kyoto zu ihrer historischen Schuld: 80 Prozent der Treibhausgase in unserer Atmosphäre stammen von ihnen. Die USA produzierten zwischen 1903 und dem Jahr 2000 mit 258 Milliarden Tonnen Kohlendioxid mehr als dreimal so viel Treibhausgas wie China - in dem aber viermal mehr Menschen leben. Deutschland verursachte im gleichen Zeitraum fast so viel Treibhausgas wie China bislang insgesamt ausgestoßen hat. Zur Erinnerung: Hierzulande leben etwa 82 Millionen Menschen, in China dagegen 1,3 Milliarden. Deshalb sollten die Industriestaaten die Last der Emissionssenkung allein schultern. Die Entwicklungs- und Schwellenländer wurden im Kyoto-Protokoll von eigenen Anstrengungen befreit.

Heute, 14 Jahre nach Unterzeichnung des Kyoto-Protokoll, sieht die Welt ganz anders aus: China hat die USA als größter Treibhausgas-Produzent längst überholt, die Wirtschaften einstiger Entwicklungsstaaten wie Vietnam, Indien, Mexiko, Brasilien oder Indonesien wachsen so rasant, dass sie die Einsparungen der Industrieländer mehr als wett machen. Die Europäische Union und die USA drängen die Schwellenländer deshalb, endlich selbst mit dem Klimaschutz anzufangen - und eigene Reduktionspflichten völkerrechtlich bindend in der zweiten Verpflichtungsperiode einzugehen. Die Schwellenländer entgegnen dem: So lange ihr Eure Hausaufgaben nicht macht, werden wir nicht mit eigenen Reduktionspflichten beginnen.

Die USA hatten sich im Kyoto-Protokoll zu einer Treibhausgas-Minderung um sieben Prozent bis 2012 verpflichtet. Allerdings war die Unterschrift Bill Clintons und Al Gores nichts wert: Das Repräsentantenhaus verweigerte die Unterschrift unter das nationale Gesetz, das nötig gewesen wäre, um den UN-Beschluss in US-Recht zu gießen. Statt um 7 Prozent zu sinken, stieg der US- Ausstoß gegenüber 1990 um 18 Prozent. Die USA können deshalb dem Kyoto-Protokoll gar nicht beitreten: Nach den dort hinterlegten Zahlen müssten sie binnen eines Jahres 25 Prozent weniger Öl, Kohle oder Benzin verbrennen. Wer seinen Verpflichtungen aus der ersten "Verpflichtungsperiode" nicht nachkommt, muss aber laut den Bestimmungen des Kyoto-Protokolls in der zweiten mehr Verpflichtungsperiode leisten.

Undenkbar in den USA: Nicht einmal die Demokraten folgten Barack Obama bei dessen Klimaschutz-Politik. US-Chefunterhändler Jonathan Pershing bot der Klimakonferenz 2010 deshalb das Jahr 2005 als Deal an: Die USA werden ihren Treibhausgas-Ausstoß bis 2020 um den Betrag 10 Prozent reduzieren - gegenüber dem Niveau von 2005. Die Gruppe der G77 lehnten das brüsk ab: Basisjahr bleibe 1990.

Und überhaupt: Kyoto bleibt. Denn im Kyotoprotokoll sind Länder wie China, Indien, Brasilien oder Indonesien als Entwicklungsländer vom Klimaschutz ausgenommen. Darauf beharren sie nun, nicht ganz zu unrecht. Denn viele Industriestaaten liegen weit hinter ihren Zusagen zurück. Japan wird sein Kyoto-Ziel um 15 Prozentpunkte verfehlen, Kanada um 35 Prozent, Australien liegt 22 Prozent hinter seiner Zusage. Selbst EU-Staaten wie Spanien (40 Prozent zu viel), Österreich (25 Prozent) oder Italien (14 Prozent) haben deutlich zu wenig Klimaschutz betrieben, um das Kyoto-Ziel für 2012 zu schaffen.

Das sind die Voraussetzungen, unter denen nun bis zum 9. Dezember um eine neue Verpflichtungsperiode gerungen wird. Nicht einmal Berufsoptimisten glauben noch an einen Erfolg. Gelingt der nicht, ist das Kyoto-Protokoll nicht gestorben. Aber es ist nur mehr ein Zombie - die Hülle existiert weiter, aber der Inhalt ist tot.