ET jagt nach extraterrestrischen Gravitationswellen

Bild: Kees Huyser

Das Einstein-Gravitationswellen-Teleskop (ET) gewinnt heute an Profil

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Heute stellen europäische Wissenschaftler in Pisa (Italien) das Design und Konzept für das Einstein-Teleskop (ET) vor, dem vermeintlich besten Gravitationswellenteleskop aller Zeiten, das 2017 oder 2018 gebaut werden soll. Anfang der nächsten Dekade soll es in einer Tiefe von 100 bis 200 Metern auf Empfang gehen und dabei Gravitationswellen-Signale sogar aus einer Zeit auffangen, in die bislang noch kein Teleskop dieser Welt vordringen konnte. Obwohl die wissenschaftlichen Ziele, die Technik, der Zeitplan und die geschätzten Kosten erst heute zur Sprache kommen, sind die Erwartungen an das High-Tech-Teleskop sehr hoch.

Als Raum und Zeit noch nicht definiert waren, geschah etwas Unglaubliches, das Zeit und Raum definierte. An keinem bestimmten Ort und zu keinem Zeitpunkt entsprang aus einem unendlich heißen und unendlich kleinen Anfangszustand von unvorstellbar hoher Energiedichte das uns bekannte Universum.

Obwohl diese so genannte Anfangssingularität selbst nicht der Raumzeit angehörte und obgleich fraglicher Anfangszeitpunkt selbst nicht das Datum dieses vermeintlichen "Ereignisses" war, trat bereits in dieser Phase die kosmische Materie als ein sich rasant, isotrop und nahezu homogen ausdehnendes Gemisch von Elementarteilchen unterschiedlichster Art in die Welt - sekundiert von den alles überflutenden und omnipräsenten hochenergetischen Photonen.

Urzeitliche Photosphäre

400.000 Jahre nach dem Urknall (engl. Big Bang) jedoch beendete das Universum die Tristesse der Dunkelheit und zeigte sich erstmals von seiner "strahlenden" und lichtreichen Seite. Als sich der Kosmos auf rund 4000 Kelvin abkühlte und sich die darin enthaltende Materie sukzessive verdünnte, gingen Elektronen und Protonen mit einem Mal ihre ewige Symbiose ein - in Gestalt neutraler Wasserstoffatome.

Die Entdeckung und Messung der Hintergrundstrahlung im Bild. Bild: NASA/WMAP

Nach der Formierung der Atome wurde das Gas durchsichtig und die Strahlung konnte sich nahezu frei ausbreiten. Damals emittierte es erstmals Mikrowellen-Hintergrundstrahlung, die heute von allen Seiten kommend auf uns permanent niederprasselt.

Da sich die elektromagnetische Strahlung erst 400.000 Jahre nach dem Big Bang von der Materie entkoppelte, können Astronomen demzufolge heute nicht sehen, was sich vor langer Zeit jenseits dieses Horizonts einst abgespielt hat.

Die Geschichte des Universums bleibt trotz allem geheimnisumwittert. Bild: ESA

Die Fernsicht in den frühen Weltraum ist durch die kosmische Photosphäre versperrt - so als würde man den blauen Himmel durch die Unterseite von Wasserdampfwolken betrachten.

So überrascht es nicht, dass selbst die leistungsstärksten erdgebundenen und orbitalen Teleskope bislang nicht hinter die Photonenbarriere, die kosmische Nebelwand, blicken konnten. Und es ist nur allzu verständlich, dass andere Forscher nach neuen Wegen und Mitteln suchen, um das noch nicht erschlossene Universum incognitum endlich zu entdecken, das sich hinter der Photosphäre erstreckt und in dem womöglich Objekte existieren, die zu Anfang des dunklen Zeitalters entstanden sind.

Streckende und stauchende Wellen

Via Gravitationswellen wollen Physiker dieses Geheimnis nunmehr entschlüsseln. Gravitationswellen (GW) sind ein kosmisches Phänomen, das Albert Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie 1916 (ART) vorhersagte. Gemeinhin charakterisieren Wissenschaftler diese als Wellen in der Raumzeit, als Erschütterungen der Raumzeit, die den Raum selbst minimal strecken und stauchen.

Irritationen der Raumzeit stellen sich beispielsweise ein, wenn schwere Massen wie Schwarze Löcher oder Neutronensterne miteinander kollidieren. Da massereiche Objekte den Raum krümmen und zugleich die Raumzeit formen, kann sich ein Teil der Krümmung von dem Kollisionsbereich ablösen und "wie das Licht eines Sterns ins All vordringen", verdeutlicht der bekannte deutsche Astrophysiker Martin Bojowald, der an der Penn State University in Pennsylvania (USA) lehrt und forscht.

Computersimulation von zwei kollidierenden Schwarzen Löchern. Bild: AEI/ZIB/Benger

Laut ART verursacht jegliche Masse eine Delle in der Raumzeit. Je massereicher der Körper, desto stärker der Effekt. Gerät das Objekt zudem in Bewegung, breiten sich die Dellen ähnlich wie bei einer seismischen Welle langsam aber stetig in alle Richtungen aus. Da sich infolgedessen der Raum kurzfristig und rhythmisch staucht und dehnt, verändern sich auch die Abstände zwischen den kosmischen Körpern.

Das Passieren einer Gravitationswelle würde sich durch winzige periodische Änderungen in Abständen zwischen Objekten bemerkbar machen, da Gravitationswellen ja eine sich ausbreitende Störung der Raumzeit sind", erklärt Bojowald. "Wenn man Abstände sehr genau messen kann, stellt dies eine Nachweismöglichkeit für Gravitationswellen dar […].

Erste und zweite Generation

Seit 2005 versuchen deutsch-britische Forscher mit dem bei Hannover installierten Geo600-Gravitationswellen-Detektor die Erschütterungen der Raumzeit zu messen. Aber wie ihre Kollegen in den USA mit dem LIGO-Observatorium, dem Team in Italien mit VIRGO und den Forschern in Japan mit LAMA konnten sie mittels zahlreicher Abstandsmessungen noch keine Gravitationswelle direkt nachweisen. Immerhin konnten sie mit den Laserinterferometern der ersten Generation die angewandte Technik ständig verbessern und im Verbund zumindest indirekt Gravitationswellen nachweisen.

Gravitationswellen aus der Sicht eines Künstlers. Bild: NASA

Um die wellenartige Störungen der Raumzeitgeometrie aufzuspüren, nutzt das GEO600-Team um den Astrophysiker Karsten Danzmann ein klassisches Michelson-Interferometer, das aus zwei parallel laufenden 600 Meter langen Vakuumröhren besteht, in denen Laserstrahlen hin und her flitzen.

Indem man, so Danzmann, die Laserstrahlen überlagere und das entstehende Interferenzmuster studiere, lassen sich sehr präzise Änderungen in der Differenz zwischen den beiden Armlängen nachweisen. "Solche relativen Längenveränderungen sollten entstehen, wenn eine Delle in der Raumzeit vorbeiläuft und dabei den einen Arm leicht staucht, den anderen dehnt", erläutert Danzmann.

Eine Röhre der Geo600-Anlage. Bild: Albert Einstein Institute Hannover

Das größte Problem bei der Detektion der Gravitationswellen besteht darin, die extrem winzige relative Längenänderung der Vakuumröhre zu registrieren. Schließlich gilt es, Längenveränderungen zu erfassen, die sage und schreibe nur einem Tausendstel des Durchmessers eines Protons entsprechen. So nimmt es nicht wunder, dass die weltweit operierenden Gravitationswellen-Jäger die Empfindlichkeit ihrer Sensoren permanent erhöhen und zurzeit den Aufbau der zweiten Teleskop-Generation zügig vorantreiben.

Wenn das Advanced LIGO und die "Advanced VIRGO" 2015 ihre wissenschaftliche Arbeit aufnehmen, spricht vieles dafür, dass sie aufgrund ihrer 10-mal höhere Empfindlichkeit erstmals Gravitationswellen direkt nachweisen. Bei alledem könnte die neue Generation von LIGO und VIRGO zehn Mal weiter ins All horchen als jemals zuvor und somit auch weit entfernte massereiche miteinander kollidierende Schwarze Löcher oder Neutronensterne mühelos aufspüren.

Revolutionäres Teleskop

Dass die Ambitionen und Zielsetzungen der Gravitationswellen-Physiker noch weiter gehen und anspruchsvoller sind, stellt das neue Einstein-Teleskop (ET) eindrucksvoll unter Beweis.

Als neues Teleskop der dritten Generation hat es bislang nur auf dem Reißbrett Fuß gefasst, soll aber noch Anfang der nächsten Dekade zum Einsatz kommen und 100-mal besser als die derzeitigen Instrumente funktionieren. Auch wenn ET auf demselben Prinzip der ersten und zweiten Generation basiert, könnte es eines Tages im Idealfall erstmals sogar hinter die Photosphäre blicken und Informationen aus der Zeit unmittelbar nach dem Urknall ausgraben.

Einstein-Teleskop im Modell. Bild: Albert Einstein Institute Hannover

Heute wird die Design-Studie für das Einstein-Teleskop nach dreijähriger Studienphase, an der mehr als 200 Wissenschaftler weltweit mitgewirkt haben, an der Europäischen Beobachtungsstelle für Gravitationsphysik in Pisa (Italien) vorgestellt. Erstmals werden die verantwortlichen Forscher die wissenschaftliche Ziele, das Layout, die Technik, den Zeitplan und die Gesamtkosten der neuen Anlage zur Sprache bringen, an denen sich auch die Europäische Union mit immerhin drei Millionen Euro beteiligt hat.

Die Federführung über das gemeinsame, von acht europäischen Forschungsinstituten initiierte Projekt, an dem auch das deutsche Albert-Einstein-Institut (AEI in Hannover teilnimmt, hat ein italienisch-französisches Konsortium mit Sitz in der Nähe von Pisa (Italien). Das mit allen europäischen Gravitationswellenforschern abgestimmte Projekt wurde auch mit dem amerikanischen Partner synchronisiert. Denn ohne ein gut funktionierendes Sensoren-Netzwerk lassen sich die Richtungen, aus denen die Gravitationswellen kommen, nicht exakt bestimmen.

Skizze der ET-Struktur: Bild: University of Birmingham

Läuft alles nach Plan, soll ET einmal mit einer bislang unerreichten Empfindlichkeit operieren. Vorgesehen ist die Installation von drei miteinander verschachtelten Detektoren in einer Tiefe von etwa 100 bis 200 Metern. Sie bestehen jeweils aus zwei 10 Kilometer langen Laserinterferometern, von denen einer niederfrequente (2 bis 40 Hertz), der andere hochfrequente Gravitationswellen-Signale erkennt.

Wunderschöne Sombrero-Galaxie. Auch aus ihr strömen sekündlich Gravitationswellen auf die Erde, die bislang noch kein Teleskop direkt erfassen konnte. Bild: ESO

Dass die GW-Physiker für das Einstein-Teleskop tief unter in die Erde gehen, geschieht aus gutem Grund: Einerseits können sie unter Tage die Nachwirkungen der restlichen seismischen Bewegung reduzieren und störende Alltagsgeräusche gänzlich ausschalten, andererseits eine höhere Empfindlichkeit bei niedrigen Frequenzen erreichen (zwischen 1 und 100 Hertz). Mehr noch: ET kann sogar das gesamte Spektrum der Gravitationswellen-Frequenzen (zwischen etwa 1 Hertz und 10 Kilohertz) erfassen, die auf der Erde messbar sind.

Hohe Erwartungen

Dass ein Observatorium ein derartiges Empfindlichkeitsniveau erreicht und dabei zu einem astronomischen Routine-Instrument für Gravitationswellen avanciert, hält der wissenschaftliche Koordinator der Design-Studie, Michele Punturo, für eine Sensation, die in einer wissenschaftlichen Revolution münden wird.

Während die ersten beiden Detektorgenerationen das Feld für die Gravitationswellenastronomie bereits eröffnen werden, erwarten wir von der dritten Generation ein Observatorium, das hundert Mal empfindlicher ist als die gegenwärtigen Detektoren. Auf diese Weise vergrößert sich das beobachtbare Volumen des Universums um den Faktor eine Million.

Ähnlich große Hoffnungen setzt auch der stellvertretende wissenschaftliche Koordinator des ET-Design-Studie, Harald Lück, in das neue Teleskop:

Ich erhoffe mir vom Einstein-Teleskop über Regionen im Weltall, die wir mit normalen optischen Teleskopen oder anderen Teleskopen für elektromagnetische Wellen (Radio-, Infrarot, Röntgen-, Gamma-) nicht beobachten können, Neues zu lernen.

Durch das Belauschen der Vibrationen der Raumzeit wolle man Näheres über kollidierende Schwarze Löcher oder Neutronensterne, kollabierende und explodierende Sterne sowie über den Effekt der Dunklen Energie und Dunklen Materie erfahren.

Hubble Ultra Deep Field - einer der bisherigen tiefsten Blick zurück: Mindestens 12 Milliarden Jahre zurück in die Vergangenheit des Universums. Bild: NASA

Lück hält es für sehr wahrscheinlich, dass das zukünftige Einstein-Teleskop bei optimaler Konfiguration bis in die erste Trillionstel Sekunde nach dem Urknall zurück "lauschen" kann. Gegenüber Telepolis äußerte er sich wie folgt:

Selbst Schwingungen, die in den ersten Sekundenbruchteilen nach dem Urknall erzeugt wurden, könnte das Einstein-Teleskop noch analysieren. Die größte Hoffnung jedoch lege ich in gänzlich neue Entdeckungen, in Signale mit denen niemand gerechnet hat, wo sich die Astrophysiker verdutzt fragen, was in der Welt wohl so ein Signal verursacht haben mag.

Was sind Gravitationswellen? Harald Lesch erklärt es … Youtube-Video aus alten Zeiten.