EU-Kommission bestreitet Ungleichbehandlung von Israel, der Türkei und Marokko

Volksgruppenanteile in Zypern um 1960. Blau: Griechen. Rot: Türken. Grün: Maroniten. Karte: Alexander-Michael Hadjilyra. Lizenz: CC BY 3.0.

Brüssel sieht in Nordzypern und der Westsahara andere Gegebenheiten als in der Westbank, dem Golan und Ostjerusalem

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Im November setzte die EU-Kommission in einer "Interpretationsnotiz" einen Beschluss der EU-Außenminister um, der fordert, dass Obst, Gemüse, Honig, Wein, Olivenöl, Eier, Geflügel, Bio-Produkte und Kosmetika aus den "israelischen Siedlungen in besetzten Gebieten" mit einer gesonderten Herkunftsbezeichnung versehen werden. Zu diesen Gebieten rechnet die EU nicht nur die Westbank (die auch nach israelischem Selbstverständnis nicht zum Staatsgebiet zählt und teilweise autonom verwaltet wird), sondern auch das 1980 annektierte Ostjerusalem (wo heute etwa 43 Prozent Juden, 54 Prozent Moslems und drei Prozent Christen leben) und den 1981 verwaltungstechnisch dem israelischen Nordbezirk angliederten Golan (in dem neben 20.000 Juden 20.000 Drusen siedeln).

Für Produkte aus den seit 1974 von der Türkei besetzten Nordzypern und der 1975 von Marokko besetzten ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara gelten keine solchen besonderen Kennzeichnungshinweise, wie die EU-Kommission Telepolis auf Anfrage bestätigt. Eine Ungleichbehandlung von Israel, der Türkei und Marokko sieht man in Brüssel aber nicht vorliegen.

In Zypern ist die "Situation" ihrer Ansicht nach eine "vollständig andere", weil theoretisch nicht nur der Südteil der Insel, sondern auch deren Nordteil zur Europäischen Union gehöre, auch wenn diese dort keinerlei politische oder militärische Kontrollgewalt hat. Deshalb sei die Kennzeichung von Produkten aus Nordzypern keine außenpolitische Frage, sondern eine "inneren Angelegenheit der EU".

Deshalb, und weil es der EU ein "zentrales Anliegen" sei, "die Wiedervereinigung beider Inselteile voranzutreiben", dürften auch Waren aus Nordzypern die Kennzeichnung "Made in Cyprus" tragen, wenn sie "vollständig dort hergestellt wurden oder die letzte maßgebliche Be- oder Verarbeitung im nördlichen oder südlichen Inselteil stattgefunden hat". Das soll einen Missbrauch der Regelung durch türkische Unternehmen verhindern.

Von einem konsequent europäischen Standpunkt aus lässt sich diese Erklärung nachvollziehen. Die Begründung für die fehlende spezielle Kennzeichnungspflicht für Produkte aus der Westsahara überzeugt dagegen deutlich weniger: Hier heißt es, die Westsahara werde "von den Vereinten Nationen, also der internationalen Gemeinschaft, als nicht selbstverwaltetes Gebiet angesehen", was auch die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats dazu zeigen würden. Als "Konsequenz" daraus betrachtet die EU die "Nutzung natürlicher Ressourcen" und andere "Aktivitäten" durch die "de-facto Verwaltung" Marokkos als "rechtmäßig [...], sofern sie die Bedürfnisse, Interessen und Vorteile der Bevölkerung dieses Gebiets berücksichtigen".

Westsahara. Karte: M0tty. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Möglicherweise auch deshalb, weil man sich der Schwäche dieser Argumentation bewusst ist, weist man bei der EU-Kommission darauf hin, dass es sich bei der Kennzeichnungsnotiz für die oben aufgeführten Produkte "nicht um eine neue Gesetzgebung, sondern um eine Orientierungshilfe für die Mitgliedstaaten im Umgang mit kennzeichnungspflichtigen Produkten" handle. Darum hätten die Mitgliedstaaten "die EU-Kommission seit 2012 wiederholt […] gebeten", um "Klarheit [...] zu schaffen". Wie die Kennzeichnungsnotiz "gehandhabt" oder "umgesetzt" wird sei Sache der "zuständigen Behörden jedes einzelnen Mitgliedstaats".

Außerdem betont man, es gehe bei der Kennzeichnungsaufforderung "nicht um eine Ungleichbehandlung, Diskriminierung oder gar Blockade israelischer Waren", sondern darum, "dass Waren, die in den israelischen Siedlungen in den seit Juni 1967 unter israelischer Verwaltung stehenden Gebieten hergestellt werden, nicht unter die Zollpräferenzbehandlung nach dem Assoziationsabkommen zwischen der EU und Israel fallen. Die EU habe darüber hinaus "in der Vergangenheit immer wieder an die israelische Regierung appelliert, umgehend ihren Siedlungsbau im Westjordanland und in Ost-Jerusalem zu stoppen".

Israelische Regierung überdenkt Rolle der EU als Nahostvermittlerin

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu hatte die EU-Vorschriften als "heuchlerisch" kritisiert und Brüssel "Doppelstandards" vorgeworfen, weil es in anderen "Weltkonflikten" keine entsprechenden Schritte gibt. Letzte Woche stoppte er als Reaktion auf die Kennzeichnungsnotiz die Nahost-Vermittlungsgespräche mit EU-Institutionen und EU-Repräsentanten. Dem israelischen Außenministerium zufolge ist dieser Stopp aber nicht endgültig, sondern dient nur dazu, die Rolle der EU zu überdenken.

Nicht betroffen von Ankündigung Netanjahus sind der Jüdischen Allgemeinen zufolge die Gespräche des so genannten "Nahostquartetts" am Mittwoch den 9. Dezember. Dort treffen sich Vertreter der USA, Russlands, der EU und der Vereinten Nationen. Einzelne EU-Mitgliedsländer dürfen ebenfalls weiter versuchen zu vermitteln. Die Vertreter Großbritanniens, Frankreichs, Spaniens, Dänemarks, Irlands, Kroatiens, Maltas, Schwedens, Portugals, Sloweniens, Italiens, Luxemburgs, Österreichs, Belgiens, Finnlands und der Niederlande wurden allerdings zu einer Rüge im israelischen Außenministerium einbestellt.

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