EU will Rechts-Hopping für Händler erlauben

Die deutsche Justizministerin Zypries setzte gegen den Widerstand der meisten anderen Länder eine verbraucherfeindliche Regelung für grenzüberschreitende Internetgeschäfte durch

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Der Rat der Justizministerinnen und –minister der EU verabschiedete einen Verordnungstext, der bestimmt, welches Recht bei grenzüberschreitenden Geschäften anwendbar ist. Während – wie das Bundesministerium der Justiz selbst zugibt – "ein erheblicher Teil der Mitgliedstaaten" forderte, für Verbraucherverträge anstatt einer "Rechtswahlmöglichkeit" das vertraute "Heimatrecht" gelten zu lassen, sprachen sich vor allem die deutsche Justizministerin Brigitte Zypries und ihr Kollege Luc Frieden aus Luxemburg gegen eine verbraucherfreundlichere Variante aus – und setzten sich durch.

Bemerkenswert wirkt Zypries Begründung für ihren Kampf gegen die vorher von den meisten EU-Ländern favorisierte Regelung: Man könne es, so die Justizministerin, Anbietern nicht "zumuten", dass sie "sich auf 27 und mehr Rechtsordnungen [...] einstellen müssen." Dem Verbraucher aber, der weitaus weniger Ressourcen für solche Zwecke zur Verfügung hat, will Zypries das durchaus abverlangen.

Laut Auskunft der Justizministerin wäre es "im Zeitalter des Internethandels nicht mehr sachgerecht, die Frage des anzuwendenden Rechts davon abhängig zu machen, ob sich ein Verbraucher bei Abschluss des Kaufvertrages in seinem Heimatstaat befindet oder nicht." In der Pressemitteilung ihres Ministeriums wurde das ganze dann als mehr "Rechtssicherheit" verkauft - obwohl es für Verbraucher das genaue Gegenteil davon bringt:

"Mit der Rom-I-Verordnung wird die Rechtssicherheit für unsere Bürger und Bürgerinnen im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr weiter ausgebaut [...]. Bei den Verhandlungen ist es uns außerdem gelungen, Verbraucherrechte zu sichern [...]"

Der relativ gesehen unproblematischere Teil dieser "Rom-I-Verordnung" dreht sich um Verträge zwischen Gewerbetreibenden. Da hier potentiell weniger Informations- und Machtasymmetrie herrscht als bei Verbrauchergeschäften, ist es nicht ganz so sehr Fiktion, wenn es heißt, dass die Beteiligten das anwendbare Recht "frei wählen" können. Zwar wird auch hier faktisch das Wahlrecht der jeweils wirtschaftlich stärkeren Partei gegeben - doch wesentlich klarer asymmetrisch ist das Verhältnis zwischen professionellen Internet-Anbietern und reinen Konsumenten: Die vom Justizministerium als "Schutz" hervorgehobene Regelung, dass bei Verbraucherverträgen das "Heimatrecht" greift, wenn nichts anderes "vereinbart" ist, dürfte im Zeitalter der I-Accept-Schaltflächen kaum mehr große praktische Bedeutung haben.

Anbieter – vor allem solche von Dienstleistungen oder virtuellen Waren – können durch die Rom-I-Verordnung mit verhältnismäßig wenig Aufwand "Rechts-Hopping" betreiben und ihr Geschäft (zumindest formell) von dem Standort aus führen, der dem Verbraucher die wenigsten Rechte gewährt. Weil sie dort möglicherweise auch Steuern zahlen, setzt durch die Zypries-Regelung ein Wettbewerb (beziehungsweise eine Abwärtsspirale) um den schlechtesten Verbraucherschutz ein.

Anfang 2008 soll der Verordnungstext in alle EU-Amtssprachen übersetzt sein. Dann will der Rat die Verordnung annehmen - laut Auskunft des Bundesjustizministeriums nur mehr eine "reine Formsache". Die Verordnung muss dann nicht einmal mehr in nationales Recht umgesetzt werden: Anders als in Dänemark, das aufgrund einer Sonderregelung im EG-Vertrag generell nicht an "Maßnahmen der Justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen" teilnimmt, oder in Großbritannien, wo ein Zusatzprotokoll eine Entscheidung über eine Teilnahme erlaubt, wird sie in Deutschland unmittelbar gelten.

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