Easy Like A Feather

Musiktabletten für Spätaufsteher

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Man kann darüber streiten, was Easy Listening alles nicht ist oder alles sein könnte. Substrahiert man alle sich widersprechenden Aussagen, so bleibt immer noch ein Rest. Hoffentlich. Samir Hamami faßt zusammen.

Eine der wohl skurrilsten Erscheinungen im Musik- und Clubleben der 90er Jahre hat sich mit Easy Listening etabliert. Ganz neu ist dieser Trend inzwischen nicht mehr. Der Spiegel und Stadtmagazine wie Prinz und Münchner widmeten der Bewegung schon relativ große Artikel, doch hat das unbeschwerte Hören von Kaufhaus- und Fahrstuhlmusik sicherlich noch nicht an Reiz verloren.

Daß diesem Phänomen die Aufmerksamkeit der Presse überhaupt zuteil wurde, dürfte zu nicht unwesentlichen Teilen der Münchner Egon Bar und dem Hamburger Golden Pudel Club zu verdanken sein. Die kuschelige Cocktail-Bar im Herzen des Freistaates und der trashige Club im heiligen St. Pauli machten es sich zur Aufgabe, dem dort verkehrendem bunten Publikum, das als Gemeinsamkeit die Vorliebe für Absonderliches aufzuweisen hat, von Tanzorchestern wie Ray Conniff und Percy Faith eingespielte Coverversionen klassischer Chartbuster der 60er und 70er, schwülstiges Liedgut der Carpenters, oder Kompositionen des grandiosen Duos Burt Bacharch/Hal David in die Gehörgänge zu bringen.

Weiterhin sind im Standardrepertoir jedes Plattenauflegers der leichten Hörgenüsse Filmthemen des legendären Henry Mancinis und vom amerikanischen Muzak Label herausgegebene Tonträger zu finden, wobei Muzak Inc. eine sehr interessante Geschichte hat. diese Firma wurde von amerikanischen Supermarkt-Ketten beauftragt, Hintergrundmusik, die das Kaufverhalten der Kunden positiv beeinflussen sollte, zu komponieren. Es kam heraus, daß sich die leichten harmonischen Melodien am konsumfreundlichsten auswirkten. Beruhigt und beschwingt sollte die Hausfrau mit spielerischer Leichtigkeit ins Wägelchen einladen. Im Fahrstuhl gespielte Musik sollte die Nerven beruhigen, die Enge und die Körperberührungen an Bedrohung verlieren und latente klaustrophobische Tendenzen nicht so einfach hervortreten können. Ein schönes Beispiel für Easy Listening finden wir auch in dem Film Einer flog übers Kuckucksnest (One Flew Over The Cuckoos Nest).

Während der Medikamentenausgabe an die Patienten läuft im Hintergrund leichte, von Jack Nitsche komponierte Streicher-Musik (Songtitel: Medication Valse). Dadurch wirkt dieser eigentlich menschenunwürdige Akt (Pillen werden wie Hostien ausgeteilt) völlig integer. So kann man sich natürlich vorstellen, daß ein Gimlet oder Whisky Sour auch viel unbekümmerter die Kehle hinunter fließt.

Im Gegensatz dazu haben die Tanzorchesterplatten von Esquivel, Chris Montez und Konsorten einen ganz anderen Ursprung. Als in den 60er Jahren der Jazz immer freier wurde, war ein großer Teil des Klientels damit schlichtweg überfordert. Der Beat und RockŽn Roll waren zu wild, also mußte für den Biedermann eine leicht verträgliche Tanzmusik geschaffen werden. Flugs wurden in erfolgreiche Beatles oder Simon&Garfunkel Nummern ein paar Streicher und Chöre eingebaut, und der Durchschnittsbürger konnte frohgelaunt seine einstudierten Tanzschritte auf dem Parkett vollführen. Das hierauf nun abgespacte Mittzwanziger und ausgefreakte Dreißigjährige in den 90ern grooven, ist wohl nicht nur durch das Bedürfnis nach Wärme im Gegensatz zum eher unterkühltem Tekkno zu erklären. Auch der Gedanke, daß teilweise derart absurde Coverversionen und Neukompositionen mit Ernst aufgenommen wurden, bringt keinen geringen Unterhaltungswert. Mit einer gesunden Portion Selbstironie gibt man sich den zu ihrer Aufnahmezeit als Gipfel der Spießigkeit verpönten Liedern hin.

Aber nicht nur Clubvergnügen findet man mit Easy Listening. Auch warme Melodien für ruhige Stunden, Herzschmerz oder stimmungsvolle Autofahrten bietet es. Es macht die, von vielen nur heimlich gehörten, Schmachtfetzen in der Szene gesellschaftsfähig.

A&M brachte 1994 eine Singlebox mit 14 Coverversionen von Carpenter-Stücken heraus. Bands wie Sonic Youth, Redd Cross oder Cracker, eigentlich für Punk-Rock und brachiale Gitarrengewitter bekannt, bleiben hier erstaunlich nah am Original, und dokumentieren damit ihre heimliche Leidenschaft für schmalziges Liedgut. Erstaunlich auch, daß die Grungekonstrukteure von Sub Pop eine Band Namens Friends Of Dean Martines eine Platte machen ließen, die sich Shadow of your smile nennt (ein alter Jazz-Klassiker von Johnny Mandel, u.a. von Sarah Vaughn in den 60ern als Titelmelodie für The Sandpiper aufgenommen). Doch bis auf den Titelsong und eine Thelonious Monk Nummer besteht der Rest der Aufnahmen aus Eigenkompositionen der Band, die sich in bester Easy Listening Tradition befinden. Giant Sands Howie Gelb spielt übrigens Piano und Orgel. Beruhigten Gewissens beobachten wir also, daß nette Melodien bestehen bleiben und Easy Listening den Medienhype hoffentlich überdauern wird, so daß sich in naher Zukunft nicht nur der alte Kreis von Eingeschworenen mit diesem Kuriosum beschäftigt.

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