Ein Cowboy am Computer

David Grubbs macht Musik für die Western-Lounges dieser Welt

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In der Gruppe streckte er seine Fühler aus: Die Strategie lautete Intuition. Nachdem Gastr del Sol, das vielleicht aufregendste Musikprojekt der 90er, aufgelöst wurde, ging David Grubbs seine eigenen Wege.

Während sein ehemaliger Gastr-Kollaborateur Jim O'Rourke mittlerweile das fünfte Glied in der Noise-Legende Sonic Youth bildet, ist Grubbs geradezu diametral entgegengesetzt damit beschäftigt, sein Potential in weniger kodierten Gewässern auszuschöpfen. Seine Arbeitsweise hat sich indes gewandelt. Er vertraut nunmehr weniger auf seine Intuition, sondern geht eher taktisch vor. Für jemanden, der sich anschickt, gitarrenbasierte Popmusik neu zu erfinden, ist sein Werkzeug überraschenderweise der Computer.

Auf seiner neuesten Kreativitätsexplosion "The Spectrum Between" (Drag City) zeigt sich der in Brooklyn Ansässige wieder von seiner ironisch-emotionalen Seite. Dieses Paradox - zugleich vertraulich und distanziert zu sein - schlägt sich musikalisch auf sehr subtile Weise nieder: Er singt "Pink Rambler, Proud Land, Brass Band" so, als würde er gerade einen zusammenhängenden Satz intoniert haben, etwa: Die Sonne senkte sich, als sie mich verliess. Daraufhin segeln die Blasinstrumente, fiepen die Oval-artigen Tonsegmente in tiefe Täler einer Soundlandschaft, die nur Nevada-Online heißen kann.Überhaupt haben Grubbs` mal elegeisch, mal upliftende Songs viel vom Geist der Steppen inhaliert. Das erinnert manchmal an den Soundtrack von Jim Jarmuschs "Dead Man": sehr vergeistigt, irgendwie soulful, asketisch.

Doch mit Neil Young kann sich Grubbs nicht identifizieren. Auch kann er sich nicht vorstellen seine Songs mal auf portugiesisch zu singen. Obwohl der Vergleich zu Arto Lindsay doch auf der Hand liegt. Grubbs spielt mit seiner Stimme nicht so wie der Ex-Lounge Lizard, er weitet das Spektrum nicht auf vergleichbar extreme Koordinaten aus. Und doch haben die Melodien und Harmonien, die er seinen Stimmbändern entlockt, oft etwas von der Lässigkeit und Leichtigkeit eines Bossanovas. Was für ein Bild: Latino-Country. Mit Retro hat das übrigens nix zu tun.

Stellen wir uns also eine Siedlung in einem entlegenen Fleckchen von Amerika vor. Es sind Farmer, die sich vor der urbanen Umweltkatastrophe aufs Land geflüchtet haben. Sie hausen in igluförmigen Kuppeln und treffen sich allabendlich in einer Bar, ebenfalls kuppelförmig und schneeweiß. David Grubbs sitzt in ihrer Mitte und singt seine Songs nun doch zum ersten Mal zusammen mit der kleinen Gilberto. Im Hintergrund ist eine Leinwand aufgezogen, auf die ein Animations-Video projiiziert wird. Auf beigebraunem Grund konturieren weiße Striche die Körper der Cowboys, sehr minimal das Ganze, sehr reduziert. Kurz: Grubbs` neues Album hört man am besten in einer solchen Western-Lounge, falls die Musik einen sowieso nicht an diesen Ort beamt.

David Grubbs, "The Spectrum Between", Drag City