Ein Franzose in New York

Kulturschock, demütigende Bilder und das Ende eines Schürzenjägers: Die Äffäre Dominique Strauss-Kahn

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Frankreich schaut Bilder, die Cannes und das große Kino zur Seite drängen. Sie zeigen einen schlagartig gealterten Mann, der von New Yorker Polizisten abgeführt wird wie ein Mafioso, müde allerdings, ohne jegliche Reststrahlung, keine Spur Glamour. Die Resignation, die aller Welt aus dem Gesicht von Dominique Strauss Kahn bei der Verhandlung entgegenschaute, ist nacktes Abbild einer Wirklichkeit, der keine Erzählung mehr zur Größe aufhilft.

Die Nation ist schockiert: Solche Vorführung eines Mannes, dessen Schuld nicht erwiesen ist, sei diffamierend, demütigend, würdelos, heißt es. Dazu kommt das sachliche Argument: den hiesigen Medien ist eine derartige Zurschaustellung eines Verdächtigen nicht erlaubt, nicht in Frankreich und auch nicht in Deutschland.

Der Schock darüber, dass die Bilder aus den USA den jähen Absturz eines Mannes live vorführen ("En direct, la chute d'un homme"), für den doch die Unschuldsvermutung gilt, verbindet sich mit einem tiefersitzenden Kulturschock: "Wir gehören nicht derselben Zivilisation an."

Die Verblüffung könnte man auf die Frage zuspitzen, ob die Amerikaner tatsächlich so sexbesessen sind, wie sie dies in ihrem gnadenlosen, harten Umgang mit Dominique Strauss-Kahn erneut demonstrieren: Handschellen, keine Kaution, ein Zelle auf der Gefängnisinsel Rikers Island, wo angeblich vor allem schwere Fälle einsitzen, eine Anklageschrift, die sexuelle Verbrechen auflistet, von einer Tragweite, dass mit einer mehrjährigen Gefängnisstrafe gerechnet werden muss.

Die Beweislast

Dazu kommt das Erstaunen, das sich in französischen Medienberichten wiederspiegelt, über die ganz anders gewichtete Arbeitsweise in amerikanischen Gerichtsverfahren, wo auf der Verteidigung die große Beweislast liegt, um das Gericht von der Unschuld des Mandanten zu überzeugen. Dominique Strauss Kahns Anwalt hat schon öfter Celebrities vertreten, so Michael Jackson und Puff Daddy, er kennt sich in diesem Rechtssystem aus wie kein zweiter, wird geschrieben und dass er ein "Winner" ist: "Brafman is known for either winning cases at trial or negotiating deals."

Seine Strategie, soweit bislang bekannt, konzentriert sich auf den zeitlichen Ablauf und ein Alibi. Das Kernargument: Dass Strauss-Kahn auf Bildern und nach Zeugenaussagen, die die Anklage untermauerten, so gehetzt wirke, sei nicht seiner überhasteten Flucht zuzuschreiben, sondern einem Termindruck, entstanden durch Verabredung mit seiner Tochter - die angeblich just zu der Zeit anberaumt war, zu der die versuchte Vergewaltigung stattgefunden haben soll - und den nachmittäglichen Flug, den er schon vorzeitig gebucht habe, und nicht erst nach dem Vorfall in der Hotelsuite.

Die zunächst veröffentlichte Version, wonach sich die sexuelle Attacke im Hotel am Samstag gegen 13 Uhr 30 Ortszeit abgespielt habe, wurde von den Behörden gestern um eine Stunde nach vorne korrigiert. Ein Zeichen dafür, dass nicht alles wasserdicht ist, was die Anklage in diesem vermeintlichen klaren Fall vorbringt? Von Seiten der Verteidiger DSKs ist auch das Argument zu vernehmen, dass der Anruf des Verdächtigen im Hotel, wo er sich nach seinem vergessenen Mobiltelefon erkundigte, kaum von jemandem durchgeführt worden wäre, der in diesem Hotel eine Straftat begangen hatte. Das spräche zumindest dafür, dass sich Dominqie Strauss-Kahn tatsächlich so unschuldig fühlt, wie er das vor Gericht behauptet, ohne aber aufzuklären, was in der Suite tatsächlich passierte.

Vorleben

Dagegen steht die Aussage des Zimmermädchens, das ihren Aggressor auch identifizierte und die laut Medienberichten die größte Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen kann. Die "Crédibilité de la femme de chambre" dürfte, wie man das aus unzähligen Gerichtsfilmen kennt, wahrscheinlich die zweite Säule der Anklage sein, die die Verteidigung knicken will. Ob die Fragen zum Vorleben und zur Person, die bislang gut vor öffentlichen Zugriffen geschützt wurde, auch deren Würde bewahren?

Einfügung: "Es gibt keinen Blickwinkel auf dieses Geschehen, dass man es in irgendeinerweise als im Einvernehmen passiert konstruieren könnte", stellte der Anwalt der Angegriffenen gestern klar. "Das ist nichts anderes als ein körperlicher, sexueller Angriff dieses Mannes auf die junge Frau. Und nicht nur ich bin der Meinung, dass diese Frau unschuldig ist, auch die Polizei der Stadt New York kam zum selben Schluss. Es handelt sich um eine Frau ohne Agenda." Der Frau geht es nach Auskunft ihres Anwalts und Angehöriger sehr schlecht.

Das Vorleben des Angeklagten wird derweil schon in den Medien untersucht. Es bietet neben Vorfällen, die bestätigen, dass es sich um einen Mann handeln könnte, dessen Annäherungen an Frauen Vergewaltigungen ähneln, wie sich jetzt auch eine Schriftstellerin erinnert, auch Anhaltspunkte, an die sich Geschichten spinnen, die von einer Intrige sprechen.

So beschrieb laut Libération schon 2009 ein Blog aus Paris, das als Mischung aus Gerüchten und wahren Enthüllungen gekennzeichnet wird, eine "Fantasie" DSKs, die sich herumgesprochen haben soll: Dass er öfter Frauen dafür bezahlt hätte, dass sie ihm, als Zimmermädchen verkleidet, in Luxushotels für gewisse Dienste zur Verfügung stehen. Dominique Strauss-Kahn wäre möglicherweise auch am Samstag der Meinung gewesen, dass es sich um dieses Spiel handele, so die Zeitung Le Parisien.

Ausschließen kann man eine Intrige, eine Falle, die dem IWF-Chef und aussichtsreichen Kandidaten für die Präsidentschaftskandidatur der Sozialisten möglicherweise gestellt wurde, zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit absoluter Sicherheit. Dass so etwas durchaus praktiziert wird, bewies im Jahr 2009 der Fall eines deutschen Nordbank-Bankers, dem man in dessen New Yorker Büro Hinweise unterjubelte, die ihn dem karrierevernichtenden Verdacht aussetzten, er habe eine Vorliebe zu verbotener Pornografie.

Elite, faszinierte Öffentlichkeit und Politik

Ob sich im Laufe des Prozesses gegen Dominique Strauss-Kahn zeigt, dass er unschuldig ist, wie er behauptet, oder schuldig, wie die Anklage, die sich dabei immerhin auf vorliegende Aussagen seines Opfers stützt, wird allerdings die Erdbebenwellen, die die Affäre ausgelöst hat, nicht mehr aufhalten. Dass sich DSK von der Affäre völlig reinwaschen kann, daran glauben nur wenige. So hat sich längst eine Diskussion entwickelt, die sich mit dem öffentlichen Verhältnis zur Elite und mit dem Verhältnis der Elite zum Rest der Welt beschäftigt.

Es gebe offensichtlich, wie auch der Fall Berlusconi zeige, eine Korrelation zwischen mächtigen Männern und dem Gefühl der Straffreiheit, quasi als Grundausstattung zum Posten dazu, das sei neu in der Demokratie, so die Moralphilosophin Michela Marzano von der Universität Paris Descartes gegenüber dem Nachrichtenmagazin Nouvel Observateur. Von einem Komplott würde ja auch Silvio Berlusconi dauernd reden, wenn ihm strafbare Beziehungen zu Minderjährigen vorgehalten werden. Wie in Italien so hätten auch die französischen Bürger in ihrer Wachsamkeit gegenüber der Elite nachgelassen. Marzano erklärt das mit der Faszination der Elite, die zu einer Art Grundhaltung des öffentlichen Lebens geworden ist.

Für die Sozialisten, Mitglieder der PS (Parti Socialiste), die in Frankreich anders als bei deutschen Diskutanten, die bei dieser Einteilung mit fast schon kryptoreligiösem Abgrenzungswillen bei der Sache sind, durchaus als Linke gelten, stellt sich das Problem in besonderer Weise. Der angenehme Gedanke, den ein Sympathisant der PS bei einer Rundfunkdiskussion zum Thema DSK äußerte, wäre der, dass sich die Partei bei der Kandidatenauswahl künftig weniger um Repräsentanten der Elite kümmert als um Personen, die Kontakt zum Leben nebenan haben.