Ein Land macht (tele)mobil

Die türkische Regierung im Faxkrieg

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Letzte Woche wurde der PKK-Chef Öcalan in Rom verhaftet. Die türkische Regierung verlangt dessen Auslieferung, weil er für den Tod vieler Menschen während des Kampfes der Kurden für Unabhängigkeit verantwortlich sei. Italien lehnt die Auslieferung zumindest bislang noch ab, weil Öcalan die Todesstrafe droht. Die Türkei will sogar die Todesstrafe abschaffen, um an den Kurdenführer zu kommen, der ein hohes symbolisches Gut wäre. Wie sich Deutschland verhalten wird, ist noch nicht entschieden, denn auch hier liegt ein Haftbefehl gegen Öcalan vor.

Öcalan selbst bat Italien um politisches Asyl. Die PKK habe mit dem Terrorismus abgeschlossen und sei bereit zu Friedensverhandlungen, um eine friedliche Lösung des 14-jährigen Konflikts zu finden.

Inzwischen schraubt sich die Konfliktspirale hoch. Es kam bereits zu vielen Demonstrationen: Kurden gegen, Türken für die Auslieferung. Der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz ging am Mittwoch sogar soweit, Italien der Unterstützung des Terrorismus zu bezichtigen, wenn der PKK-Chef nicht ausgeliefert werde, während der italienische Ministerpräsident Massimo D'Alema das Recht verteidigte, politisches Asyl zu gewähren, weil das eine "große europäische Tradition" sei. Überdies machte er darauf aufmerksam, daß man das Verhalten der italienischen Regierung nicht als feindseligen Akt gegenüber der Türkei verstehen solle, sondern als einen "Ausdruck der Achtung für unsere eigenen Gesetze, unsere Geschichte, unsere Werte." Droht also ein Kampf der Kulturen?

Mittlerweile hat die Türkei alle Bürger dazu aufgerufen, die italienische Regierung mit Faxbotschaften zu überschütten, die die Auslieferung Öcalans verlangen. Yilmaz rief auch alle türkischen Gastarbeiter dazu auf, diese Kampagne der Regierung zu unterstützen. Die Zeitungen haben vorfomulierte Texte auf italienisch veröffentlicht, und die Post bietet an, die Protestschreiben kostenlos zu übersenden. Der Kommunikationsminister Ahmet Denizolgung sagte, daß man diese Kampagne gestartet habe, "um unseren Bürgern zu helfen, ihren Wunsch nach Auslieferung des Terroristenchefs auszudrücken, der für 30000 Tote verantwortlich ist."

Bislang haben NGOs und andere Gruppen solche Formen der Kommunikation benutzt, um ihren Protest gegen Regierungen zu vermitteln, weil sie nicht über die Massenmedien verfügen können. Als tamilische Widerstandkämpfer letztes Jahr Server der Regierung von Sri Lanka mit Emails bombardierten, sprach der amerikanische Veretidigungsminister von Cyberterrorismus und hob den Vorfall als ersten Cyberangriff hervor, obgleich nichts beschädigt wurde. Von oppositionellen Bürgerrechtsgruppen wie dem Electronic Disturbance Theatre, einer Pro-Zapatista-Gruppe, wird das wiederholte Aufreifen einer Website durch das Programm "Flood Net" als Mittel eines "elektronischen zivilen Ungehorsams" bezeichnet. Man kennt von Regierungen bislang, daß sie im "Medienkrieg" falsche Informationen lancieren oder unerwünschte Informationen zu unterdrücken versuchen, die über Kommunikationskanäle in ihr Land kommen. Doch der Aufruf der türkischen Regierung an ihr Volk, die italienische Regierung durch massenhafte Faxbotschaften, also durch Spam, unter Druck zu setzen, um so nicht nur durch Demonstrationen im eigenen Land oder durch solche vor der Regierung oder den Botschaften des anderen Landes zu zeigen, daß ihre Forderungen dem "Willen des Volkes" entsprechen, ist neu - und damit eine Eskalation der Konflikte in der Informationsgesellschaft. Sollten die Italiener jetzt ihre Bürger dazu aufrufen, einen Gegenschlag auf die Faxgeräte und die Server der türkischen Regierung vorzunehmen?