Ein Netz für eine globale Umweltbewegung

Die Grünen des globalen und virtuellen Zeitalters wollen es sexy, unterhaltsam und modisch haben

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Die Jahrtausendwende dient vielen Zwecken. Das symbolische Datum bringt nicht nur eschatologische Ängste und Probleme wie das Jahr-2000-Problem hervor, sondern läßt auch Initiativen entstehen, die Möglichkeiten sehen, den Eintritt in ein neues Jahrtausend mit einem Umdenken und gesellschaftlichen Veränderungen zu begleiten.

Im Kern der Jahrtausendwende stehen Technik und Globalisierung, die neue Möglichkeiten eröffnen, aber eben auch neue Probleme mit sich bringen, die nach ebenso neuen Lösungen verlangen. Das erst gegen Ende unseres Jahrhunderts entdeckte ökologische Problem stellt die Menschheit sicherlich vor die höchsten Herausforderungen. Es verlangt nicht nur nach globalen Lösungen, sondern auch nach solchen, die quer durch alle gesellschaftlichen Ausdifferenzierungen gehen und in den Alltag eines jeden hineinreichen. Wir alle wissen, daß wir mit hoher Wahrscheinlichkeit die natürliche Ressourcen für die nachkommenden Generationen zumindest schwer schädigen, wenn nicht zerstören, wenn wir weiter so leben und wirtschaften, wie dies in den industrialisierten Staaten der Fall ist (mit 4 Prozent der Weltbevölkerung sind die USA etwa für ein Viertel des weltweiten Ausstoßes an Kohlendioxids verantwortlich).

Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen greift in die Lebenswelt von allen Menschen ein. Es geht um die Revolutionierung unseres Lebens und um die Integration der Aufmerksamkeit auf oder der Verantwortung für die nachkommenden Generationen, also um die langfristige Zukunftsfähigkeit auch ganz elementarer und alltäglicher Verhaltensweisen und Bedürfnissen. Wir leben auf einem hochempfindlichen und mit einer komplexen, wohl noch lange undurchschaubaren Dynamik ausgestatteten Raumschiff Erde, auf dem alles seine Spuren hinterläßt - und dies oft anders, als wir uns dies gedacht haben. Auch wenn man darüber streiten kann, ob der von den Menschen verursachte Ausstoß der Treibhausgase tatsächlich zu einer Veränderung des Klimas führen wird, so ist jedenfalls allen deutlich, daß es mit einem "Weiter so" auch von bislang erfolgreichen Modellen nicht weitergehen könnte. Kontinuität ist ein Risiko - und Wechsel auch.

Vor kurzem hat der bekannte Cyberpunk-Autor Bruce Sterling das Manifest für den 3. Januar 2000 veröffentlicht, um darauf hinzuweisen, daß der Beginn des neuen Jahrtausends die "einzigartige kulturelle Möglichkeit" für etwas ganz Neues eröffnet. Die Geschichte der Menschheit habe zwar gezeigt, daß sie mit "lächerlichen, verfehlten und erniedrigenden religiösen, politischen und wirtschaftlichen Formen" ganz gut zurechtkommen kann, aber daß keine Zivilisation die materielle Zerstörung ihrer Ressourcen überleben kann - und die natürlichen Ressourcen sind die wirkliche Infrastruktur eines Landes und der ganzen Menschheit: Die Welt muß grün werden und braucht eine "neue, unnatürliche, verführerische, mediatisierte, spektakelhafte grüne Bewegung". Da sich alle herrschenden Kräfte von der Politik bis hin zur Wirtschaft als unfähig zum Wandel zeigen, bliebe als letzte Kraft nur ein "kultureller Aktivismus" übrig, der für den Umbau der Gesellschaft über "dezentrierte, autonome kulturelle Netzwerke" sorgen könne. Das Internet stellt als globale Verbreitungsmaschinerie die Grundlage der neuen technokulturellen Elite dar, die Wege zeigt, wie man natürliche Ressourcen durch Information ersetzen kann.

Die Aufgabe der neuen Avantgarde ist die Gestaltung einer stabilen und vorhaltenden materiellen Ökonomie, in der die Reichen und Mächtigen lieber leben wollen. Mao-Anzüge für die Massen stehen nicht auf dem grünen Programm. Couture steht auf dem Programm. Wir brauchen eine Art grüner Mode, die so verführerisch und schillernd ist, daß sie buchstäblich das Leben von Menschen retten kann. Wir müssen die Wünsche der Menschen viel besser zufriedenstellen als das gegenwärtige System. Wir müssen den Menschen die vielen Wünsche aufdecken, die sie besitzen und die das gegenwärtige System nicht einlösen kann. Anstatt sie zu unmenschlichen Anstrengungen und harten Opfern zu bringen, müssen die Menschen in unser 21. Jahrhundert mit einem Seufzer großer Erleichterung sinken.

Bruce Sterling

Eine andere Initiative in Großbritannien bleibt nicht bei einem Manifest stehen, sondern sucht bis zur Jahrtausendwende eine globale Umweltschutzbewegung im Internet zu organisieren. The Millennium Debate ist zwar bislang auch nur Projekt, aber sie verfolgt ein Programm, das tatsächlich in die Tat umsetzbar sein und auch Folgen haben könnte. Nachdem eine Woche lang, parallel zum Klimagipfel in Argentinien, an der Oxford Brookes University ein Energiefest veranstaltet wurde, wird am Montag der Start zum Aufbau einer internationalen Umweltgruppe in Form eines "virtuellen Landes" im Internet öffentlich bekannt gemacht. Hier sollen viele Millionen Menschen über Umweltprobleme und ihre Lösungen miteinander diskutieren, Informationen und Aufklärung finden, neue Techniken verbreiten oder entwickeln, umweltpolitisch korrekte Güter und Techniken anbieten und kaufen können - und gemeinsam so machtvoll werden, um multinationale Unternehmen und Regierungen unter Druck zu setzen.

Die virtuelle Umweltgruppe ist das Projekt einer bunten und gar nicht puritanischen Gruppe von englischen Umweltschutzveteranen und Angehörigen der technokulturellen Elite, wie sie von Sterling propagiert wird. Sie wurde beispielsweise von Ray Foulk, der in den sechziger Jahren die Popfestivals auf der Isle of Wight mit organisiert hatte, vom Schauspieler, Dichter und Erfinder Heathcote Williams oder von Bob Cotton gegründet, dem "creative director" der Multimedia-Firma AMX Studios, zu deren Kunden etwa Oasis oder Pulp gehören. Cotton will zeigen, wie eine "virtuelle Utopie im Internet" realisiert werden kann. Ebenso wie für Sterling ist auch für Cotton klar, daß man viele Menschen nicht nur durch Aufklärung und vor allem nicht durch Aufrufe zur Askese gewinnen kann, sondern nur wenn das Projekt "sexy, hip and cool" ist und an die jungen Menschen herankommt.

Das allerdings läßt sich im Augenblick noch nicht beurteilen. Um die Massen für die "neue Frontier des Dritten Jahrtausends" zu begeistern, also für die Lösung der globalen Umweltprobleme, sollen sie zunächst einmal für das Hauptthema der Energieeinsparung gewonnen werden, indem sie sich ab dem Jahr 2000 im Internet informieren und miteinander diskutieren können. Die "Key Debate" wird vom 1. Januar 2000 wahrscheinlich an einem symbolischen Ort wie dem Millennium Dome in Greenwich beginnen (siehe auch Millennium Dom - Die New Labour Experience) und dann, auch im Web, eine größere Öffentlichkeit sowie die Medien, die Ausbildungsinstitutionen, die Industrie, die Wirtschaft und die Politik einbeziehen: "Die Unterhaltungsindustrie wird eine große Rolle dabei spielen, die Teilnahme und Zelebration zu fördern." Schon 1999 aber will man mit Diskussionen in Schulen, Universitäten, Firmen und Medien beginnen, zusammen mit der Regierung, den Universitäten und der Wirtschaft Forschungen betreiben und finanziell unterstützen. Wichtig sei auch die Einbeziehung der Prominenz, weswegen man die Unterstützung von einflußreichen Personen, Firmen und Institutionen suche. Vor allem setzt man auf professionelle Berater, die bei der Vermarktung des Projekts die entscheidende Rolle spielen müssen.

Um das neue "Grand Design" zu realisieren, will man vor allem deutlich machen, daß diejenigen Gesellschaft, die Investitionen für eine baldige Veränderung machen, auch die Politik und die Technologien schaffen werden, die andere früher oder später übernehmen müssen: "Wer zuerst startet, wird daher wirtschaftlich an der Spitze stehen und moralisch überlegen sein." Parallel zur "Key Debate" soll es eine globale Meinungsumfrage im Internet geben. Zum ersten Mal werde das WWW benutzt, um einer internationalen öffentlichen Meinung über ein globales Thema zum Ausdruck zu verhelfen. Wie diese Meinungsumfrage organisiert werden soll, ist noch nicht entschieden. Man setzt auf die aktive Mitarbeit der Menschen. Zunächst soll ein Entwurf auf der Homepage veröffentlicht werden, die dann gemeinsam weiter entwickelt wird. "Die globale Internet-Meinungsumfrage kann über das WWW Millionen erreichen und die Menschen zu einer Diskussion über die wichtigsten Themen bringen, mit denen die Menschheit im nächsten Jahrtausend konfrontiert ist: Information, Technologie und die Umwelt."

Aber auf der Basis von globalen Umfragen mit Millionen von Menschen könnte "The Millenium Debate" natürlich auch zu einer mächtigen NGO werden. Cotton denkt daran, daß sich Unternehmen boykottieren ließen, die auf einer schwarzen Liste stehen, daß man einen Online-Markt mit umweltfreundlichen Waren gründen und mit Online-Datenbanken für umweltfreundliche Techniken die Durchsetzung grüner Technologie fördern könne. Eine globale virtuelle Gemeinschaft würde überdies Menschen virtuelle Nachbarn schenken, die ihr Engagement stärken, wenn sie in ihrer Umgebung isoliert sind und die Hoffnung verlieren: "Warum sollte man seinen Wagen aufgeben", sagt Cotton, "wenn das alle anderen um einen herum nicht machen? Mit der virtuellen Gemeinschaft könnten Menschen sehen, daß auch dann, wenn ihre wirklichen Nachbarn etwas Bestimmtes nicht machen, dies ihre virtuellen Nachbarn sehr wohl machen."

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