Ein Tag, zwei Siege für die Meinungsfreiheit in Israel

Keine strengeren Akkreditierungsrichtlinien für ausländische Journalisten und die Aufhebung der Zensur für den Film "Jenin, Jenin"

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Am Morgen gab das Büro des Premierministers bekannt, die Akkreditierungsregeln für ausländische Journalisten würden nun doch nicht verschärft. Außerdem verzichte man ab Ende des Monats auf die Dienste des umstrittenen Pressechefs Daniel Seaman. Am Nachmittag erklärte dann der Oberste Gerichtshof in Jerusalem das Verbot des Dokumentarfilms Jenin, Jenin für unzulässig: Die staatliche Filmzensur habe ihre Kompetenzen überschritten.

Bild aus Jenin, Jenin

Nach der Urteilsverkündung demonstrierten vor dem Gerichtsgebäude mehrere Dutzend Angehörige von israelischen Attentatsopfern gegen den Film.

Man darf nicht vergessen, wer in diesem Konflikt Opfer und wer Täter ist. Der Film ist ein Machwerk voller Lügen und Unwahrheiten, das nur einem Zweck dient: Das Ansehen Israels und seiner gefallenen Soldaten in den Schmutz zu ziehen.

Yonit Schulman, eine der Demonstrantinnen

Auch die politische Rechte stellte sich gegen das Urteil: Das Gericht ignoriere den Überlebenskampf Israels, und die Notwendigkeit den kämpfenden Soldaten Rückhalt und den Familien der gefallenen Soldaten Unterstützung zu geben, wird der Likud-Abgeordnete Yuval Steinitz in der hebräischen Ausgabe der Zeitung Haaretz zitiert.

Gesehen hat den Film, der sich kritisch mit der israelischen Belagerung Jenins im April 2002 auseinander setzt, aber vermutlich keiner von ihnen. Während die Dokumentation des palästinensischen Filmemachers Mohammed Bakri international Erfolge feierte, war sie in Israel nur einen Abend lang zu sehen. Die Cinemateque Tel Aviv hatte den Film im vergangenen Jahr noch dreimal an einem Abend vor ausverkauftem Saal zeigen können, bevor die staatliche Film-Kommission am nächsten Morgen ihr Verbot aussprach. In ihrer Begründung hatte die Zensurbehörde "Jenin, Jenin" als "Propagandafilm" bezeichnet: Die Dokumentation stelle die Ereignisse in einem einseitigen Licht dar und präsentiere den Zuschauern eine Reihe falscher Fakten, heißt es in der Begründung:

Der Film könnte Israelis unter dem Deckmantel der dokumentarischen Wahrheit zu der Ansicht verleiten, dass israelische Truppen systematisch und absichtlich Kriegsverbrechen verüben.

Eine Schlussfolgerung, mit der die Filmkommission nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes ihre Kompetenzen überschritten hat.

Es war nicht Sache des Gerichts zu entscheiden, ob der Film die Wahrheit oder Unwahrheit sagt. Es ist aber unsere Ansicht, dass die Vorwürfe der Lüge und der Einseitigkeit, selbst wenn sie zutreffend wären, für ein Verbot nicht ausreichen würden. Die Filmkommission ist nicht dazu befugt, Entscheidungen auf ideologischer Grundlage zu treffen. Sie hat kein Monopol auf die Wahrheit und hat nicht die Aufgabe zu entscheiden, was die Unwahrheit ist und welchen Effekt sie auf die Öffentlichkeit haben könnte. (...) Auch in schwierigen Zeiten haben Entscheidungen staatlicher Stellen, insbesondere der Zensurbehörden und dem Presseamt der Regierung, allein auf den Gesetzen und Verordnungen zu basieren.

Urteilsbegründung des Obersten Gerichtshofs
Zerstörte Hauptsraße in Jenin

Theoretisch haben die Gegner des Films nun die Möglichkeit, eine Überprüfung des Urteils vor dem großen Senat des Obersten Gerichtshofes und damit eine Grundsatzentscheidung zu beantragen. Doch es sei unwahrscheinlich, dass dort ein anderslautendes Urteil fallen werde, sagt der Anwalt David Liba'i, der Anfang der 90er Jahre Justizminister unter Yitzhak Rabin war:

Zum Einen ist diese Entscheidung sehr sorgfältig formuliert. Zum Anderen haben die drei Richter in ihrem Urteil eine Richtung für mehrere anstehende Urteile vorgegeben. Man kann also davon ausgehen, dass sich die verkündete Meinung mit der der Mehrheit der Richter am Obersten Gerichtshof deckt.

Persönlich würde er ein Grundsatzurteil begrüßen, sagt Liba'i. Denn er betreut zur Zeit einen ähnlichen gelagerten Fall: Das Presseamt der Regierung hatte im Sommer zwei ausländischen Korrespondenten die Akkreditierung entzogen, weil diese nach Meinung der Behörde "kontinuierlich die Unwahrheit verbreiteten". Eine endgültige Entscheidung im Fall "Jenin, Jenin", hofft der Anwalt, werde auch das Presseamt, das die ausländischen Journalisten akkreditiert und informiert, in die Schranken weisen. Denn Behördenchef Daniel Seaman bekämpft seit gut drei Jahren die ausländischen Medien, wo er nur kann (Bürgerrechte für die Breitbandwelt).

Doch ein Gerichtsurteil wird möglicherweise gar nicht mehr nötig sein. Denn mittlerweile scheint auch die Regierung genug von Seamans Kleinkrieg zu haben: Der Presseamtschef werde zum Monatsende ausgetauscht, kündigte Ra'anan Gissin vom Büro des Premierministers, dem das Presseamt untersteht, am Dienstag morgen an. Außerdem werde auf die umstrittene Neufassung der Akkreditierungsrichtlinien verzichtet. Für heftigste Kritik im In- und Ausland hatte vor allem die Ankündigung gesorgt, künftig alle Journalisten durch den Schin Beth überprüfen zu lassen: Damit hätten Korrespondenten, die militante Palästinenser interviewen, um ihren Presseausweis fürchten müssen; außerdem hätte der Inlandsgeheimdienst die Möglichkeit gehabt, kritische Journalisten auszusieben, ohne dafür Gründe nennen zu müssen. Seaman hatte die Zahl der akkreditierten ausländischen Journalisten auf diese Weise von derzeit angeblich 8.000 auf maximal 1.000 senken wollen. Begründung: In der Vergangenheit sei eine große Zahl von Presseausweisen an Leute vergeben worden, deren journalistische Tätigkeit zweifelhaft sei; Polizei, Militär und Grenzbeamte könnten daher kaum noch wissen, ob sie es wirklich mit einem Journalisten zu tun haben sollen.

Das Aus für Seaman war schon länger beschlossene Sache gewesen: Er trug offiziell nur den Titel eines kommissarischen Leiters; seine Bewerbung um einen festen Vertrag war vor gut einem Monat abgelehnt worden: Auch dem Büro des Premierministers, dem das Presseamt untersteht, war Seamans Vorgehensweise ungebührlich harsch vorgekommen. Ursprünglich hatte er jedoch erst Ende Februar seinen Sessel räumen sollen - nach dem öffentlichen Aufschrei über die neuen Akkreditierungsregeln sei Seaman aber nicht länger haltbar gewesen, berichtet ein Mitarbeiter des Premierministerbüros, der nicht genannt werden will. Ganz offen spricht hingegen Yoram Dori, Sprecher des Außenministeriums:

Mit seinem konfrontativen Stil hat Seaman dem Ansehen Israels in der Welt schweren Schaden zugefügt. Wir erwarten, dass sein Nachfolger erneut ein gutes, vertrauensvolles Verhältnis zu den ausländischen Korrespondenten aufbauen wird.

Darauf hofft auch Ra'nan Gissin vom Büro des Premierministers: "Es wird die Aufgabe des neuen Leiters sein, dafür zu sorgen, dass alle hauptberuflichen Journalisten ohne Behinderungen berichten können, aber gleichzeitig die tatsächliche journalistische Tätigkeit genau geprüft wird." Denn vor allem die rund 10.000 Israelis, die Ausweise des Presseamtes haben, stechen ins Auge: In Israel gibt es gerade einmal vier ernstzunehmende Tageszeitungen. Ob künftig auch palästinensische Journalisten wieder Presseausweise bekommen können? "Ich kann nichts ausschließen; alles wird neu geprüft werden", sagt Gissin.

So ist auch der Bürgerrechter Professor Yaharon Esrachi guten Mutes: "Es sind heute zwei Schritte in die richtige Richtung getan worden", sagt er. Am 8. Dezember soll "Jenin, Jenin" in der Cinemateque Tel Aviv zum zweiten Mal Premiere feiern. Regisseur Mohammed Bakri will dann dabei sein - wenn es geht:

Ich bin überglücklich. Ich erwarte nicht, dass alle Zuschauer meinen Film mögen. Aber sie sollen wenigstens die Möglichkeit haben, sich selbst ein Bild zu machen.