Ein ganz normales Wochenende in Athen

Finanzminister Yanis Varoufakis. Bild: W. Aswestopoulos

Die Neuauflage des Referendums - kurz vor der Eurogruppe

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Für die Regierung Alexis Tsipras war der gestrige Sonntag irgendwie ein gebrauchter Tag. Finanzminister Yanis Varoufakis war einen Tag vor der Eurogruppe des Montags nach Italien gereist. Dort wollte er Verbündete für das Ringen um eine Abwendung der Staatspleite finden. Was weder Varoufakis noch Tsipras gegenüber dem Wahlvolk verantworten können, sind neue "Sparmaßnahmen" und "Reformen" nach dem seit Mai 2010 gescheiterten Muster. Varoufakis gab der Corriere della Sera ein Interview. Auch für des Italienischen nicht mächtige Zeitgenossen ist in diesem Interview eindeutig das Wort Referendum zu lesen. Ergänzt wird es durch einen in Klammer gesetzten Hinweis auf den Euro. Für die übrige Presse gab diese Kombination nur eine Konsequenz für den Titel "Athen erpresst Europa" heißt es. Als Anführer der Erpresser wird Varoufakis mit seiner Idee zum Referendum genannt.

Varoufakis in der Falle der Presse

Geduldige Kenner des griechischen Dramas erinnern sich, dass vor dreieinhalb Jahren der damalige Premierminister Giorgos Papandreou mit einem ähnlichen Vorschlag in die Falle der europäischen Partner tappte. Papandreou meinte, dass das griechische Wahlvolk als Souverän in letzter Konsequenz entscheiden müsse, ob es die Vorgaben der Eurogruppe erfüllen kann und möchte. Bekanntlich wurde der griechische Premier zunächst dazu gedrängt über den Euro als solchen abstimmen zu lassen. Als man die Tragweite einer solchen Frage erkannte, schickte "man" Papandreou in die Wüste Papandreou beugt sich dem Druck und sagt Referendum ab. Wer mit "man" alles gemeint ist, darüber hat Papandreou noch keine abschließende Auskunft gegeben. Er deutete zumindest an, dass es außer den europäischen Partnern, seinem Nachfolger in der Parteiführung Evangelos Venizelos auch noch Kreise der Presse gab, die an seinem Sturz arbeiteten.

Etwas ähnliches fürchtet nun Varoufakis. Er dementierte sofort, dass er ein Referendum über den Euro angedacht habe. Varoufakis möchte vielmehr das Volk an den Sparentscheidungen und Reformen mit entscheiden lassen. Denn diese sind vom Wahlprogramm von SYRIZA keineswegs abgedeckt. Den Redakteuren der Corriere della Sera warf Varoufakis im Nachhinein Methoden der Yellowpress vor. Vom Amtsitz des Premierministers, dem Megaron Maximou, gab es Rückendeckung. In einem an die Presse verteilten Non-Paper erklärte die Regierung, dass der italienische Journalist seine persönlichen Anmerkungen in Klammern gesetzt habe. Die Regierung vermutet eine gesteuerte konzertierte Aktion gegen ihren Finanzminister und versichert diesem ihre volle Unterstützung.

Links- oder Rechtsextrem?

Kaum hatten sich die Wogen über Varoufakis Äußerungen etwas gelegt, kam aus Athen die nächste Attacke auf nordeuropäische Behaglichkeit. Die Presse hatte Äußerungen von Panos Kammenos entdeckt. Der rechtspopulistische Verteidigungsminister Griechenlands hatte erklärt, dass im Fall einer Staatspleite des Landes das Schengen-Abkommen und die Dublin-II-Vereinbarung ausgesetzt würden. Dann drohe Nordeuropa ein Zustrom von Islamisten, schlussfolgerte Kammenos.

Die Urheberschaft dieser Idee liegt jedoch nicht beim Parteichef der Unabhängigen Griechen. Der aus marxistischen Kreisen stammende Außenminister Nikos Kotzias hatte bereits Tage vorher ein ähnliches Statement abgegeben, Kotzias ging sogar noch einen Schritt weiter. Er vermutet, dass sich mit der Krise auch die griechische Jugend, die mit knapp 60 Prozent Arbeitslosigkeit den Titel der verloren Generation hat, immer mehr radikalisiert.

Tatsächlich werden die bislang im Sinn der Dublin-II-Vereinbarung inhaftierten Immigranten seit einigen Tagen schrittweise frei gelassen. Vize-Ministerin Tasia Christodoulopoulou möchte die Immigranten nun in extra anzumietenden Wohnungen und Hotels unterbringen. Dies wiederum bringt nicht nur für die linke Politikerin ordentlich Gegenwind. Auch gegen Panos Kammenos wird protestiert. Konservative Griechen verlangen von dem rechten Koalitionspartner Tsipras, dass er der laschen Politik gegenüber den Immigranten Einhalt gebieten sollte und sich nicht am Posten des Verteidigungsministers festklammern sollte.

Tsipras selbst bekommt den Zorn der linken Griechen und der Anarchisten zu spüren. Dieser Bevölkerungsgruppe gehen die Initiativen der Regierung nicht weit genug. Am Sonntag wurde daher kurzerhand die Parteizentrale von SYRIZA gestürmt. Die überwiegend anarchistischen Besetzer blieben bis kurz vor Mitternacht. Sie protestierten vor allem gegen die von Samaras eingerichteten Hochsicherheitsgefängnisse. Die vor Ort befindlichen Parteifunktionäre von SYRIZA bemerkten mit vollkommen entgeisterter Mine, dass sie ein Gesetz zur Abschaffung der Hochsicherheitsgefängnisse bereits in der Planung hätten. Somit sei die Besetzung vollkommen überflüssig. Die Polizei wurde jedoch nicht eingeschaltet.

Bild: W. Aswestopoulos

Sind kapitalflüchtige Politiker ein Lichtblick für Tsipras?

Am Samstag wurde bekannt, dass der bis Ende Januar amtierende Finanzminister Gikas Chardouvelis die Kapitalflucht zu seinen Hobbys zählt. Samaras oberster Finanzchef hatte nicht nur einen Haufen Geld ins Ausland geschafft. Die Presse errechnete, dass er mit seinen damaligen Einkommen die Summen der Auslandseinlagen nicht erklären könne. Einfacher ausgedrückt könnte man Chardouvelis zumindest als der Steuerhinterziehung verdächtig bezeichnen.

Den ehemaligen Minister ficht dies nicht einmal direkt an. Er verweist nur darauf, dass er seine Transaktionen vor der Ernennung zum Minister abgeschlossen habe und dass er seinerzeit durch kein Gesetz zur Offenlegung seiner Geldquellen verpflichtet gewesen sei. Trotzdem interessiert sich nun die Staatsanwaltschaft für die Affäre. Stolze 56 Mal hatte Chardouvelis Summen von knapp unter 10.000 Euro ins Ausland überwiesen. Bei 10.000 Euro, der damals gültigen Prüfsumme, hätte die Steuerfahndung Alarm geschlagen. Solange nur Summen von 9987 oder 9950 Euro flossen, fiel es nicht auf.

Ganz so neu sind die Vorwürfe nicht. Der jetzige Finanzminister Varoufakis hatte vor knapp einem Jahr bei der Ernennung Chardouvelis zum Finanzminister haarklein aufgelistet, dass Chardouvelis aus den Kreisen des ehemaligen Premiers Simitis stamme. Der Zahlenfuchs diente seinerzeit als einer der Finanzberater der Regierung. Simitis hatte Griechenland mit falschen Zahlen in die Eurozone gebracht und dem Land damit einen Bärendienst erwiesen.

Darüber hinaus hatte Chardouvelis als Finanzchef der Eurobank während der Krise 13,3 Milliarden Euro oder 7,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für seine Bank heraushandeln konnte. Bei den Geldern handelte es sich um Zahlungen des griechischen Staats zur Stützung der Bank. Kurzum, ein politischer Gegner von Tsipras und Varoufakis hatte sich als zumindest bigott agierender Politiker entpuppt, was eigentlich ein Grund zur Freude für die beiden wäre.

Leider tauchte eine Liste mit Namen weiterer Politiker auf. Auf dieser befinden sich auch Namen von Mitgliedern und Parlamentariern der Linken. Überdies verkündete der ehemalige Minister der PASOK und aktuelle Fraktionssekretär Leonidas Grigorakos, dass der Staat sich bisher nie für Listen steuerflüchtiger Reicher und Mächtiger interessiert habe. Weil er als selbst an der Regierung Beteiligter das kollektive Versagen zugab, schaffte er damit auch für die neue Regierung keinen Vertrauensvorschuss.

Das verschmierte Gebäude der TU. Bild: W. Aswestopoulos

Ist ein Graffiti Kunst oder hat die Regierung beim Schutz versagt?

Griechenland ist nämlich ein Land der Symbole. Wenn einem Symbol etwas Übles widerfährt, dann ist die Regierung unfähig, meinen die Griechen sehr oft und lasten der betreffenden Regierung dann auch noch die Sünden der Vorgänger an.

Die Athener staunten nicht schlecht, als sie am Freitagmorgen erwachten, und das rund 150 Jahre alte Gebäude der Technischen Universität an der Ecke Stournaras - Patision-Straße mit einem riesigen Graffiti verunstaltet vorfanden. Die gesamte Hausfassade wurde mit schwarzen und weißen wellenähnlichen Gebilden verziert. Ist es nun Kunst oder Vandalismus, fragen sich die Athener. In ihrer Übertreibung fabulieren viele bereits vor der Gefahr, die Akropolis eines Tages so vorzufinden. Schließlich ist die Gegend um das Polytechnikum eine der unter Samaras am besten bewachten Bereiche der Stadt gewesen.

Fußballfans vor dem Stadion. Bild: W. Aswestopoulos

Fußball als Spiegel der Gesellschaft

Beinahe könnte man die komplette aktuelle Dramatik in Griechenland am Fußball manifestieren. Denn auch hier hat sich Tsipras viele Feinde geschaffen. Die Fußballsaison wurde nach Ausschreitungen im Stadion von Panathinaikos Athen, kurz PAO, zunächst ausgesetzt. Die Fans von PAO hatten randaliert, als der Präsident des Erzfeinds und Serienmeisters Olympiakos Piräus, Vangelis Marinakis, als Gast im Stadion provokant wie ein absolutistischer Herrscher umherstolzierte und die Fans spöttisch ärgerte. Seinen Trainer ließ Marinakis eine ähnliche Show abziehen. Olympiakos verlor und PAO bekam zur Strafe die Punkte abgezogen. Gegen Marinakis laufen einige Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Spielmanipulation.

Marinakis ist im offiziellen Hauptberuf Reeder, somit weitgehend steuerfrei. Die Fans von PAO bringen ihn jedoch offen mit einem weiteren Gewerbe, dem Heroinhandel, in Verbindung. Der Vorwurf lautet, dass Marinakis als Drahtzieher und Geldgeber hinter einem Fund von mehreren Tonnen Heroin stecken soll. Diese Aussage wurde im Fernsehen von SKAI gemacht und in mehreren Internetseiten weiter verbreitet. Dass hinter dem Sender SKAI Marinakis Konkurrent, der Präsident von PAO, Giannis Alafouzos steckt, macht die Sache nur noch verwirrender.

Bild: W. Aswestopoulos

Die Fans sangen den Vorwurf den gesamten Abend über. Sie hatten sich aus Protest gegen die Stadionsperrung vor dem Stadion zur Demonstration versammelt. Etwas mehr als 5000 PAO Fans brüllten sich buchstäblich die Seele aus dem Leib, damit die Spieler im für Zuschauer gesperrten Station die Anfeuerungsrufe hören konnten. "Marinakis Du Hurensohn, Du verkaufst Heroin", skandierten die Fans und fügten hinzu: "Die Freude machen wir Dir nicht, wir rauchen nur Hasch!" Letzteres taten die Fans in erheblichem Umfang, was sich durch einen intensiven Geruch bemerkbar machte. Die präsente Polizei griff nicht ein. Schließlich wird Marinakis auch noch als Geldgeber von SYRIZA gehandelt. Eine Konfrontation mit den Ordnungskräften wäre somit direkt Tsipras angelastet worden.

PAO spielte am Sonntag gegen PAOK Thessaloniki und gewann in einem abwechslungsreichen Spiel 4:3. Das Ergebnis wäre schlicht eine Randnotiz für Chronisten wert, denn die Meisterschaft ist faktisch durch Punktabzüge für PAO und PAOK bereits zu Gunsten von Olympiakos Piräus entschieden. Beim Feiern nutzten die Fans jedoch die Gelegenheit zur politischen Demonstration. "Alle Fans mit Schal sollen den Schal hochhalten", schrie der Einpeitscher und ergänzte: "Wer keinen Schal hat hebe die linke Faust zum Gruß." Tausendfach sah man danach die linke Faust, den traditionellen Gruß der Linken. "Wir sind die wahren Linken", meinte Christina, eine Antifa-Aktivistin und glühende PAO-Anhängerin zu Telepolis.