Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose

American Beauty: Sezierung einer amerikanischen Vorstadtidylle

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Dass eine Rose nicht unbedingt eine Rose sein muss, beweist "American Beauty", das Erstlingswerk des preisgekrönten Theaterregisseurs Sam Mendes. Es beschreibt die Sezierung einer amerikanischen Vorstadtidylle, die eigentlich den "American Dream" verkörpert und doch voller menschlicher Abgründe steckt.

Die Kamera gleitet, unterlegt von der Off-Stimme des Erzählers Lester Burnham (Kevin Spacey), der sein Umfeld vorstellt, über eine solche Vorstadt. Mit gleichmütiger Stimme stellt er fest, dass er in weniger als einem Jahr tot sein wird, eigentlich schon jetzt tot ist.

Lester steht unter der Dusche und onaniert. Sein lakonischer Kommentar dazu: "Sie werden es nicht glauben, aber das ist schon der Höhepunkt meines Tages. Danach geht es nur noch bergab." Burnhams Ehe mit Carolyn (Annette Bening), einer Immobilienmaklerin, besteht nur noch aus gegenseitiger Verachtung, die halbwüchsige Tochter Jane (Thora Birch) verlangt von ihrem Vater nichts, als in Ruhe gelassen zu werden, und in der Arbeit sind die Rationalisierer am Werk. Lester Burnham verkörpert das Mittelmaß, den gelebten Alptraum, dem außer einem freistehenden Haus mit Rosengarten und zwei Autos vor der Garage nur die bohrende Frage bleibt, was ihm wohl im Lauf des Lebens verloren gegangen ist.

Erst das Zusammentreffen mit Angela (Mena Suvari), einer Schulfreundin seiner Tochter, setzt eine Entwicklung in Gang, an deren Ende Lester zwar tot, aber dafür glücklich sein wird. Die in ihm entflammte Leidenschaft bricht Strukturen auf, "als habe er 20 Jahre im Koma gelegen": Angela schwimmt in seinen Tagträumen in einem Meer aus Rosenblättern, die bis dato ein Symbol für den Ordnungswahn seiner Frau waren, der im eigenen Vorgarten ausgelebt wurde.

In jedem Zimmer des Hauses findet sich eine Vase mit Rosen, als ob damit dem Perfektionismus ein Zeichen gesetzt würde. Die Rose an sich gewinnt für Lester eine vollkommen neue Bedeutung, indem sie die Schönheit der verehrten Angela unterstreicht. Als er auf einer steifen Party der Immobilienmakler auch noch den Nachbarsjungen Ricky Fiitts (Wes Bentley) kennenlernt, der lieber in Ruhe einen Joint raucht, als weiter den servilen Kellner zu spielen, wird Lester endgültig von der Intensität der Jugend eingeholt. Ricky lebt in seiner Konsequenz scheinbar das Leben, das Lester schon lange verloren hat. Dass der Umgang mit Rickys gewalttätigem Vater, einem Nazi-Verehrer und ehemaligen Colonel, eine solche Konsequenz zum Überleben fordert, ist Lester zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst.

Von seinen wiedergewonnenen Gefühlen inspiriert, beginnt Lester sein Leben in die Hand zu nehmen. Er kündigt seine Arbeit, um einen Job anzunehmen, der von ihm "das geringst mögliche Maß an Verantwortung verlangt". Er weist seine bis zur Marionettenhaftigkeit perfektionistische Frau in die Schranken, indem er nicht mehr so funktioniert, wie sie es gerne hätte. Er reift zum Menschen, der seine Entscheidungen selbst, aus dem Gefühl der inneren Freiheit heraus trifft. Ohne Angst vor Konsequenzen durchbricht er die polierte Konsumwelt und lebt damit sein Leben zum ersten Mal seit langer Zeit wieder bewusst. Der Spagat dieser Verwandlung, die sich auch in einer körperlichen Wahrnehmung ausdrückt, gelingt dem grandiosen Kevin Spacey mühelos.

Mit dem Durchbrechen der bis dahin gültigen Verhaltensregeln kommt Lester seiner Frau ein letztes Mal wirklich nahe. Doch bevor sie sich seiner neu erwachten Leidenschaft hingeben kann, wird sie durch einen Blick in die falsche Richtung in ihre Welt der Oberflächlichkeit und Gefühllosigkeit zurückgeholt. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hat sie damit ihre letzte Verbindung endgültig durchschnitten.

Der Film widmet sich dem Schönheitsideal unserer Zeit und nimmt es gleichzeitig gnadenlos auseinander. In welcher Realität spielt ein 4000 Dollar Sofa die größere Rolle als die Liebe und Leidenschaft zwischen zwei Menschen? In welchen unerwarteten Formen sich Schönheit präsentieren kann, beweist Hobbyfilmer Ricky, der Jane seine liebste Aufnahme zeigt. Ein weißer Plastiksack wird vom Wind vor einer Backsteinwand hin- und herbewegt.

"Plötzlich realisierte ich, dass hinter den einfachsten Dingen mehr steckt, als ich es bisher für möglich gehalten hatte. Es war soviel Schönheit in dieser Erkenntnis, dass ich es kaum ertragen konnte."

Das Pärchen Ricky und Jane bekommt im Laufe des Films eine immer tragendere Bedeutung. Sie verkörpern die Menschen, die noch mit allen Sinnen wahrnehmen, die noch nicht von der Oberflächlichkeit des Konsums geblendet sind. Auch Lester Burnham kann dieses Leben noch für kurze Zeit auskosten, bevor er in der Küche erschossen wird. Obwohl auch sie den gleichen Plan hatte, ist seine Frau Carolyn nicht die Täterin. Sie erscheint einige Minuten zu spät auf der Bildfläche.

Mit "American Beauty" hat sich der Brite Sam Mendes die Messlatte für künftige Filmprojekte sehr hoch gehängt. Er hat einen Blick in die Spießigkeit und tiefe Tristesse des Mittelmaßes offengelegt, das im Film sehr amerikanisch ist, jedoch universell einsetzbar scheint. Der Umstand, dass Mendes Europäer ist, hat dabei sicher nicht geschadet. Andererseits erstaunt, dass der mit ironischen und bösartigen Zitaten gespickte Film von Steven Spielberg mitbetreut wurde.

Am 20.01.2000 startet der Film in unseren Kinos - zurücklehnen und genießen.

American Beauty
Regie: Sam Mendes
Länge: 122 min.