Eine Wunderwaffe?

Ein "Blitzkrieg Server" mit digitalen Mikroben gegen Angriffe auf Netzwerke

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Der Kalte Krieg sei vorbei, der digitale Krieg beginne jetzt, wirbt die Firma Future Vision für ihre angebliche Supperwaffe zur Sicherung von vernetzten Systemen. Die Zeit ist natürlich günstig, zumal die Panik vor dem Informationskrieg und Informationsterrorismus umgeht - oder kräftig geschürt wird.

Bill Clinton hat unlängst neue Maßnahmen angekündigt, um den möglichen Feind abzuwehren und die von Computernetzen abhängige Infrastruktur der USA besser zu schützen. Clinton wies dabei auf das wiederholte Eindringen von Hackern in die staatlichen und militärischen Computersysteme und auf den kürzlich geschehenen Ausfall des Satelliten hin, der Pagers, Bankautomaten, Kreditkartensysteme und TV-Netzwerke lahmgelegt hatte. Solche Ausfälle könnten auch Terroristen, Kriminelle oder feindliche Staaten bewirken.

Vor ein paar Tagen wurde ein sogenannter "Hacker Think Tank" denn auch zu einem Senatsausschuß geladen, um sich bei den vorher geschmähten Hackern über die in letzter Zeit immer wieder bekannt gewordenen Sicherheitsrisiken zu informieren. Die Mitglieder der Hackergruppe LOpht Heavy Industries wurden im Ausschuß als die "Rockstars der Hackergemeinschaft" vorgestellt, und man erlaubte ihnen ihre "handles" zu benutzen. Senator Joseph Liebermann pries die Hacker an, daß sie gute Bürger seien und einen "wertvollen Dienst für das Land" ausführen. Und die Gruppe selbst brüstete sich, daß sie in der Lage sei, in kürzester Zeit das gesamte Netz der USA für ein paar Tage lahmzulegen, wenn die Hackerstars es denn wollten.

Auftritt Laurence F. Wood, angeblich ein Quantenphysiker, der zuvor im amerikanischen Verteidigungsministerium an KI-Programmen gearbeitet, 1995 die FutureVision Group mitgegründet und die Abteilung mit dem seltsamen Namen "Network Waffen- und Munitionsfabrikgruppe" eingerichtet hat. Noch verrät er wenig, aber er hat eine Superwaffe in der Tasche und angeblich auch ein System entwickelt, das irgendwie auf der Quantenstatistik beruht. Auf der TechNet 98 soll ein Prototyp des von ihm entwickelten "Blitzkrieg Servers" vorgestellt, der Netzwerke vor Angriffen von Hackern durch den Einsatz einer Form des Digitalen Lebens schützt und auf Wunsch zurückschlägt, indem der angreifende Computer durch Viren lahmgelegt wird. Wie das gehen soll, wird freilich nicht verraten.

Angeblich würden sich bereits FBI, CIA und andere Regierungsbehörden für die Angriffs- und Schutzsoftware lebhaft interessieren, die in Form eines Immunsystems für ein ganzes Netzwerk mit allen Rechnern und peripheren Geräten arbeiten soll. Im Zentrum des Blitzkrieg oder Lightning Servers steht eine "Vereinheitlichte Allgemeine Bewegungsgleichung" (UGEM), die Selbstorganisation und nichtlineare Analyse sowie Optimierung in einem verteilt arbeitenden, komplexen System ermöglichen soll, aber auch neue Ver- und Entschlüsselungsalgorithmen anbietet. In einer "näheren" Beschreibung gehen dem Nicht-Physiker, wohl aber auch den Physikern die Augen über: "Alle UGEM-Systeme werden als nichtlineares Feld realisiert und von einem solchen repräsentiert, das in einem einheitlichen, aber nichtlokalen Raum existiert. Alle operationalen UGEM Systemeigenschaften werden durch eine komplexe Wellenfunktion beschrieben, die der UGEM Statistik, einem übergeordneten Menge der Quantenstatistik, unterliegt ..."

Was macht dieses mysteriöse UGEM-System, das angeblich die Gesetze enthält, die die Komplexität der Selbstorganisation in der ganzen Natur steuern, und eine Lösung für bislang nicht aufzulösende Rechenprobleme? Eine Art von Agenten oder "digitalen Mikroben", die Wood "selbstprogrammierende adaptive Automatacapsids" nennt, verändert nach unterschiedlichen Transformationsregeln sich selbst und Daten und erzeugt bzw. reproduziert neue digitale Mikroben. Gemeinsam können als eine Art "kollektiver Intelligenz", nachdem sie sich über ein Netzwerk verbreitet oder es infiziert haben, komplexe Daten analysieren. Sie befinden sich an den Ein- und Ausgängen des Systems und überprüfen, ob etwa ungewöhnliche Daten in das Netzwerk gelangen wollen. Nach einem Alarm könne die Software, nachdem der Systemadministrator benachrichtigt wurde, einen möglichen Angreifer identifizieren, ihn isolieren, sich ihm anpassen, ihn abwehren und eventuell einen Gegenangriff starten. Auch umgekehrt könnten digitale Mikroben, beispielsweise von einem Drucker oder einem Mobiltelephon, ein Netzwerk infiltrieren.

Angeblich habe sich der Lightning Server bereits bei einem Probelauf im letzten Jahr bewährt. Japanische Hacker sollen über ein amerikanisches Netzwerk, zu dem sie Zugang über ein Password erlangt haben, das ihnen ein verärgerter Systemadministrator gegeben hat, Spam Mails verschickt haben. Sie sollen, wie die Defense Week und Sunday Times berichtet, Bilder von minderjährigen japanischen Mädchen angeboten und die Aufforderung enthalten haben, bei Mißfallen eine Email zurückzuschicken, um sich aus der Liste auszutragen. "Sobald sie geantwortet und darum gebeten hatten", so Wood, "von der Liste entfernt zu werden, besaßen die Hacker ihre Email und die Adresse ihres Servers." Die Japaner hätten dann versucht, mit der bekannten Identität nach Passworddateien zu suchen und sie zu entziffern. Diese Aktivität sei vom Lightning Server festgestellt worden. Die Hacker haben sodann eine Pause eingelegt und vor einiger Zeit ihre Aktivität wieder aufgenommen. Die meisten Betroffenen, darunter auch das FBI, seien gewarnt worden, hätten ihre Emailadressen verändert und ihre Systeme besser geschützt.

Das Schwierige, so erzählte Wood der Defense Week, sei weniger, ein solches digitales Immunsystem aufzubauen, als sicherzustellen, daß es nicht das eigene Netzwerk schädigt, und zu gewährleisten, daß es sich nicht der Steuerbarkeit entzieht. Wenn denn ein solches Immun- und Angriffssystem wirklich funktionieren sollte, könnte es natürlich auch das Interesse von anderen erwecken und eine Art Rüstungsspirale einsetzen. Zu diesem Zweck habe man vor einigen Monaten eine Web Site eingerichtet, auf der man nur weiter vorankommen könne, wenn man über gewisse Kenntnisse verfüge. Neugierig seien vor allem Menschen aus dem früheren Ostblock und von China gewesen. Wenn aber jemand sich zur Abwehr aufrüsten und selbst digitale Mikroben schaffen wolle, so könne die Woodsche Wunderwaffe sich wie ein biologisches Immunsystem an die neue Gefahr anpassen und das betroffene Netzwerk schützen. Aber auch biologische Immunsysteme gewähren keine absolute Sicherheit ...

Jetzt will Future Vision erst einmal mit einer Special Project Section mit ehemaligen Mitglieder des Fleet Anti-Terrorism Scurity Team (FAST) der amerikanischen Marine zeigen, wie leicht sie mit den digitalen Mikroben in ein Netzwerk eindringen und es übernehmen können. Das wäre natürlich eine gute Werbung für die Firma, damit sich alle gegen die digitalen Mikroben mit digitalen Mikroben schützen. Aber vielleicht ist alles ja auch nur ein Aprilscherz.