Eine marktbezogene Entscheidung

Freedom Network geht - Gridpatrol kommt

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Debatte um Verschlüsselung hat gerade einen Höhepunkt erreicht, da stellt der renommiertesten Anbieter Zero-Knowledge seinen Anonymisierungsservice Freedom Network ein. "Eine rein marktbezogene Entscheinung", erklärt der Anbieter. Hersteller von Überwachungstools scheinen diese Probleme nicht zu haben. Mit Gridpatrol ist am 1. Oktober ein neuer Überwachungsdienst in Deutschland gestartet, der angeblich 95 Prozent des öffentlich zugänglichen Internet durchsuchen kann.

Der Beginn der Anonymität ...

Vor zwei Jahren hatte Ian Goldberg von Zero-Knowledge Systems hehre Ziele. "Once Freedom is commercially available, I believe that freedom of expression, without fear of retribution, will at last be possible", erklärte damals Chef-Entwickler Ian Goldberg. 50 Provider und Server-Betreiber hatten sich bereit erklärt, das Freedom Network zu hosten, um anonyme Kommunikation zu ermöglichen. Nicht nur Websurfen war damit möglich, sondern auch Chats. Für den anonymen Briefverkehr bekamen die Nutzer Alias-Adressen.

Das Freedom Network beruhte auf dem so genannten "Onion Routing" - einer sicheren Variante des Anonymisierens. Dabei werden die Daten von mehreren Onion-Servern anonymisiert, die jeder für sich nicht die IP-Adressen von Sender und Empfänger der Daten kennen (siehe Digitale Freihäfen). 50 Dollar kostete der Service pro Jahr. Um vollkommene Anonymität zu gewährleisten, war sogar Barzahlung möglich. Da die Firma in Kanada sitzt, war sie unabhängig von Exportbeschränkungen der USA für Krypto-Technologie.

...und das Ende

Doch nach Angaben der Firma fanden sich nicht genug Interessenten für diesen fortgeschrittenen Service. Features wie Adblocker oder eine Personal Firewall scheinen viel beliebter gewesen zu sein. Am 11. Oktober gehen nun die meisten Freedom Server vom Netz, am 22. Oktober wird der Dienst komplett geschlossen. Die neueste Version des Software-Pakets Freedom hat nur noch die Funktionalität eines Webblockers mit Personal Firewall und einigen anderen Gimmicks. Privacy ist offenbar nur noch die Abwehr von simplen Reklamespionen und einigen Skriptkiddies. Echte Anonymität ist nicht mehr gefragt.

Einen Zusammenhang mit den Terroranschlägen verneint die Firma in einem Posting bei Slashdot. Bereits vor Monaten sei die Entscheidung gefallen. Die aktuelle Version schon lange vor dem 11. September an Microsoft zur Zertifizierung gegangen. Das neue Produkt stehe in Konkurrenz zu Produkten von Symantec und McAfee. Wie die anderen Lösungen verhindert Freedom zwar, dass beim passiven Surfen Informationen nach außen dringen. Sobald der Nutzer sich aber an einem Internet-Forum beteiligt oder gar in einer Newsgroup postet, ist er wieder identifizierbar.

Kontrolle muss sein

Manche mögen darin einen Nachteil sehen, für Mediatime Consulting ist es ein Vorteil. Sie startete am 1. Oktober offiziell ihren Internet-Service Gridpatrol. Zum Wohle der Kunden verspricht die Firma eine umfassende Überwachung des Cyberspace. Die Software durchleuchtet nicht nur Internetseiten, sondern durchforstet auch Newsgroups und hört Chatkanäle nach illegalen oder einfach nur despektierlichen Äußerungen ab.

Der Bedarf nach solchen Dienstleistungen ist hoch. "Mit Gridpatrol geben wir den Unternehmen ein Stück der Kontrolle über das Internet zurück, die sie durch die zunehmende Komplexität des Mediums verloren haben", erklärt Sten Franke, Geschäftsführer von Mediatime. Und dieser Kontrollverlust hat das Internet in ein wahres El Dorado verwandelt, wo sich die Gesetzlosen die Klinke in die Hand geben. So führt ein VW-Fanclub doch glatt ein Bild des Wolfsburger Markenzeichen ohne Genehmigung auf seiner Webseite, was als Beispiel für den mit Gridpatrol aufgedeckten Missbrauch gilt. Nach Angaben der Netzschnüffler geht den Musikkonzernen täglich eine Million Dollar verloren, weil sich User kostenlos Klingeltöne aus dem Netz ziehen.

Imageschaden freie Meinungsäußerung

Abhilfe schafft die "Discovery Engine" von Gridpatrol. Die Technik wurde von der Firma Envisional in Cambridge entwickelt und sucht auch schon seit einiger Zeit für das Investmenthaus Merrill Lynch, den Internationale Verband der Phonographischen Industrie (IFPI) und Absolut Vodka nach Markenmissbrauch und Produktpiraterie im Internet. Die Software kann noch mehr: Sie spürt auch unzufriedene Kunden auf, die ihre Ansichten auf so genannten "Complaint-Seiten" oder in Internet-Foren kund tun. Auch hier hat die innovative Technik von mediacontrol einige erschreckende Beispiele von Image-Schädigung gefunden. So hat das Satire-Magazin Attacke eine Satire auf den Billig-Discounter ALDI veröffentlicht, die gewerkschaftsnahe Seite Labournet hat gar über einen Streik von Beschäftigten der Kette in Irland berichtet. Damit eventuelle Störenfriede direkt mundtot gemacht werden können, liefert die Software auch direkt die Adresse des Providers mit.

Aber die Überwachung ist kein Selbstzweck, sondern dient der Zukunft des Internet, wie Franke erklärt: "Unternehmen haben wenig Interesse, ihre Marketing- und Vertriebsaktivitäten in einen quasi rechtsfreien Raum zu verlagern. Die Kontrolle bestimmter Internet-Inhalte ist deshalb eine zwingende Voraussetzung für die Zukunft des E-Business."