"Einer kommt und mäht einen Sheriff nach dem anderen weg"

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Fälschung und unangenehme Wahrheiten: Der Doppel-Hype um Wolfgang Beltracchis "Kunst der Fälschung"

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Wolfgang Beltracchi ist Maler, Kunsthändler und verurteilter Betrüger - denn er hat unter selbstgemalte, selbsterfundene Bilder "im Stile von" diversen alten und modernen Meistern deren gefälschte Unterschrift gesetzt - und diese Werke als angebliche Originale verkauft. Als Freigänger hat Beltracchi gemeinsam mit seiner Frau Helene im Januar eine gemeinsame Autobiographie veröffentlicht und einen Band ausgewählter Gefängnisbriefe. Jetzt kommt der Dokumentarfilm "Die Kunst der Fälschung" ins Kino und sieht sich heftigen, oft unfairen, zugleich in ihrem Furor verräterischen Angriffen ausgesetzt - offenkundig, weil er unangenehme Wahrheiten ausspricht, nicht vorverurteilt und auf das im Medien-Mainstream beliebte Moralisieren verzichtet.

Der Fall des Malers und Kunsthändlers Wolfgang Beltracchi sprengt alle gewohnten Maßstäbe: Über 30 Jahre lang hat Beltracchi Gemälde "im Stile von" bekannten Malern gemalt - hier präzis zu bleiben, ist wichtig, denn Beltracchi hat nie kopiert, sondern "nachempfunden", also mögliche Bilder erfunden und "Werklücken gefüllt" - und sehr gut verkauft.

Die Fälschung unterscheidet sich vom Original dadurch, dass sie echter aussieht.

Ernst Bloch

2010 flog der Fall auf; 2011 wurde Beltracchi wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt, und seine Frau Helene und ein weiterer Mittäter zu niedrigeren Haftstrafen. Zur Zeit schläft Beltracchi als verurteilter Betrüger nachts im Gefängnis, tagsüber arbeitet er, um seine Schulden abzutragen.

In der Öffentlichkeit wurde Beltracchi bald in einer Mischung aus Faszination und Empörung zum "Jahrhundertfälscher" erklärt. Der Kunstszene wurde er zum Objekt großer Aggressionen, schwankend zwischen Hass und Verachtung. Das liegt offenkundig nicht allein daran, dass sie von Beltracchi an der Nase herum geführt wurde oder an den hohen Beträgen, die von Galerien, Musseen und Sammlern auf seine Konten flossen - denen übrigens noch weit höhere Einnahmen entgegenstanden.

Die Reaktionen liegen mindestens ebenso sehr in der Tatsache begründet, dass der Fall und seine Folgen plötzlich grelles Licht auf eine Szene warfen, die selbst sehr daran interessiert ist, ihre Geschäfte in einem diffusen Halbdunkel aus Diskretion und Insiderwissen, persönlichen Beziehungen und Expertenkrämerei, Barzahlung und Gerücht zu handhaben. So ist es kaum zu glauben, dass über Jahrzehnte niemand Verdacht schöpfte und keiner nachfragte.

Auch erscheint unverständlich, wie sich namhafte Experten, ob der geschäftstüchtige Max-Ernst-Experte Werner Spies oder das Kunsthaus Lempertz, anscheinend täuschen ließen - es sei denn man würde in Rechnung stellen, dass man mit bezahlten Gutachten und lukrativen Auktionsergebnissen noch weit mehr verdienen kann als die Fälscher.

Zudem steht ein Verdacht, neben dem einer möglichen Komplizenschaft, weiterhin unwiderlegt im Raum: Dass eine größere Zahl der von Beltracchi gefertigten Bilder noch immer unentlarvt als "Original" in Museen und Sammlungen hängt. Ohne Frage haben hier viele kein Interesse an echter Aufklärung.

Beltracchi-Hype

Um Geld zu verdienen - sie sind insolvent, müssen etwa 20 Millionen Euro Schulden abbauen - haben Beltracchi und seine Frau Helene nun ihre gemeinsame Autobiographie veröffentlicht und einen Band ausgewählter Gefängnisbriefe - zusammen immerhin über tausend Seiten.

Damit begann das neueste Kapitel im "Fall Beltracchi". Denn zur Vermarktung dieser Bücher ist das Paar seitdem zu Gästen im abendlichen öffentlich-rechtlichen Talkshow-Reigen geworden. Der Fall Beltracchi, der von Fälschung und Betrug handelt, wie von unserer Vorstellung von Kunst, ist damit auch ein Fall des Umfelds geworden, des Kunstmarkts und der Medien, die ihn begleiten.

Zum Beispiel die Sendung "3nach9". Moderiert wird sie von Giovanni di Lorenzo. Seine Fragen an Beltracchi folgten nicht gerade der Idee von investigativem Journalismus, sondern den Gesetzen des sanften Geplauders - der Kunstfälscher war zudem eingebettet in ein nettes Umfeld aus Verona Feldbusch und Ute Lemper, dazu gesellte sich noch der Benediktiner-Abt Notker Wolf, der Beltracchi zumindest himmlische Vergebung versprechen konnte. Talk Show halt. Ähnlich verlief ein paar Tage später auch der Auftritt bei Markus Lanz.

Wundern kann sich darüber nur, wer ein paar offenkundige Zusammenhänge ausblendet: Im Hauptberuf ist di Lorenzo bekanntlich Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit". Die hatte knapp drei Wochen zuvor, kurz vor Erscheinen der Autobiographie, die Beltracchis interviewt - auf drei ganzen Seiten, exklusiv natürlich.

Dazu gab es Ausschnitte aus dem Buch. Auch dies eingebettet in einen allerdings fast entschuldigenden, rechtfertigenden Kommentar. Würde man dessen Thesen ernst nehmen, dann sollte man Vorabdruck und Interview allerdings besser lassen.

Warum "Die Zeit" und nicht der "Spiegel" oder der "Stern"? Auch das ist klar - denn "Die Zeit" gehört zum Holzbrinck Verlag, wie keineswegs zufällig auch der Rowohlt-Verlag, der zuvor das Bieterrennen um Beltracchis Bücher gewonnen hatte. Mit anderen Worten: Ein klassischer Fall von Doppelmoral der Medien oder von Mehrfachverwertung - was aufs Gleiche rauskommt, denn zumindest hätte man die Zusammenhänge offenlegen müssen.

Beltracchi-Bashing

Diese Vorwürfe gelten natürlich auch in der entgegengesetzten Richtung: Denn neben dem erwähnten Beltracchi-Hype gibt es aktuell auch ein heftiges Beltracchi-Bashing - aus Anlass des diese Woche erscheinenden Dokumentarfilms von Arne Birkenstock. Der sieht sich heftigen, oft unfairen Angriffen ausgesetzt - offenkundig, weil er unangenehme Wahrheiten ausspricht. Zum Beispiel aus dem Munde des hervorragenden FAZ-Kunstkritikers Niklas Maak, der in Birkenstocks Film als Interviewpartner mitwirkt und ein paar entscheidende Punkte benennt:

Es gibt eine marktimanente Logik, die Kritik und Zweifel bestraft und Zustimmung und Anerkennung belohnt... Der Experte kriegt eine üppige Provision dafür - es gibt keinen, der möchte, dass es falsch ist.

Das ist schon eine beachtliche Leistung, wie nach dem derzeitigen Erkenntnisstand eben nur ein Mann, kein großes Team es geschafft hat, sämtliche vermeintliche Zentralen der Kompetenz und Macht in der internationalen Kunstwelt auszuschalten, eine nach der anderen. Wie in einem schlechten Cowboy-Film: Einer kommt und mäht einen Sheriff nach dem anderen weg.

So ist Birkenstocks Film jetzt heftigen Angriffen ausgesetzt: Obwohl ihr eigener Redaktionskollege in dem Film ausführlich zu Wort kommt, schreibt die zweite Kunstkritikerin der FAZ, Rose-Marie Gropp, zur Premiere von einem "Promotion-Clip" und unterstellt, es handle es sich um ein Auftragswerk des Kunstfälschers, um eine erfolgreiche Imagepolitik mit filmischen Mitteln: eine Fortsetzung der Verteidigung. Denn Regisseur Arne Birkemstock ist Sohn des Beltracchi-Verteidigers. Das hat ihm natürlich den Zugang zum Kunstfälscher erleichtert, umgekehrt aber andere Kontakte massiv erschwert.

Natürlich hat er sich damit auch Blößen gegeben und angreifbar gemacht. Andererseits ist die Sippenhaft in Deutschland abgeschafft, und die anderenorts doch so unparteiischen und unvoreingenommenen Kollegen scheinen zu vergessen, dass der Anwaltsberuf nichts Ehrenrühriges ist.

Selbst geständige Verbrecher haben das Recht auf bestmögliche Verteidigung. Zumindest könnte man ja Arne Birkenstock einmal die Frage stellen, warum und inwiefern er sich eigentlich für unbefangen hält, oder wie er mit möglicher Befangenheit umgeht.

Aber darf er deshalb einen solchen Film gar nicht machen? Das ist wohl etwas viel verlangt. Birkenstock macht in seinem Film eine komplexe facettenreiche Geschichte zugänglich. Stilistisch ist der Dokumentarfilm sehr gut und unterhaltsam gemacht; vom Inhalt her ist er sehenswert.

Als Sohn von Beltracchis Anwalt hatte der Regisseur überhaupt den Zugang und Vertrauensvorschuß, um an den seinerzeit bereits verurteilten Fälscher heranzukommen. Dass ihm deshalb von mancher Seite Befangenheit vorgeworfen wird, liegt auf der Hand. Allerdings hat ihn dieser persönliche Bezug zum Fall auch Probleme bereitet: Der Zugang zu betroffenen Sammlern und Auktionshäusern war schwierig, seine Arbeit wurde vor allem anfangs behindert.

Zahlreiche Informanten standen nicht zur Verfügung, Interviews wurden kurzfristig abgesagt oder nachträglich zurückgezogen. Am Ende tauchen dann doch sowohl das geschädigte Kunsthaus Lempertz, als auch einzelne geschädigte Sammler und Galeristen im Film auf - man muss ihnen für ihren Mut und ihre Beiträge dankbar sein.

Etwas absurd wird es, wenn die FAZ-Autorin dem Film dann noch vorwirft, dass er öffentliche Filmförderung bekommen habe - offenbar weiß sie wirklich nicht, oder will nicht wissen, dass in Deutschland fast jeder Film quasi automatisch Förderung bekommt, und dass im Grundgesetz der Satz steht: "Zensur findet nicht statt."

Eine Problematik der Rechtsprechung

Zuvor hatte bereits ein anderer Kritiker der FAS kein gutes Haar an Beltracci gelassen ("selbstverliebter Kleinbürger ... Wichsvorlagen... Geilheit und Geld"), was dann manche Spatzen dazu brachte, den Verdacht vom Dach zu pfeifen, das Medium aus Frankfurt habe im Fall Beltracchi neben dem journalistischen Interesse an Aufklärung noch eine zweite, versteckte Agenda.

Unstrittig ist jedenfalls, dass einer dessen bis dato makeloser Ruf durch die ganze Affaire massiven Schaden nahm, der Max-Ernst-Experte Werner Spies ein seit Jahrzehnten fester Mitarbeiter der Zeitung ist. In Frankreich wurde Spies verurteilt, weil dort im Gegensatz zu deutschem Recht Experten auch für in gutem Glauben gemachte Fehleinschätzungen haftbar sind.

Manche deutsche Galeristen sehen den Fall noch ernster, und stellen den guten Glauben deutlich infrage. So etwa Henning Weidemann, Leiter der Berliner Galerie "Campagne Premiere", die viele zeitgenössische Künstler ausstellt:

"Eigentlich lässt es sich hier auf einen Fall Spies reduzieren, weil da sind wirkliche Gewinne im Markt erzielt worden. Das ist - genauso wie beim Finanzskandal - nicht ein Problem der Händler, sondern eine Problematik der Rechtsprechung. Hier muss die Rechtsprechung Wege finden, eine Regulierung des Marktes zu erstellen und Plätze zu schaffen, die unabhängig sind. Diese Unabhängigkeit ist die große Problematik ...zum Beispiel Werner Spies: Seine Leistung um einzelne Künstler ist gar nicht infrage zu stellen. Aber es war immer schon bekannt, dass er für Gutachten Geld nimmt, und das ist sofort problematisch.

Und dann wird es extrem problematisch, wenn er auch noch in den Ankaufskommissionen sitzt. Also wenn er auf der einen Seite ein Gutachten erstellt, dafür bezahlt wird. Zum zweiten von dem Händler, der das dann dem Wirt anbietet, bezahlt wird; zum Dritten von dem Sammler bezahlt wird ... Das ist nicht mehr mit Charakterschwäche zu erklären. Das ist auch nicht mehr mit einer Verträumtheit oder Unachtsamkeit... das ist schlichtweg kriminell. Dem muss er sich auch stellen. Da sind die entsprechenden Verfahren am Laufen. Das hat einfach was mit Ämterhäufung, Vermischung und Interessenslage zu tun. Meines Erachtens ist das ein Fall für die Justiz."

Was sollen wir noch tun? Nach Canossa gehen?"

Trotzdem: Ob "ttt" oder "aspekte" oder diverse Radiosender oder Zeitungsbeiträge: Die immer gleichen offenbar sehr medienaffinen "Experten" sagen dort ihre immergleichen Sätze in die Kameras. Der Film sei schlecht, man dürfe so etwas aus moralischen Gründen gar nicht machen. Mit solchen Argumenten gäbe es viele Filme bald nicht mehr.

Die Beltracchis selbst sehen sich an den öffentlichen Pranger gestellt:

Im Moment ist es natürlich unheimlich interessant für die Reporter zu schreiben... Oder ihre Vorstellung von unserem Leben wiederzugeben - was man in der Presse liest, ist ja nur die Vorstellung von einzelnen Journalisten ... Wir haben unsere Strafe. Wir haben unser Geld verloren, unser Vermögen, unsere Häuser, wir haben eigentlich alles verloren, was man verlieren kann, außer unserer Liebe. Es ist einfach so: Ich weiß auch nicht... Das Gefängnis reicht nicht, das verlorene Vermögen reicht nicht... Was sollen wir noch tun? Nach Canossa gehen?

Ein Medienspiel. Warum das so ist, dafür hat zumindest die Wissenschaft eine Erklärung: Die in Zürich lehrende Elisabeth Bronfen hat in mehreren Büchern die Mechanismen von Medien untersucht. Im Gespräch mit Telepolis hat sie für den Fall eine sehr einfache Erklärung:

Die Kunstkritiker wollen die Deutungshoheit über den Bereich der Kunst haben. Wenn dann plötzlich eine Kunst produziert wird, die die Kritiker hinters Licht führt, dann gerät auch nicht nur die Rolle der Käufer, sondern auch die der Kunstkritiker ins Schwanken. ... Beltracchi wird wahrscheinlich schon zu einem Sündenbock gemacht, weil er nicht nur den Kunsthändlern, sondern auch den Kunstkritikern zeigt, worauf das ganze Geschäft, mit dem sie ihr Geld verdienen, basiert - nämlich, dass sie ja selber Hochstapler sind.

Das Thema Fälschung ist zu interessant, um es den Moralisten zu überlassen. Wenn es nur einen einzigen Grund gäbe, auf diesen Film aufmerksam zu machen, dann wäre es die Einheitlichkeit, mit der er von der Kunstkritik als wertlos eingestuft und diffamiert wird.

Geschmäckle im Medienspiel: Das Aushebeln der Filmkritik

Was hier, wie so oft geschieht, ist das Aushebeln der Filmkritik in den Redaktionen: Ob FAZ oder SZ, ob im Radio oder Fernsehen, überall wird mit der Begründung, dass der Film von einem "Thema" handelt, nämlich Kunst, die "Kunst der Fälschung" konsequent von Kunstkritikern besprochen, nicht von Film-Experten. Das Ergebnis ist fatal.

Und hat zumindest ein Geschmäckle. Denn die Kunstkritiker sind hier keineswegs unparteiisch: Nicht nur, dass sie ihre eigene Deutungshoheit verteidigen möchten - sie sind von Wohlwollen und der Gunst der Szene keineswegs unabhängig. Mal hier ein hübsches Gutachten, mal dort einen Katalogaufsatz oder ein Kuratorensessel...

Schuld haben hier vor allem die Redaktionen und Verlage, die sie nicht aus der Schußlinie nehmen, die ihre Position nicht derart sichern, dass solche Gunsterweise undenkbar werden. Aber wer hat noch den Willen und die Lust, aufzuklären und einmal das System Kunstbetrieb ehrlich in den Blick zu nehmen?

Jetzt ist der Film "Die Kunst der Fälschung" in der Welt, und das Publikum kann sich selbst ein Urteil bilden, ob der Film parteilich ist, und wenn ja in welcher Weise.