Einstein und die deutsche Mauer

Relativ jenseits der verkitschten Geschichte

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Das Einsteinjahr neigt sich langsam dem Ende zu. Da versteht es Einstein-Spaces noch mal das Interesse zu wecken - mit neun Installationen an Orten, an denen der Nobelpreisträger "gelebt, geliebt, geforscht und sich politisch engagiert hat".

Es ist gleichzeitig eine kritische Auseinandersetzung mit einem Gedenken, das der althergebrachten Illusion frönt, man könnte das Leben des Geehrten rekonstruieren, indem man noch das letzte alte Möbelstück hervorkramt, das einst in seiner Wohnung gestanden haben soll, oder irgendwelche angeblich authentischen Handschriften hinter Glas präsentiert. Damit mag zwar ein Kunstverständnis von Teilen der Bevölkerung bedient werden, die damit an die Erbstücke ihrer verstorbenen Verwandten denken mögen, doch reale Geschichte wird so eher verkitscht und geklittert.

Das würde auch mit einen Einstein geschehen, den man jetzt zum Jubiläum wieder heim nach Deutschland holt. Damit würde unterschlagen, dass sich für den zu dieser Zeit schon bekannten und angesehenen Wissenschaftler keine Hand rührte, als er 1933 noch einmal nachträglich aus der Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen wurde, aus der er schon vorher ausgetreten war. Es würde vielmehr die nach 1945 gerne strapazierte Schutzbehauptung wiederholt, dass Einstein lediglich während der schlimmen 12 Jahre nicht in Deutschland leben konnte, dass er von den Nazis vertrieben wurde und Nazis, die gab es ja nach 1945 nicht mehr.

In Wirklichkeit hat Einstein schon Anfang der 20er Jahre im Ausland gelebt und geforscht. Der Grund für seinen Ortswechsel waren antisemitische Drohungen, die nach dem Mord an den jüdischen Politikern Erzberger und Rathenau 1923 durchaus ernst zu nehmen waren. Einstein, der einer der wenigen Exilanten war, die vom Nachkriegsdeutschland zur Rückkehr eingeladen wurden, lehnte ab. Er wollte das Land nicht mehr betreten, das ihn jetzt im Einstein-Jahr so gerne als großen Denker des Landes eindeutschen würde.

Die 9 Künstler von Einstein-Spaces sind in ihren Arbeiten sehr unterschiedlich mit einer solchen Biographie umgegangen. So erinnert nichts mehr an das Büro der "Deutschen Liga für Menschenrechte", in dem sich Einstein lange Jahre politisch engagierte. Wo einst das Büro war, steht heute ein Hochhaus. Unter den vielen Namen am Klingelschild ist auch ein englisch-klingender Name: "Green". Er erinnert daran, dass die US-Künstlerin Renée Green in dem Haus im 12 Stock eine Wohnung bezogen hat, aus der sie einen Denkraum gestaltet hat.

Videos sind zu sehen und Bücher von Pazifisten, Emigranten und Bürgerrechtlern liegen auf den Tischen. Am Balkon regt ein Transparent mit einem Einstein-Zitat zum Nachdenken an: "The Flag is a symbol of the fact that man is still a herd animal."

Harun Farocki hingegen hat mit seiner Installation "Ausweg" an seine Videoarbeiten über intelligente Bomben angeknüpft. Zu sehen ist die Arbeit im heutigen ARD-Hauptstadtstudio, auf dem Gelände des ehemaligen Physikalischen Instituts der Berliner Universität, wo Einstein einige Vorlesungen hielt. Es geht Farocki um die Bilder des Krieges, an einem Ort, wo einst für die deutschen Weltkriege geforscht wurde und jetzt Bilder der heutigen Kriege gesendet werden.

Christian Boltanski arbeitet in seiner in einem Raum in der Neuen Synagoge in Berlin ausgestellten Installation mit dem Begriff der Zeit. Eine Stimme verkündet ständig über Lautsprecher die aktuelle Zeit, während im Halbdunkeln eine Bahnhofsuhr auf Viertel vor neun steht. Das war die Uhrzeit, welche die jüdischen Deportierten sahen, wenn sie im Vernichtungslager Auschwitz aus den Zügen stiegen, die sie aus ganz Europa zur Vernichtung ankarrten. Diese SS-Offiziere schufen so für die aus ihren Lebenszusammenhängen gerissenen Menschen eine neue Zeit.

Die umstrittenste Installation stammt von Christoph Büchel und heißt Development Aid. An einer Straßenkreuzung in einen Stadtviertel, in dem vor 1933 viele jüdische Menschen lebten und auch Einstein einige Jahre Quartier bezogen hatte, errichtete der Künstler ein Bauschild, auf dem den staunenden Anwohnern verkündet wird, dass hier Segmente des Sicherheitszauns errichtet werden, der zwischen Israel und dem Westjordanland gebaut wurde. Dafür soll dort im Gegenzug ein Stück der Berliner Mauer aufgebaut werden.

Die Vorsitzende des Einsteinsforum Susan Neiman schrieb in einer distanzierenden Erklärung, dass man sich den in der Arbeit angelegten Vergleich der beiden Mauern nicht zu eigen mache: "Die Absichten der beiden Bauwerke könnten nicht grundverschiedener sein. Obwohl die Berliner Mauer mit der Bezeichnung 'anti-faschistischer Schutzwall' versehen war, wurde nicht einmal behauptet, das ihre Absicht darin bestand, kapitalistische Selbstmordattentäter vom Alexanderplatz fernzuhalten".

Eine Veranstaltung zu diesen Fragen ist in Vorbereitung. Die Kontroverse könnte die beste Würdigung Einsteins sein, der sich sehr für Israel als jüdische Heimstatt einsetzte, aber auch für eine Verständigung mit der arabischen Bevölkerung eintrat. Doch schon am ersten Tag gab es von Büchels Arbeit angeregt ganz andere aufgeregte Stimmen. Ein älterer Anwohner regte sich über das israelische Staatswappen auf dem Baustellenplakat auf. Man sei froh, dass keine Juden mehr hier leben, rief er erzürnt. Die deutschen Verhältnisse vor denen sich Einstein schon vor 1933 in Sicherheit bringen musste, zeigen bis heute ihr grässliches Gesicht. Eine Ausstellung, die das deutlich macht, statt den großen Jubilar einzugemeinden, hat wirklich ein Lob verdient.

Die Ausstellung läuft noch bis 30.Oktober