Elektronik-Implantation per Spritze

So entfaltet sich das Gewebe, wenn es aus der Glasnadel in eine wässrige Lösung injiziert wird (Foto: Lieber Research Group, Harvard University)

In der Science Fiction ist es ein beliebtes Motiv: Der Protagonist rammt sich eine Spritze in den Leib und erwirbt dadurch übermenschliche Fähigkeiten. Die Elektronik-Spritze ist jetzt Realität

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Die Mäuse im Labor von Charles Lieber an der Harvard University sehen wie ganz normale Labortiere aus. Tatsächlich könnte man sie auch als die ersten Cyborgs bezeichnen, eine Verschmelzung aus Lebewesen und Maschine. Denn sie leben seit Monaten mit einem Elektronik-Netz im Gehirn. Dazu brauchten die Tiere keine komplizierte Gehirn-Operation zu durchleiden: eine Spritze genügte.

Die Erfindung, die das Team um Charles Lieber jetzt in Nature Nanotechnology vorstellt, basiert auf einem flexiblen, einige Quadratzentimeter großen Netz, das nanoelektronische Bauteile enthält.

Durch seine geringe Dicke von unter einem Mikrometer lässt es sich derart zusammenrollen, dass es durch eine Kanüle mit einem Innendurchmesser von einem Zehntel Millimeter passt. Gängige Impf-"nadeln" sind meist deutlich dicker. Dabei liegt ein Teil des Tricks tatsächlich in der Gitterstruktur. Das Netz lässt sich nämlich so aufrollen, dass die Knoten der einen Ebene in den Löchern der nächsten landen - so spart man zusätzlich Platz.

Nach der Injektion entfaltet sich das Elektronik-Netz dann wieder bis auf etwa 80 Prozent seiner ursprünglichen Größe. Dabei gingen im Mittel nur sechs Prozent der Transistoren verloren. Im ungünstigsten Fall, bei der Injektion durch eine 100-Nanometer-Kanüle, versagten danach 20 Prozent der Transistoren den Dienst, immer noch eine sehr gute Quote. Die Kommunikation mit der Außenwelt kann dabei drahtlos erfolgen.

Das Elektronik-Netz hat offenbar genau die richtigen Eigenschaften, dass sich Nervenzellen daran anschmiegen können. Jedenfalls beobachteten die Forscher genau diesen Effekt: die Nervenzellen wuchsen gewissermaßen in das Gewebe ein. Zumindest in den Wochen, in denen die Mäuse damit lebten, waren keine Nebenwirkungen erkennbar.

Elektronik an Ort und Stelle - hier im seitlichen Hirnventrikel. Das Nervengewebe hat sich gut mit dem Netz integriert; neuronale Vorläuferzellen haben sich darauf angesiedelt (Foto: Lieber Research Group, Harvard University)

Sehr spannend könnte die praktische Anwendung der Technik sein. Das beginnt bei simplen Herzschrittmachern. Doch auch über Hirnschrittmacher denken die Mediziner schon lange nach. Diese könnten zum Beispiel Epilepsie-Patienten wesentlich besser überwachen und bei Bedarf irgendwann auch eingreifen.

Ebenso könnte es die Technik ermöglichen, fehlende Teile des Rückenmarks zu ergänzen - das ist aber ebenso noch Science Fiction wie die Idee, sich dadurch übermenschliche Fähigkeiten zu erwerben. Wobei in den Hirnventrikeln des Menschen genug Platz für einen Mikrocomputer wäre, der direkt mit den Nervenzellen des Gehirns interagiert...