Elstern vor dem Spiegel

Das Gehirn der schwarz-weißen Singvögel ist zu Leistungen fähig, von denen etwa Hunde oder Pferde nur träumen können

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn man mit seiner Nahrung umgeht, wie es die beinahe weltweit verbreitete Elster praktiziert, dann ist ein gutes Gedächtnis schon ganz praktisch: Die Vögel legen nämlich Vorratsdepots an, indem sie kleine Gruben graben, darin Nahrung deponieren und den Vorrat schließlich säuberlich mit Naturmaterial abdecken. Zumindest für einige Zeit kann sich die Elster merken, wo sie das Depot installiert hat. Psychologen sprechen hier von Objektpermanenz.

Kleinen Kindern hingegen geht diese Fähigkeit ab - deshalb kann man mit ihnen auch stundenlang Verstecken spielen, indem man sich die Hände vor das Gesicht hält. Und deshalb freuen sie sich unbändig, wenn ein bewusst herunter geworfener Gegenstand durch die Hand des Erwachsenen wieder auftaucht - ein Erfolgserlebnis, das sich sehr schön wiederholen lässt, indem man das Objekt erneut mit Verve auf den Fußboden befördert.

Während Menschenkinder sich mit derlei harmlosen Spielchen unterhalten lassen, wären Elstern davon jedenfalls schnell gelangweilt. Denn sie sind schon in recht jungem Alter zur Objektpermanenz in ihrer höchsten Stufe fähig. Dazu müssen sie nicht nur ein verstecktes Objekt wiederfinden können - als zusätzliche Schwierigkeit wird hier gefordert, dass sie auch einen (vorgeführten) Ortswechsel des Objekts (verstecken - herausholen - woanders verstecken) nachvollziehen können. Letztlich steckt dahinter der Glaube, dass ein Ding auch existiert, wenn man es nicht sieht - ein Glaube, zu dem manch Erwachsener (aber aus anderen Gründen) nicht fähig ist.

Im Spiegel erkennen

Nun ist Objektpermanenz zwar ein Zeichen von Intelligenz, doch es ist keine den Elstern exklusive Fähigkeit. Außer uns Menschen sind etwa auch Menschenaffen und Hunde dazu in der Lage. Was uns noch vom großen Rest der Tierwelt unterscheidet: Beim Blick in den Spiegel sind wir meist fähig, uns selbst zu erkennen, auch wenn uns das manchmal erschreckt oder belustigt. Sich zu rasieren oder zu schminken wäre anderenfalls auch deutlich schwieriger. Das ist eine ziemlich exklusive Leistung - es gibt denn auch kaum sich schminkende oder rasierende Tierarten (und noch weniger, die flache Witze erfinden können). Immerhin teilen wir sie aber mit Menschenaffen (nicht immer), Delfinen und Elefanten.

Hängt die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis also mit der Größe des Gehirns zusammen, ist sie sich irgendwann im Laufe der Evolution entstanden? Oder entstand sie rein zufällig aus dem Bedarf heraus, den eine sehr soziale Lebensweise mit notwendig eingesetzter Empathie bedingt?

Dass Elstern sich anscheinend ebenfalls im Spiegel erkennen, spricht für die letztere These. Forscher der Ruhr-Uni Bochum hatten schon 2000 von entsprechenden Versuchen berichtet. Damals hatten die Vögel im Versuch zum Beispiel im Spiegel Gegenstände präsentiert, sie hatten Futter nur mit Hilfe des Spiegelbilds identifiziert und bemerkten offenbar an sich selbst Farbflecke, die nur im Spiegelbild sichtbar waren.

Vogel-Individuen unterschiedlich clever

Im Fachmagazin PloS Biology beschreiben die drei deutschen Biopsychologen Helmut Prior, Ariane Schwarz und Onur Güntürkün nun ihre Experimente, die die Selbsterkennung von Elstern im Spiegel genauer untersuchen sollten. In der Praxis erwiesen sich einzelne Vogel-Individuen als durchaus unterschiedlich clever.

Die schlaueren machten sich zunächst mit dem Phänomen Spiegel bekannt - sie bewegten sich vor ihm und analysierten die Aktivitäten des Gegenüber. Versahen die Forscher ihre Test-Tiere später mit unterschiedlich gefärbten, aber nur im Spiegel sichtbaren Markierungen, beschäftigten sich die Vögel mit deutlich erhöhter Wahrscheinlichkeit mit den entsprechenden Stellen ihres eigenen Körpers.

Tatsächlich schafften es die Elstern, den Fleck nach ein paar Minuten zu beseitigen - und sie verhielten sich dann wie ein Mensch nach beendeter Rasur: Ihr Interesse am Spiegelbild ließ deutlich nach. Schimpansen verhalten sich in dieser Beziehung etwas anders: Sie verlieren schon das Interesse, wenn sie merken, dass der Fleck ansonsten keine Auswirkungen hat. Für die Elstern hingegen, meinen die Forscher, sind ein paar verfärbte Federn womöglich von größerer Bedeutung als ein Stück Fell für die Menschenaffen.