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Emir zu Besuch: Ist der Gas-Deal mit dem autoritären Katar alternativlos?

Alternative zu Russland? Emir von Katar. Bild: Ahmad Thamer Al Kuwari

Lieferungen aus Doha sollen russisches Gas ersetzen. Doch auch dem Golf-Staat werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Und es gibt weitere Zweifel an der neuen Partnerschaft

Heute ist der Emir des Golf-Staates Katar zu Besuch in Berlin. Zwei Monate nach dem Besuch von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wird Scheich Tamim bin Hamad al-Thani von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier empfangen. Neben dem Emir reisen auch der Außen-, Energie-, Finanz- und Handelsminister des Golf-Staats an. Das allein zeigt, wie hochrangig das Treffen angesetzt wird.

Es geht bei dem Besuch vor allem um Gasgeschäfte mit dem Emirat, einem der weltweit größten Exporteure von verflüssigtem Erdgas (LNG). Habeck hatte bei seiner letzten Reise dorthin eine langfristige Energiepartnerschaft mit dem Land vereinbart. Die Bundesregierung möchte sich mit dem Flüssigerdgas aus Katar unabhängiger machen von russischem Gas.

Doch der Golf-Staat steht wegen systematischer Menschenrechtsverletzungen im Fokus der Kritik. So wird Katar vorgeworfen, als Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft Ende des Jahres Arbeitsschutz beim Bau der Stadien grob missachtet zu haben und Arbeiter:innen auszubeuten.

Nach Recherchen des britischen Guardian [1] sind 6.500 Arbeitsmigrant:innen umgekommen, seit das Land den Zuschlag zur WM erhalten hat. Darunter sind vor allem Menschen aus Nepal, Indien und Bangladesch, die Arbeit gesucht und damit auf ein besseres Leben für ihre Familien hofften. Auch ist Katar Teil der sogenannten Golf-Allianz, die an der Seite von Saudi-Arabien seit Jahren Krieg im Jemen führt – auch mit Hilfe deutscher Waffenlieferungen. In Jemen hat der Krieg eine humanitäre Krise ausgelöst.

Geschäfte mit Terroristen-Unterstützern und Kriegsverbrechern?

Die Kritik an diesen und anderen Missständen gerät mit dem Gas-Deal wieder stärker in den Fokus. Vor dem Bundeskanzleramt fand anlässlich des Besuchs aus Katar eine Protestaktion der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) statt. Mit einem von Ketten umschlungenen kleinen Fußballtor soll auf die Menschenrechtsverletzungen und die aggressive Außenpolitik des WM-Gastgeberlandes hingewiesen werden. Das Motto lautet: "Rote Karte für Katar!"

Es wird an Bundeskanzler Olaf Scholz appelliert, beim Gespräch mit dem Staatsgast ein Ende der Verfolgung von Minderheiten und eine nachhaltige Verbesserung der Lage der Gastarbeiter in dem Wüstenstaat zu fordern.

Wirtschaftliche Interessen dürfen nicht dazu verführen, kritiklos neue Gasabkommen mit Katar zu vereinbaren und das Leid der Opfer islamistischer Gruppierungen zu vergessen, für das der Wüstenstaat mitverantwortlich ist

mahnt Tabea Giesecke von der GfbV. Nicht nur sei Katar an zahlreichen Konflikten beteiligt. Das Emirat finanziere über die internationale Muslimbruderschaft, deren führende Köpfe in Katar sitzen, auch islamistische Organisationen wie Al-Qaida.

In den USA wird dem engen US-Verbündeten seit einiger Zeit vorgeworfen, finanzielle Verbindungen zu Terrornetzwerken zu unterhalten [2]. In einer aktuellen Klage von Angehörigen eines getöteten US-amerikanischen Journalisten geht es zum Beispiel darum, ob prominente Einrichtungen in Katar 800.000 Dollar an einen "Richter" des Islamischen Staats (IS) überwiesen haben. Dieser Richter befahl 2014 die Hinrichtung von zwei US-Journalisten in Syrien. Die Enthauptung wurde gefilmt und als IS-Propaganda-Video genutzt.

Darüber hinaus soll es Verbindungen zwischen Terrorgruppen und Khalid bin Hamad Al-Thani, dem Halbbruder des Emirs von Katar, geben.

Die Bundesregierung muss sich neben den menschenrechtlichen Aspekten auch auseinandersetzen mit Alternativen zu Gaslieferung aus dem autoritären Emirat und einer Reduzierung des fossilen Brennstoffs vor dem Hintergrund der Dekarbonisierungsziele Deutschlands.

DIW-Studie: Gas aus Katar nicht alternativlos

So zeigt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dass sich Deutschland umgehend von russischem Gas verabschieden könnte, ohne eine Versorgungslücke zu erzeugen.

Wenn die Energie-Einsparpotenziale maximal genutzt und gleichzeitig die Lieferungen aus anderen Erdgaslieferländern so weit wie technisch möglich ausgeweitet werden, ist die deutsche Versorgung mit Erdgas auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23 gesichert

lautet das Fazit der Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) [3]. Bundeswirtschaftsminister Habeck geht hingegen davon aus, dass bis 2024 noch russisches Gas benötigt werde.

Für die Umstellung, so das DIW, sollten die Erdgasimporte aus klassischen Lieferländern wie Norwegen oder den Niederlanden deutlich ausgeweitet werden. Allein durch mehr Importe aus dem skandinavischen Land könnte etwa ein Fünftel der bisherigen russischen Einfuhren von mehr als 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr eingespart werden, die bislang etwa 55 Prozent der gesamten Gasimporte ausmachen.

Zudem müssten die bereits vorhandenen LNG-Terminals in den Niederlanden (Rotterdam), Belgien (Zeebrugge) und Frankreich (Dunkerque) genutzt werden, um mehr Flüssiggas über das europäische Pipelinenetz nach Deutschland zu leiten. Dadurch könnte ebenfalls mehr als ein Viertel des russischen Imports wegfallen. Eine effizientere Nutzung des deutschen und europäischen Pipelinesystems zur Verbindung Deutschlands mit Südeuropa, wo Lieferungen von nordafrikanischen Ländern wie Algerien und Libyen ankommen, könnte künftig die Situation weiter entspannen. Wobei sich bei Libyen ebenfalls die Menschenrechtsfrage stellt.

Die Hälfte des russischen Gases sollte schließlich durch einen rückläufigen Erdgasverbrauch eingespart werden, um die deutsche Energieversorgung zu sichern. Der Bedarf lässt sich laut DIW-Studie zwischen 18 und 26 Prozent senken – etwa durch den vollständigen Ersatz von Erdgas in der Stromerzeugung und Effizienzsteigerungen. Das DIW räumt aber auch ein, dass das zu Produktionsrückgängen in der Industrie führen könnte, die dann zum Teil entschädigt werden müssten.

Langfristig muss der Gasverbrauch angesichts der voranschreitenden Klimakrise und wegen entsprechender Klimaziele zur Einhaltung der 1,5-Grad-Schwelle in den nächsten Jahren deutlich reduziert werden. Ein Liefervertrag über eine Laufzeit von 20 Jahren, wie es Katar verlangt, kollidiert mit den an sich schon zu niedrigen deutschen Klimazielen, um die Temperatur-Obergrenze nach dem Pariser Klimaschutzabkommen noch halten zu können. Das weiß auch Habeck. Daher ist einer der größten Streitpunkte mit Katar vor allem die Laufzeit des Vertrags.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7101648

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.theguardian.com/global-development/2021/feb/23/revealed-migrant-worker-deaths-qatar-fifa-world-cup-2022
[2] https://apnews.com/article/islamic-state-group-religion-syria-lawsuits-middle-east-75e15fcfc4b2c0dcdd18ff16e2556a20
[3] https://www.diw.de/de/diw_01.c.838843.de/publikationen/diw_aktuell/2022_0083/energieversorgung_in_deutschland_auch_ohne_erdgas_aus_russland_gesichert.html