England sucht den Superkünstler

Ab heute können sich Teilnehmer für die BBC-Castingshow Saatchi’s Best of British bewerben

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Dass England in den 1990er Jahren eine Menge Krawallkunst hervorbrachte, lag auch daran, dass Margaret Thatcher die öffentliche Förderung der Kunst stark gekürzt hatte - mit dem Argument, dass man die Kulturproduktion weg von Provokationsschweinereien lenken wollte. Der Markt, so die Thatcher-Ideologen, sollte eine Kunst hervorbringen, die weniger anstößig war, als die Werke jener Wellen, die das 20. Jahrhundert bestimmten.

Doch statt solch eines Wunschmarktes entstand eher eine neofeudale Situation. Der mit einer Werbeagentur reich gewordene Charles Saatchi wurde zum steuernden Megamäzen und förderte ganz neue Dimensionen von Krawallkunst zutage: Die Young British Artists wie Damien Hirst, Marcus Harvey und Tracey Emin, die einen Rinderschädel hinter Glas von Maden auffressen ließen, mit einem, aus kleinen Handabdrücken zusammengestempelten, Bild der Kindermörderin Myra Hindley Aufsehen erregten, oder in Form eines Zelts mit Billy Childish als Beschäler prahlten.

Nun sollen in der für den Herbst auf BBC geplanten Fernsehsendung Saatchi’s Best of British Maler und Performancekünstler ihre Werke darbieten, über die der mit der Fernsehköchin Nigella Lawson verheiratete Multimillionär dann urteilt, wie in anderen Castingshows Dieter Bohlen oder Rainer Calmund. Daneben sollen "wichtige Figuren aus der Welt der Kunst", die nach den "speziellen Anforderungen" der Teilnehmer ausgewählt werden, als Gäste auftreten und sie "inspirieren".. Produzieren wird die Show die Firma Princess Productions, die unter anderem Generation Sex, The Wright Stuff und Lilly Allen and Friends verantwortet.

Ab heute können sich "individuals who possess the drive and passion to create great art" mit 3 bis 5 digitalisierten Bildern oder Filmen ihrer Werke online anmelden. Außerdem sollen die Teilnehmer dabei auch Persönliches über sich preisgeben. Diese – so die Produktionsfirma - "aufregende Gelegenheit" besteht noch bis 29. März. Die Bewerber müssen im Vereinigten Königreich wohnen und am 1. April 2009 mindestens 18 Jahre alt sein. Eine künstlerische Ausbildung, so wird betont, ist nicht notwendig. Nicht mitmachen dürfen dagegen Künstler, die bereits von einer Galerie vertreten werden.

Aus allen Bewerbungen sollen von "anerkannten und unabhängigen Experten" etwa 100 Personen ausgewählt werden. Diese Gruppe wird noch einmal um die Hälfte reduziert, der übriggebliebene Rest soll dann von Charles Saatchi im Rahmen einer Ausstellung präsentiert werden. Der wählt insgesamt sechs Finalisten aus, die anschließend in einem von ihm ins Leben gerufenen Künstlercamp drei Monate lang von zwei "Tutoren" weiter "veredelt" und "gefiltert" werden. Ein einziger der Teilnehmer bekommt schließlich einen Platz in einer von Saatchi geplanten Ausstellung in der Sankt Petersburger Eremitage. Ob das der Start einer langfristigen Karriere sein kann, ist angesichts der bisherigen Erfahrungen mit anderen Castingshows zumindest fraglich: Die Teen-Idol-Klone brachten keine "Superstars" hervor und für Models galt nach der Teilnahme in entsprechenden Sendungen der Weg in eine echte Karriere in der Branche als versperrt.

Laut Herstellungsleiter Peter Dale soll Saatchi’s Best of British Gegenwartskunst "entmystifizieren" und auf diese Weise "zugänglicher machen". Auch wenn Dale damit wahrscheinlich etwas anderes meint: Bei der Popmusik, die ihre Interessantheit früher einmal aus relativ großer schöpferischer Freiheit speiste, konnten Castingshows mit ihrem elementaren Zwang zur Hyperangepasstheit tatsächlich jeden Rest einer Aura schleifen und trugen damit auch maßgeblich zur weitgehenden wirtschaftlichen Beerdigung des Kulturphänomens bei.

Gelänge das auch mit dem durch die Finanzkrise bereits leicht angeknacksten Kunstmarkt, dann wäre die Weltgeschichte um eine dialektische Windmühle reicher: Denn während der Wille zur Subversion (wie etwa Sidney Lumet in seinem Meisterwerk Network eindrucksvoll zeigte), der Kulturindustrie, die er eigentlich angreifen wollte, immer wieder neues Leben einhauchte, wäre es gerade die Kapitulation der Kreativität in Form von öffentlichen Unterwerfungsritualen, die ihr tatsächlich gefährlich werden könnte.