Entlastungspaket: Bundesregierung setzt auf "Prinzip Hoffnung"

Ministerpräsidenten der Länder wollen auch noch mitreden. Wirtschaftsweise bemängelt fehlendes Konzept für Finanzierung der Strompreisbremse und dass Hilfen an unterer Mittelschicht vorbeigehen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich am Sonntag zuversichtlich: Mit Massenprotesten in Herbst und Winter wegen hoher Inflation und Energiepreise rechnet er nicht. Die Energieversorgung sei ausreichend abgesichert, außerdem würden die Bürger durch den Staat entlastet.

Damit sollte es keine Gründe für soziale Proteste geben, und sollte sich doch jemand auf die Straße wagen, dann müssen sie dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auf den Leim gegangen sein. Auch das brachte Scholz zum Ausdruck.

Wenn einige mit den staatlichen Maßnahmen nicht einverstanden seien und "die Formeln von Putin rufen, dann sind es eben einige", sagte Scholz. Die meisten Bürger wüssten aber, dass es gut sei, in einem wirtschaftsstarken Sozialstaat zu leben.

Am Sonntag hatte die Bundesregierung ihren Plan eines dritten Entlastungspakets vorgestellt, das einen Umfang von 65 Milliarden Euro umfassen soll. Doch woher sie das Geld nehmen will, bleibt ein Rätsel. Bislang sind lediglich 32 Milliarden über den Haushalt der Jahre 2022 und 2023 gedeckt.

Doch kaum war das Paket vorgestellt, riefen die Ministerpräsidenten der Länder Einspruch. "Wenn die Länder mit bezahlen sollen, müssen sie auch mitentscheiden können", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) den Zeitungen der Mediengruppe Bayern. Es gebe noch viele offene Fragen.

Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) meldete laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) am Sonntag Redebedarf an. Das Entlastungspaket habe massive Auswirkungen auf die Länderhaushalte und deshalb müssten die Länder dringend mit dem Bund sprechen.

Finanzierung noch zum Großteil unklar

Dabei dürfte es unter anderem um den Nachfolger zum Neun-Euro-Ticket gehen. Der Bund will lediglich 1,5 Milliarden Euro dafür ausgeben und die Länder sollen mindestens ebenso viel zahlen.

Die "Wirtschaftsweise" Monika Schnitzer drückte das Grundproblem des Entlastungspakets gegenüber dem Handelsblatt so aus: Es "enthält mindestens so viele Unklarheiten wie Entlastungsmaßnahmen". Das gelte für die Ausgestaltung der Pläne, vor allem aber für die Finanzierung. Diese baue auf "das Prinzip Hoffnung".

Es sei grundsätzlich ein sinnvolles Herangehen, eine Strompreisbremse für einen gewissen Grundbedarf der Haushalte einzuführen. Doch die Ideen für die Reform stünden noch ziemlich am Anfang und es gebe keinen konkreten Plan.

Vor diesem Hintergrund einen zweistelligen Milliardenbetrag zu verplanen, wirke mutig. Außerdem lasse sich bislang kaum prognostizieren, wie viel Geld man durch das Abschöpfen von Zufallsgewinnen am Strommarkt einnehmen könne.

Schnitzer betonte zudem, dass die geplanten Maßnahmen an der unteren Mittelschicht weitgehend vorbeigingen. Damit meinte sie die Menschen, die zwar gerade so viel verdienen, dass sie weder von der höheren Grundsicherung profitierten noch von der Ausweitung des Wohngelds, aber die nicht über genug Ersparnisse verfügten, um die steigenden Energiepreise aufzufangen.

Erhöhung der Grundsicherung zu niedrig und zu spät

Die Steuersenkung und die Strompreisbremse brächten ihnen zwar etwas; aber die Regierung habe immer noch nicht das Problem gelöst, dass sie diesen Menschen kein Geld direkt überweisen könne.

Sozialverbände kritisierten, dass die Erhöhung der Grundsicherung zu niedrig ausfällt und für viele zu spät kommt.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, erklärte am Sonntag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: Dass die Ärmsten bis zum Jahresbeginn 2023 "gar nichts kriegen sollen, geht gar nicht". Außerdem sei die vorgesehene Erhöhung "nicht einmal ein Inflationsausgleich und deshalb überhaupt nicht akzeptabel".

Ähnlich argumentierte auch der Sozialverband VdK in einer Erklärung: Die 50 Euro mehr für die Empfänger des künftigen Bürgergelds seien zu wenig und kämen "für viele Menschen zu spät, da sie noch ein Vierteljahr durchstehen müssen".