Erdbebenradio

Können niederfrequente Funkwellen im Erdboden oder der Ionosphäre vor Erdbeben warnen?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bislang gibt es keine wirklich zuverlässige Methode, vor Erdbeben zu warnen: zwar gibt es mitunter Vorboten, doch manches Erdbeben kommt völlig überraschend. Besonders niederfrequente elektromagnetische Wellen werden nun als neues mögliches Erkennungszeichen untersucht.

Alles Mögliche hat man schon als Indizien für kommende Beben ausprobiert: Spontane Variationen in der Stärke der Ausdünstungen radioaktiver Gase wie Radon aus dem Boden, plötzliche Änderungen im Fluss des Grundwassers vor Beben – und natürlich die Beobachtung möglicherweise unruhig werdender Tiere. Manchmal funktioniert es, doch gerade, wenn man glaubt, eine zuverlässige Erdbeben-Früherkennungslösung gefunden zu haben, gibt es ein Erdbeben, bei dem die dringend benötigten Vorboten einen im Stich lassen.

Vor einigen der letzten intensiv vermessenen Erdbeben haben Wissenschaftler jedoch elektromagnetische Impulse entdeckt, die aus dem Boden kamen und ebenso elektromagnetische Störungen in der Ionosphäre, die von 80 bis ungefähr 1000 km Höhe ins All reicht. "Es gibt definitiv Hinweise, dass etwas Elektromagnetisches in der Erdbebenregion abläuft, bevor sich die Erde bewegt", sagt Colin Price, Geophysiker an der Tel Aviv-Universität in Israel im neuesten New Scientist. Er hat mit Kollegen in erdbebengefährdeten Regionen in Kalifornien, Japan und Russland gearbeitet. Auf einem Meeting der International Union of Radio Science (URSI) im Oktober stellten sie die Theorie auf, dass bei zunehmendem Felsdruck im Untergrund Steine, die magnetische Partikel enthalten, zerspringen und dabei extrem niederfrequente Radiowellen (ULF – Ultra Low Frequency) von unter einem Hertz erzeugen. Einige der Forschergruppen graben nun im Untergrund, um die ULF-Wellen zu empfangen, während andere auf Satelliten setzen, um die Störungen in der Ionosphäre zu empfangen.

Erste Anzeichen möglicher Zusammenhänge hatte vor fast 20 Jahren Anthony Fraser-Smith vom Space, Telecommunications and Radioscience- (STAR)- Labor an der Stanford University in Kalifornien beim Loma Prieta-Erdbeben entdeckt, das in der Umgebung von San Francisco im Oktober 1989 zuschlug. Fraser-Smith hatte hier elektromagnetische Störungen mit Frequenzen bis zu 10 Hertz festgestellt, die in den zwei Wochen vor dem Erdbeben bis auf das Zwanzigfache des Normalwert angewachsen waren und auf diesem Niveau auch noch einen ganzen Monat nach dem Erdbeben blieben. Das Maximum wurde jedoch drei Stunden vor dem Erdbeben erreicht, und zwar bei Frequenzen zwischen 0,01 und 0,5 Hz.

Grubenfunk

Forscherkollegen in Japan und Russland haben seitdem mehrfach ein oder zwei Monate vor einem Erdbeben ähnliche Signale empfangen. In Japan wurde ein 100 Meter tiefes Loch gebohrt, um eine ULF-Antenne mit Richtwirkung zu installieren. Am 4. Januar 2004 konnten dort ULF-Wellen aus dem Südosten entdeckt werden, zwei Tage später folgte ein Erdbeben der Stärke 5,5 südöstlich in 130 km Entfernung.

Dies scheint allerdings auch eine untere Grenze zu sein – schwächere Erdbeben erzeugen keine Radiowellen. Versuche in Israel in einer erdbebenträchtigen Gegend im Tal zwischen dem Toten Meer und Eilat waren bislang nicht erfolgreich: seit 2003 war in 100 km Umkreis erdbebenmäßig schlicht nichts geboten.

Satellitenmessungen

Masashi Hayakawa, Elektronikingenieur an der University of Electro-Communications in Tokio bezweifelt, dass sich Erdbeben bedingte ULF-Funkwellen im Boden von solchen, die von Gewittern, Sonnenaktivität, Meteoren und anderen Störungen erzeugt werden, unterscheiden lassen. Er setzt auf die ionosphärischen Störungen, die einige Tage vor dem Erdbeben von Kobe 1995 auf Frequenzen zwischen 3 und 30 kHz gemessen wurden. Der ESA-Satellit Demeter hatte wiederum einer Woche vor einem Erdbeben der Stärke 7 am 5. September 2004 einen Anstieg in Ionendichte und Temperatur der Ionosphäre festgestellt. Ähnliche Effekte entdeckte er zwei Tage vor dem Erdbeben vom 23. Januar diesen Jahres in Indonesien, fünf Tage vor einem Erdbeben am 30. August diesen Jahres in der Nähe von Japan sowie letzten November zwei Tage vor einem Erdbeben bei Neuseeland.

Unglücklicherweise war der Satellit jedoch abgeschaltet, als der Weihnachts-Tsunami vor Indonesien am 26. Dezember 2004 zuschlug oder in Kaschmir am 8. Oktober diesen Jahres die Erde bebte. Auch dieses Verfahren wird also noch ausführlich untersucht werden müssen, bevor sich entscheiden lässt, ob etwaige gemessene Funkstörungen wirklich erdbebenrelevant sind oder nicht und ob sie auch wirklich vor jedem Erdbeben auftreten.