Erfolgsmeldungen geschönt

Die Wissenschaftler, die angeblich die erste genetische Veränderung der Keimbahn erfolgreich ausgeführt haben, erwähnten Probleme nicht, weswegen der Ruf nach einem Verbot von vererbbaren genetischen Veränderungen in den USA laut wird

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Wissenschaftler vom Institute for Reproductive Medicine and Science of Saint Barnabas haben in der Maiausgabe der Zeitschrift Human Reproduction einen Artikel über Zytoplasmatransplantationen, eine neue Technik zur Behandlung von Unfruchtbarkeit bei Frauen, veröffentlicht. Das hat insbesondere deswegen Aufsehen erregt, weil bei dieser IVF-Technik Gene einer dritten Person in die Keimbahn gelangen, also eine Modifikation der Keimbahn geschieht, die bislang moralisch verpönt und teilweise gesetzlich verboten ist. Die Wissenschaftler hatten in dem Aufsatz geschrieben, dass bislang alle derart erzeugten Kinder gesund geboren worden seien und auch gesund geblieben seien (Kinder mit Genen von drei Menschen). Dabei haben sie aber, wie das so gerne bei Erfolgsgeschichten geschieht, ein wenig vergessen zu erwähnen.

Bei dem Verfahren wird Ooplasma (Flüssigkeit innerhalb der Eizelle) von fruchtbaren Spenderinnen in die Eizellen von Patiententinnen eingeführt. Mit dem Ooplasma der Spenderin gelangen auch Gene der Mitochondrien, Kraftwerke der Zelle, in die Eizelle, so dass bei geglückter Befruchtung das entstehende Embryo die Gene der Mutter, des Vaters und der Spenderin des Ooplasmas enthält. An zwei Kindern konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die zusätzlichen Mitochondriengene noch im Blut nachweisbar waren. Aus diesem Grund berichteten sie, das sei nachweislich der "erste Fall einer genetischen Veränderung der menschlichen Keimbahn, die zu normalen gesunden Kindern" geführt habe. Angeblich haben die zusätzlichen Gene der Mitochondrien, so spielten die Wissenschaftler aber ihren Tabubruch gleich wieder herunter, weiter keine Auswirkung. Das mitochondriale Genom variiere nicht sehr stark. Die bei dem Gentests entdeckten Unterschiede seien "bedeutungslos".

Das mag sein, auch wenn dies noch keineswegs gewiss ist. Am Institut der Wissenschaftler wurde diese Technik weltweit erstmals 1997 und seitdem 15 weitere Mal erfolgreich durchgeführt, wie sie in ihrem Artikel schrieben. Doch das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Bei ihren Versuchen wurde ein Fötus abgetrieben, der eine seltene Genkrankheit besaß. Überdies führte eine andere Schwangerschaft zu einer Missgeburt - bei dem Fötus konnte man gleichfalls das sogenannte Turner-Syndrom bzw. Ullrich-Turner-Syndrom feststellen, von dem nur Frauen betroffen sind und bei dem das ganze X-Chromosom oder Teile von diesem fehlen, was dazu führt, dass die Entwicklung der Ovarien und die Produktion von Geschlechtshormonen gestört ist. Die Frauen bleiben klein, sie können nicht schwanger werden, und es können weitere gesundheitliche Probleme auftreten. Die Krankheit ist sehr selten (etwa 1 Fall auf 2.500 Mädchengeburten) und nicht vererblich, die Ursachen sind unbekannt. Die Mädchen werden mit Hormonen behandelt, um Monatsblutung und die äußeren weiblichen Geschlechtsmerkmal zu entwickeln.

Die mit 2 Vorkommnissen auf 17Embryos außergewöhnliche Häufung des Turner Syndroms bei den Kindern kann natürlich Zufall sein, zu vermuten ist allerdings, dass dies doch irgendwie auf das Verfahren zurückzuführen ist. Interne Dokumente der Klinik würden selbst die Möglichkeit erwähnen, dass die Methode dafür verantwortlich sein könnte, berichtete dei Washington Post. Möglicherweise wird dadurch auch das Überleben von Embryos verlängert, die ansonsten bald nach dem Einpflanzen in die Gebärmutter gestorben wären. Ob nun Zufall oder nicht, kritisiert werden die Wissenschaftler natürlich jetzt scharf, weil sie diese Verfälle in ihrem Bericht nicht erwähnt und behauptet hatten, alle mit der von ihnen entwickelten Technik erzeugten Kinder seien gesund. Deswegen sei das auch eine sichere Technik, die sie weiter anwenden wollen. Das Ansehen der Wissenschaftler wird durch ihren beschönigten Bericht nicht gerade steigen, dafür aber haben sie auch weitere Ängste vor den gentechnischen Möglichkeiten geschürt.

In der letzten Ausgabe von Science haben vor diesem Hintergrund Mark Frankel und Audrey Chapman, die bereits den AAAS REPORT ON HUMAN INHERITABLE GENETIC MODIFICATIONS herausgegeben und dort zu einem Moratorium aufgefordert haben, dafür plädiert, sofort ein Kontrollgremium einzurichten, die jeden Versuch überprüfen und genehmigen soll, bei dem in die Keimbahn von Menschen eingegriffen oder eine vererbbare genetische Veränderung (IGM = inheritable genetic modifications) vorgenommen wird. Die Kontrollmöglichkeiten des Gremiums sollen nach Ansicht der Wissenschaftler auf einer gesetzlichen Regelung beruhen, um auch den privatwirtschaftlichen Sektor einzuschließen. Besonders im Auge haben die Wissenschaftler die Multimillionen Dollar schwere Reproduktionsindustrie, die in den USA nahezu außerhalb jeder Kontrolle arbeite. Wenn die ersten Eingriffe in die Keimbahn erfolgen sollten, so würde dies, wie der Fall Saint Barnabas zeige, vermutlich in Reproduktionskliniken geschehen: "Das ist, ganz allgemein, keine Umgebung, in der man den sichersten und verantwortlichsten Umgang mit IGM-Techniken erwarten sollte."

Für die besorgten Wissenschaftler bringe die Veränderung der Gene für die künftigen Generationen nicht nur eine medizinische, sondern auch eine soziale Revolution mit sich. Eingriffe in die Keimbahn oder andere vererbbare genetische Veränderungen würden sicher nicht nur aus therapeutischen Zwecken erfolgen, sondern würden auch vorgenommen werden, um die genetische Ausstattung zu "verbessern": "IGM für eine solche Verbesserung könnte die Kluft zwischen den 'haves' und den 'have-nots' vergrößern." Damit würden die Vorteile, die reichere Menschen aus einer besseren Erziehung und Bildung ziehen, noch durch genetische Vorteile erweitert werden.

Die Wissenschaftler plädieren vorerst für ein Verbot für "vererbbare genetische Veränderungen" in den USA. Diese Formulierung sei genauer als das in vielen europäischen Ländern eingeführte Verbot einer Veränderung der "Keimbahn", da dieser Begriff sehr vage sei. Unter der Bezeichnung IGM könne man eben auch Versuche wie die in der Reproduktionsklinik von Saint Barnabas erfassen, bei der die genetische Veränderung nicht beabsichtigt war, sondern nur ein nicht vermeidbarer, angeblich aber unbedeutender Nebeneffekt der medizinischen Behandlung. Bislang habe man noch keinerlei Erfahrung mit den Folgen einer IGM, gleichgültig, ob sie absichtlich erfolge oder nur in Kauf genommen werde. Man habe öffentlich auch noch nicht darüber diskutiert, wie man Sicherheit über Generationen hinweg für eine Veränderung von Genen überhaupt festlegen könne. Bevor durch Experimente wie in Saint Barnabas die Entwicklung einfach weiter getrieben werde und man gegenüber dem biomedizinischen Fortschritt nur noch reaktiv sich verhalten kann, sei eine öffentliche Diskussion und eine strenge Kontrolle nötig.