Erhebliche Differenzen bei Studiengebühren

Einige EU-Länder verzichten komplett auf die Campusmaut, in anderen ist ein Jahr Hochschulausbildung teurer als ein Mittelklassewagen. Deutschland fahndet derweil nach der Sozialverträglichkeit im Bildungssystem

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Wenn es um Studiengebühren geht, hören schon in Deutschland die Gemeinsamkeiten auf. Sieben Bundesländer verlangen pro Semester im Durchschnitt 500 Euro, neun andere verzichten auf die umstrittene Abgabe, versuchen aber, die Hochschulfinanzen anderweitig aufzubessern. So etwa das gebührenfreie Land Thüringen, das ein detailfreudiges Hochschulgebühren- und -entgeltgesetz beschlossen und den örtlichen Hochschulen eine Reihe interessanter Verdienstmöglichkeiten eröffnet hat.

Die Technische Universität Ilmenau erhebt nun beispielsweise einen Verwaltungskostenbeitrag (50 Euro), Säumnisgebühren bei verspäteter Rückmeldung (20 Euro), Gebühren bei Regelstudienzeitüberschreitung (500 Euro pro Semester), eine Gebühr für den Vorbereitungskurs für die „Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang“ (450 Euro), gegebenenfalls daran anschließend Gebühren für die „Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulgang“ (50 Euro je Prüfung), Gebühren für akademische Prüfungsverfahren (Promotion: 100 Euro, Habilitation: 150 Euro, Umhabilitierung: 50 Euro), Gebühren für Gasthörer (50 Euro), Gebühren für ein Seniorenstudium (125 Euro) und schließlich Aufwandsentschädigungen für die Ausgabe einer Chipkarte oder einer Ersatzchipkarte sowie einer Zweitschrift eines Studienausweises oder Gasthörerausweises (15 Euro je Ausweis) oder für das Ausstellen einer Zweitschrift eines Abschlusszeugnisses oder einer Urkunde über die Verleihung eines akademischen Grades (20 Euro je Zeugnis).

In vielen Fällen vertragen sich reguläre Studiengebühren auch ideal mit sonstigen Abgaben. Die Leibniz Universität Hannover verlangt für das kommende Sommersemester stolze 757,28 Euro – sorgfältig zusammengesetzt aus Studentenwerksbeitrag (48 Euro), AStA-Beitrag incl. 0,91 Euro Fahrradwerkstatt (10 Euro), Semester-Card-Anteil (124,28 Euro), Verwaltungskostenbeitrag (75 Euro) und Studienbeitrag (500 Euro).

In den 29 Ländern der Europäischen Union ist die Lage noch sehr viel unübersichtlicher. Zum ersten Mal hat das Münchner ifo Institut nun genauer untersucht, in welchem Umfang sich die Studierenden europaweit an den Kosten ihrer Hochschulausbildung beteiligen müssen.

Vorsicht bei Gebührenfreiheit

Mehr als ein Drittel aller europäischen Länder erheben auf den ersten Blick keine Studiengebühren. Die vier skandinavischen Staaten verzichten ebenso auf eine generelle Campusmaut wie Frankreich, Irland, Polen, Tschechien, die Slowakei, Malta, Zypern oder Slowenien.

Wer sich die Studienordnungen genauer ansieht, erkennt allerdings, dass sich die Lage im konkreten Detail weniger kostengünstig darstellt. So garantieren slowenische Hochschulen die Gebührenfreiheit nur während des Grundstudiums, verlangen aber den Graduierten bis zu 1.500 Euro im Jahr ab. In Frankreich erwarten private Hochschulen bis zu 7.500 Euro, und in Irland kostet den Nicht-EU-Ausländer ein Jahr Hochschulbildung schnell gute 10.000, unter Umständen sogar mehr als 30.000 Euro. Auch Dänemark, Schweden, die Slowakei, Malta und Zypern erheben Beiträge, wenn die Studierenden nicht aus der Europäischen Union kommen.

Komplett gebührenfrei ohne nachträgliche und einschränkende Bedingungen ist ein Hochschulstudium demnach nur noch in Finnland und Norwegen.

Zwischen 50 und 21.000 Euro

Wer sich für ein Studium in einem Land entschieden hat, in dem es kein gebührenfreies Erststudium gibt, tut ebenfalls gut daran, die entsprechenden Bestimmungen genau zu analysieren. Denn in Europa existiert mittlerweile eine kaum überschaubare Vielzahl unterschiedlicher Gebührensysteme. Manche Länder mögen es einheitlich und verlangen von den Studierenden eine Pauschalsumme – 100 Euro pro Semester in Luxemburg, 500 Euro pro Jahr in Portugal, 363 Euro pro Semester in Österreich. Andere überlassen die Entscheidung über die Höhe der Studienabgaben den Hochschulen, so dass die Jahresbeiträge zwischen 550 und 900 Euro schwanken können, wie etwa in Spanien, wo noch nach Universitätsstandort und Studienfach differenziert wird. In Bulgarien zahlen Studierende, sofern sie nicht unter die gebührenfreie Staatsquote fallen, zwischen 50 und 200 Euro per anno, wer in der Schweiz einen akademischen Bildungsweg einschlagen möchte, muss Beiträge zwischen 1.230 und 2.900 Euro einplanen. Gegen einige Graduierten-Programme in England und Wales, die umgerechnet gut 21.000 Euro kosten, sind die Eidgenossen freilich durchaus kostengünstig.

Für Studierende aus Nicht-EU-Ländern wird es - wie bereits erwähnt - in fast allen Fällen erheblich teurer als für ihre europäischen Kommilitonen. Malta, an sich gebührenfrei, fordert von ihnen zwischen 1.250 und 1.500 Euro pro Jahr, Dänemark, eigentlich auch gebührenfrei, geht hier sogar auf 9.000 bis 16.000 Euro, und selbst Estland schraubt seine Durchschnittswerte, die pro Semester zwischen 420 und1.200 Euro liegen, für Bürger aus Nicht-EU-Staaten auf 960 bis 1.500 Euro.

Das „sozialverträglichste“ Gebührenmodell in ganz Deutschland

Hierzulande geht die Diskussion derweil unvermindert weiter, und dafür gibt es gute Gründe, denn der Umstand, dass in neun Bundesländern bislang keine Studiengebühren eingeführt wurden, muss nicht von Dauer sein. Überdies sind an verschiedenen Gerichten Klagen anhängig, so auch eine Verfassungsklage am Hessischen Staatsgerichtshof, nachdem 71.510 Bürgerinnen und Bürger ein entsprechendes Verfahren unterstützt hatten. Wann der Staatsgerichtshof, der seit Mitte Februar verhandelt, eine Entscheidung trifft, steht noch nicht fest, die noch regierende CDU sucht aber bereits Rückendeckung und möchte die unpopuläre Maßnahme in den Verantwortungsbereich der Hochschulen delegieren. Auf der Klausurtagung in Bad Wildungen einigten sich die Christdemokraten Ende Februar deshalb auf folgende Sprachregelung:

Die Studienbeiträge sollen, wenn der Staatsgerichtshof sie für zulässig erklärt, bestehen bleiben. Allerdings wird die Entscheidung über die Erhebung an die Hochschulen delegiert.

Bad Wildunger Erklärung, 27. Februar 2008

Die nordrhein-westfälische Regierung, die ebenfalls die Einführung von Studiengebühren beschlossen hat, gibt sich wesentlich selbstbewusster. Eine Experten-Anhörung Ende Februar hat nach Einschätzung von Innovationsminister Andreas Pinkwart (FDP) zweifelsfrei bewiesen, dass sich infolge der umstrittenen Abgabe nicht nur die Studienbedingungen verbessern. Die Hochschulinformationssystem GmbH (HIS), die sich übrigens auch gerade mit der öffentlichen und privaten Finanzierung von Hochschulbildung und dem sozialen Gleichgewicht beschäftigt hat, halte das nordrhein-westfälische Studienbeitragsmodell sogar für das „bundesweit sozialverträglichste“. Es gebe keine „nennenswerten Abschreckungseffekte“, meinten Regierungsvertreter und Gebührenbefürworter.

Vielen Studierenden ist die Anhörung ganz anders in Erinnerung geblieben. Das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) kritisiert neben der fehlerhaften Verwendung auch den Rückgang der Landesmittel für die Hochschulen und genau die „abschreckenden Effekte“, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. ABS-Vertreter André Schnepper wertet den jüngsten Rückgang der Studierendenzahlen – im Wintersemester 2007/08 waren 1,948 Millionen Studierende eingeschrieben, 31.900 weniger als im Vergleichszeitraum 2006/07 - als „klares Zeichen dafür, dass auch Darlehensmodelle die Abschreckungseffekte der Gebühren nicht minimieren“. Er befürchtet weitere Qualitätseinbußen im Bereich der Lehre, wenn die sogenannten Reformen wie geplant weitergehen.

Selbst wenn die Landeszuschüsse für alle Hochschulen in ihrem derzeitigen Umfang für die nächsten zwei Jahre garantiert wären, würde dies aufgrund der Inflation trotzdem einer Kürzung der Landesgelder gleichkommen. Darüber hinaus muss man bedenken, dass bereits heute einige Hochschulen, wie etwa Siegen oder auch Wuppertal weniger leistungsbezogene Mittel erhalten. Dies führt dazu, dass beispielsweise das Kompetenzzentrum für berufsorientierte Studien an der Universität Siegen, das in den Studienordnungen der neuen Bachelorstudiengänge als wesentliches Element vorgesehen ist, komplett aus Studiengebühren finanziert werden muss.

André Schnepper

Samenspender und Leihmütter in Hamburg

Die Studiengebühren, die der CDU-Senat unter Ole von Beust zum Sommersemester 2007 eingeführt hat, sind auch in Hamburg umstritten. Schon vor der Wahl formierten sich pink gekleidete Kunstjünger, Demonstranten und boshafte Satiriker, um einmal mehr gegen die Zwangsabgabe zu protestieren. Letztgenannte erregten bundesweit Aufsehen, als sie unter studentenbaby.de eine Plattform einrichteten, auf der Samenspender und Leihmütter ihre Dienste respektive ihr genetisches Material zum Dumpingpreis von 500 Euro anboten. Nachdem die Homepage in unterschiedlichster Weise zweckentfremdet wurde, stellten die Betreiber ihr Projekt Anfang März wieder ein – nicht ohne auf den beunruhigenden Realitätsgehalt der skurrilen Idee hinzuweisen.

studentenbaby.de - ein weit her geholtes Szenario? Leider nein. In den USA sind vergleichbare Strukturen bereits längst Teil der Realität geworden. Hier gibt es Unternehmen, die sich auf den Verkauf von studentischen Eizellen spezialisiert haben. Geworben wird gezielt auf dem Campus, viele junge Frauen ergreifen diese Möglichkeit, um eine Chance in einem elitären Bildungssystem zu erhalten, dass nun Europa als Vorbild dienen soll.
Im Gebührenland Frankreich finanzieren sich mittlerweile geschätzte 40.000 Studentinnen das Studium sogar durch sexuelle Handlungen, auch in England ist diese Form der Prostitution nicht unüblich.

studentenbaby.de

Stipendien für 10 Prozent aller Studierenden?

Über die Studiengebühren würde möglicherweise nicht halb so kontrovers diskutiert, wenn es Politik und Wirtschaft mit dem Versprechen der Sozialverträglichkeit ernst gewesen wäre. Die Bundesrepublik braucht ein funktionierendes Förder- und Stipendiensystem, um endlich die hohen sozialen Schranken beim Bildungszugang abzubauen, umfassende Chancengerechtigkeit herzustellen und die Durchlässigkeit der verschiedenen Ausbildungsformen zu erhöhen.

Als das Bundesverfassungsgericht im Januar 2005 der Einführung von Studiengebühren grundsätzlich zustimmte, erwartete Karlsruhe ausdrücklich, „dass die Länder in eigenverantwortlicher Wahrnehmung (…) den Belangen einkommensschwacher Bevölkerungskreise angemessen Rechnung tragen werden.“

Derzeit erhalten weniger als 2 Prozent aller Studierenden ein Stipendium, und gerade die Bundesländer, die Studiengebühren beschlossen und eingeführt haben, unternehmen wenig Anstrengungen, um an dieser Situation etwas zu ändern. Schlimmer noch: Die Vorsitzende des Bildungsausschusses im Bundestag, Ulla Burchardt (SPD), hat vor kurzem darauf hingewiesen, dass von 2004 bis 2007 nur von vier dieser Länder Studienstipendien vergeben wurden. In Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen fehlt selbst dieses Angebot.

Nordrhein-Westfalens Innovationsminister Andreas Pinkwart will nun Abhilfe schaffen und ein nationales Stipendiensystem entwickeln. Mit seiner Hilfe soll die Zahl der Empfänger bis 2012 auf zehn Prozent eines Jahrgangs erhöht werden. 10 von 100 Studierenden bekämen dann 300 Euro im Monat, die Vergabe würde ausschließlich unter Leistungskriterien erfolgen, und den Förderfond, der in der letzten Stufe 388 Millionen Euro beinhalten müsste, sollen Bund (126 Millionen Euro) Länder (68 Millionen Euro) und Wirtschaft (Restsumme) aufbringen.

Mit seiner „Eins zu Eins-Partnerschaft zwischen Staat und Wirtschaft“ stieß Pinkwart in der letzten Sitzung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) allerdings auf wenig Gegenliebe. Die SPD vermisst auch hier die soziale Komponente, und Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, ging ebenfalls auf Distanz.

Mehr Stipendien sind notwendig, aber vor allem für diejenigen, die Unterstützung am dringendsten benötigen: Gerade junge Menschen aus einkommensarmen Familien können sich ein Studium nicht mehr leisten. Ihnen muss der Weg zum Hörsaal frei geräumt werden. Begabtenstipendien gibt es bereits - wir brauchen jetzt dringend Stipendien für Benachteiligte. (...)
Wer wirklich mehr Fachkräfte will, öffnet die Hochschulen und verzichtet auf Studiengebühren. Das Geld, was neue Stipendiensysteme kosten, kann dann getrost in die Hochschulen investiert werden. Dass die Bundesregierung Pinkwarts Stipendienprogramm mitfinanzieren soll, ist zudem absurd: Warum sollte der Bund die Studiengebühren-Suppe der Länder auslöffeln?

Kai Gehring

Das Thema soll nun bei der nächsten Sitzung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz noch einmal beraten werden. Voreilige Entscheidungen sind deshalb garantiert ausgeschlossen. Das Gremium tritt erst am 19. Mai 2008 wieder zusammen.