Erst Trennungsfragen, dann Freihandelsabkommen und Zollvereinbarung

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Brexit-Verhandlungen: Brüssel und London einigen sich auf Themenreihenfolge

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Am 23. Juni 2016 entschied sich das britische Volk in einem Referendum dafür, die EU zu verlassen. Es dauerte fast ein Jahr - bis gestern - bis die Gespräche über diesen Ausstieg begannen. Dazwischen gab es im Vereinigten Königreich unter anderem einen Premierministerwechsel, Neuwahlen und Umbildungen des Kabinetts, in dem nun mit David Davis ein Minister für nichts anderes als den Brexit zuständig ist. In der ersten Gesprächsrunde einigte er sich mit dem EU-Verhandlungsführer Michel Barnier nur auf einen Zeitplan für den Fortgang der Verhandlungen.

Dieser Zeitplan sieht vor, zuerst über die Aufenthaltsrechte von Staatsangehörigen aus anderen EU-Mitgliedsländern, die bereits im Vereinigten Königreich leben, zu sprechen - und über die von Engländern, Schotten und Nordiren, die ihre Wohnsitze in Deutschland, Frankreich und anderen EU-Ländern nahmen. Dazu soll Theresa May diese Woche beim anstehenden EU-Gipfel ihren Amtskollegen einen ausgearbeiteten Vorschlag vorlegen. Für die neue nordirische Landgrenze zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich will man "kreative, flexible und fantasiereiche Lösungen" finden. Davis zufolge soll sie möglichst "unsichtbar" werden - ein erster Effekt des neuen nordirischen Tory-Mehrheitsbeschaffers DUP, der dort andernfalls wirtschaftliche Nachteile für die Region fürchtet?

Zwischen plus 60 und minus neun Milliarden Euro

Ebenfalls zur ersten Verhandlungstranche sollen die finanziellen Fragen gehören, für die (wie zu Nordirland) eine eigene Arbeitsgruppe geschaffen wird und zu denen man in London und Brüssel sehr unterschiedliche Vorstellungen hegt: Während EU-Vertreter fordern, dass Großbritannien auch nach einem Ausstieg aus der EU noch Zahlungen von bis zu 60 Milliarden Euro für EU-Beamten-Pensionen und andere als "langfristige Verpflichtungen" gewertete Haushaltsposten zahlen soll, hat die britische Premierministerin Theresa May ein Rechtsgutachten anfertigen lassen, das solch eine Verpflichtung verneint und stattdessen eine valide Rechtsgrundlage für die Rückforderung von in der Europäischen Investitionsbank (EIB) eingezahlten neun Milliarden britischen Pfund bejaht (vgl. Brexit: Zusammenarbeit oder eine saftige Rechnung?).

Barnie: Keine "Rache"

Erst wenn alle EU-Regierungschefs mit den ausgehandelten Trennungsbedingungen einverstanden sind, will man über ein Freihandelsabkommen und eine Zollvereinbarung zwischen Großbritannien und der EU sprechen. Dieser Zeitplan gilt insofern als britisches Zugeständnis an Brüssel, als London vorher verlautbart hatte, man wolle gleichzeitig über die Trennungsmodalitäten und über neue Freihandels- und Zolloptionen verhandeln. Davis meinte dazu in seiner gestrigen Pressekonferenz mit Barnier, es gehe "nicht darum, wie man Gespräche anfängt, sondern wie man sie beendet." Die unverändert gebliebene Position seines Landes sei weiterhin, die "Kontrolle über Gerichte und Grenzen" zurückzuerlangen. Danach könne es eine neue "Partnerschaft" geben, von der beide Seiten profitieren, weil sie "gemeinsam mehr erreichen können als alleine".

Sowohl Barnier als auch Davis betonten, dass die Ziele der Verhandlungen ein geordneter Ausstieg und ein für beide Seiten fairer Handel seien. Die Möglichkeit eines "Hard Brexit" - eines Ausstiegs ohne Einigung - sprachen beide nicht an. Barnier schlug außerdem einen anderen Tonfall an, als ihn der Luxemburger EU-Kommissar Jean-Claude Junker und der Deutsche Martin Schulz vorher an den Tag gelegt hatten: Er meinte, es gehe nun nicht um "Rache", sondern darum, negative Konsequenzen für Briten und Bürger anderer EU-Länder möglichst gering zu halten. Da sich Großbritannien selbst für den Ausstieg entschieden habe, könne das Land allerdings keine Forderungen stellen.

Fortsetzung am 17. Juli

Die nächste offizielle Verhandlungsrunde ist erst für den 17. Juli geplant. Danach will man jeweils eine Woche im Monat verhandeln und in den drei anderen Wochen intern Vorschläge ausarbeiten und prüfen. Eine geleakte Dienstanweisung aus Brüssel, die das Verhalten von EU-Verhandlungsführern und anderen Beamte bei hohen Sommertemperaturen regeln will, dient britischen Medien gerade als Erinnerung daran, warum man sich für einen Ausstieg entschied:

In dem Papier wird unter anderem der (offenbar noch aus der Zeit vor der durch Brüssel verbotenen Glühbirnen stammende) Hinweis gegeben, man solle das Licht ausschalten. Außerdem gibt man den für Verhandlungen möglicherweise nicht ganz praxistauglichen Tipp, vor vier Uhr nachmittags nach Hause zu gehen. Am meisten Spott zieht allerdings der Ratschlag auf sich, alkoholische Getränke zu meiden. Hier spekuliert man in Sozialen Medien vor allem darüber, ob sich wohl auch der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker daran hält. Der Europaparlamentsabgeordnete Nigel Farage, der ehemalige Vorsitzende der United Kingdom Independence Party (UKIP), hat auf Twitter bereits angekündigt, ihn in den Wind zu schlagen: "I'm there on Thursday and shall ignore their advice as I always do."

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