Erzwiderliche Bälger

Wegsaugen, aufblasen und in den Müll mit ihnen: "Charlie und die Schokoladenfabrik"

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Was soll das Kind denn nun konsumieren? Skrupellosen Massenmist oder pädagogischen Betulichkeitskrempel? Auf der einen Seite können sich junge Fernsehkonsumenten schon morgens mit üblem Gemüt zermürbendem Mist zukleistern lassen, andrerseits finden elterlichseits vielfach hysterische Versuche statt, die Brut von möglichst Allem, was vermeintlich schädlich ist, fernzuhalten. Das führt oft zu der Forderung, dass positive Figuren in Kindergeschichten einen idealen Lebenswandel zu führen haben und wenn möglich emanzipatorisch gerecht eingesetzt sein sollten. Das erzählerische Vergnügen bleibt auf der Strecke.

Bild: Warner Bros. Pictures

Derlei Käseglockenpädagogik will Kinder gerne auch vor dem grundverdächtigen Hollywood fernhalten. Dabei wenden die Amerikaner gerade im Kinderfilm oft weit mehr Geist auf als in ihrer Restware. Die Babe-Filme waren beileibe nicht so niedlich, wie ihre Hauptfigur aussah, sondern intelligente Typenkomödien, die Charaktere in "Toy Story" waren vielschichtiger als sechs Folgen Star Wars, und "Monsters inc." war die eindeutig bessere "Matrix". Und dann gibt es ja noch Tim Burton, der seine Produktionen wie "Nightmare before Christmas" oder "Edward mit den Scherenhänden" gerne in Nähe der kindlichen Panikgrenze ansiedelt. Auch bei seinen Erwachsenen-Filmen, wie "Sleepy Hollow", ist ja nicht so leicht auszumachen, wann das Kindermärchen aufhört und der Erwachsenenhorror anfängt.

Neben den Horror-Ikonen Vincent Price und Christopher Lee, gehört zu Burtons Helden auch Roald Dahl, ein Schriftsteller, der die Kinder am Liebsten hellauf lachen ließ über die Grauslichkeiten des Lebens. Lustvoll hat der 1990 verstorbene Dahl seine Kindergeschichten mit Viechern, Süßigkeiten und Bösewichtern gefüllt und ebenso lustvoll am Ende seine sehr willkürliche Gerechtigkeit walten lassen. Und Burton tut es ihm nun gleich in "Charlie und die Schokoladenfabrik", einer einfachen Kindergeschichte, die mit immensem Aufwand in eine Art psychedelischem Schokoladen-Volksfest verwandelt wurde.

Bild: Warner Bros. Pictures

Die Handlung bleibt weiterhin unverdrossen dünn: Charlie, ein netter Junge aus armen Verhältnissen, gewinnt mit seinem Opa einen Besuch in der Fabrik von Willy Wonka. Der exzentrische Fabrikant sucht einen Erben und lässt neben Charlie auch noch vier gleichaltrige Konkurrenten in die Fabrik ein. Nach der Besichtigung der märchenhaften Produktionsräume und diversen Unfällen bleibt aber nur noch Charlie übrig. Johnny Depp, bisher noch viel zu wenig gepriesen für sein Komödiantentum, gibt den Willy Wonka so peinlich und gestört es nur geht. Der Ire David Kelly, bekannt aus "Lang lebe Ned Devine" ist der Opa, und Deep Roy spielt sämtliche Umpa Lumpas, jenes Zwergenvolk, dass die Schokoladenfabrik in Gang hält.

Es zeugt für Burtons Stilsinn, dass er Deep Roy dazu nicht einfach computerisch vervielfältigt hat. Der Schauspieler musste jede einzelne Figur spielen, danach wurden die Auftritte zusammengefügt zu aufwändigen Tanzszenen, etwa einem Synchron-Schwimmen nach Art von Esther Williams. Und auch sonst überlässt Burton nicht der Computer-Technik die Überhand, sondern greift mitunter auf herkömmliche Methoden zurück, etwa auf Puppenspiel, Bauten oder auch einfach auf echte Eichhörnchen. Das Ergebnis ist ein gigantischer Süßigkeiten-Traum mit essbarem Gras, Riesenlutschern und einem Schokoladenwasserfall. Und wie bei Dahl ist vieles nahe am Kinderalbtraum, wobei der Film durchaus dem Humor und der Wonnetrunkenheit des Autors gerecht wird.

Bild: Warner Bros. Pictures

Schätzungsweise ist es Walt Disneys Schuld, dass die Amerikaner ständig meinen, Kindergeschichten müssten mit ordentlich Kitsch angereichert werden. Selbst Tim Burton scheint diesem Irrglauben zu erliegen. Schon beim Horror für Erwachsene hat er bisweilen mit dem Schmalz geflirtet, ausgerechnet bei seiner Dahl-Adaption macht er damit ernst, wenn auch nur am Rande und in bekömmlicher Form. Aber einen Schlenzer zu Willy Wonkas schlimmer Kindheit (mit Christopher Lee als Vater) und ein Hohelied auf das Familienleben hat er sich wohl nicht verkneifen können. Die Aufgabe, den Charlie als prototypischen netten Jungen zu zeigen, gelingt ihm indessen leider bestens. Schade nur, dass perfekte Kinder - wie Mogli, Wickie oder das Horror-Duo Tommi und Annika - nicht wirklich unterhaltsam sind.

Dieser schrecklich nette und normale Charlie wird aber zum Glück umringt von einem Quartett erzwiderlicher Bälger: Da ist die verwöhnte Bonzentochter, der asoziale Fettsack, der furchterregende Klugscheisserknirps, sowie eine auf's Gewinnen getrimmte Kampfsport-Göre. Diese vier werden bei Burton wie bei Dahl weggesaugt, zur Blaubeere aufgeblasen, geschrumpft und in die Länge gedehnt oder einfach in den Müll geworfen. Wenig pädagogisch, aber ziemlich genüsslich. Wer nun mahnt, dass man mit ekligen Kindern doch nicht so umgehen könne, der möge sich durch die Zusatzmaßnahmen getröstet fühlen. Denn Dahl fragt ja auch nach den Ursachen, etwa nachdem er die gierige kleine Veruca in den Mistkübel gepfeffert hat:

Who turned her into such a brat?
Who are the culprits? Who did that?

Ganz klar, die dummen Eltern sind's. Nämlich die ewig fütternde Mama, die ehrgeizige Einpeitscherin, der windelweiche Erdkundelehrer mit den Haarsträhnen über der Glatze oder eben Verucas Papa, der schwerreiche Snob.

And that is why we're glad they fell
Into the rubbish chute as well