Es droht der Hardware-Totalitarismus

Der DMCA war schlimm genug. Doch ein neuer Gesetzesentwurf will auch noch die letzten Freiheiten rauben

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Im Jahr 1998 verabschiedete der US Kongress den Digital Millenium Copyright Act, kurz DMCA. Von der Politik als ein modernes Copyright-Gesetz gefeiert, das den Ansprüchen der digitalen Ära gerecht werde, brachte es in Wahrheit massive Einschränkungen für die amerikanische Bevölkerung mit sich. Beispielsweise wurden alle Umgehungen für Verschlüsselungstechnologien verboten.

Wördön Söe zöm Böspöl dösön Sötz körrökt wödörgöbön, wäre dies bereits ein DMCA-Verstoß, wenn es der Copyright-Inhaber verbieten würde. Dmitry Sklyarov musste dies am eigenen Leib erfahren: Auf einer Sicherheitskonferenz wollte er demonstrieren, wie banal die Verschlüsselung der Adobes eBooks aufgebaut ist. Auf Verlassung von Adobe wurde er verhaftet; sein Beispielprogramm war bereits ein DMCA-Verstoß und rechtfertigte seine Inhaftierung. Der Princeton-Professor Edward Felten wollte auf einer Konferenz darstellen, wie lächerlich der Schutz für digitale Musik ist - von der Musikindustrie mit dem DMCA bedroht, musste er seinen Vortrag streichen.

Doch unterdessen droht noch Schlimmeres. Zwei Senatoren, der Demokrat Fritz Hollings aus South Carolina und den Republikaner Ted Hollings aus Alaska, haben den Security System Standards and Certification Act (SSSCA) eingebracht. Danach müsste in jedes (!) "interaktive digitale Gerät" ein Baustein zum Digital-Rights-Management eingebaut werden. Der merkwürdige Ausdruck interactive digital device umfasst gemäß der gegebenen Definition alle Geräte, Produkte, Programme, Technologien etc., mit denen man digitale Informationen kopieren, verarbeiten, speichern etc. kann. Gleichzeitig wird es unter Strafe gestellt, das Digital-Rights-Managment zu entfernen. Die Strafandrohung liegt bei maximal einer halben Million Dollar oder fünf Jahre Haft, für Wiederholungstäter verdoppeln sich die Höchststrafen.

Man muss nicht lange nachdenken, um sich die Auswirkungen dieses Gesetzes vorstellen zu können:

Erstens bricht der Hardware-Totalitarismus aus: Jedes Hardware-Teil muss einen DRM-Baustein haben. Wer sich als Amerikaner dann vielleicht ein günstiges Laufwerk aus dem Urlaub mitbringt, kann dann für fünf Jahre ins Gefängnis wandern. Und wer vielleicht ein neue Firmware ohne DRM flasht, weil dann das Laufwerk ein bisschen schneller liest, dem droht dieselbe Strafe. Die Verpflichtung, dass jedes Gerät eine Copyright-Blackbox haben muss, wäre eine ungekannte Entrechtung von Herstellern und Konsumenten. Bestimmte Rechnerumbauten würden automatisch zur Kriminalisierung führen.

Zweitens nennt der Text keinerlei Fair-Use-Ausnahmen. Vorbei die Zeiten, in denen man der Angebetenen eine schicke CD aus einzelnen Tracks zusammenbastelte: Der Entwurf verbietet jede Form des Kopierens und Dekodierens (einzige Ausnahme: Time-Shift-Videorekorder). Dies wäre eine Konsumenten-Enteignung in einem nicht vorstellbaren Ausmaß.

Drittens ist der ganze Text derart absurd, dass er Linux und alle anderen Open-Source-Projekte schlichtweg illegal machen würde. Denn unter "device" fällt laut Definition auch Software, und durch den SSSCA wird es illegal, ungeschützte "devices" der Öffentlichkeit zu übergeben. In den letzten Jahren zeichnet in der westlichen Welt niemand, weder die extreme politische Rechte noch die extreme politische Linke, für so viele Einschränkungen von Freiheitsrechten verantwortlich wie die Content-Industrie (auch die beiden oben genannten Senatoren werden schwerlich von selbst auf den Schutz der digitalen Inhalte gekommen sein). Mit dem DMCA (und entsprechenden geplanten Umsetzungen in Europa, wie der EU-Richtlinie zum Urheberrecht, vgl Die Privatkopie - vom Aussterben bedroht) nahm das Ganze bereits bedrohliche Ausmaße an, mit dem SSSCA würde endgültig eine Grenze überschritten.

Was nötig ist, ist ein Paradigmenwechsel. Es ist allgemein akzeptiert, dass der Maurer denselben Stundensatz hat, ob er nun in München Zentrum oder einem Dorf arbeitet, während der Notar ungleich höhere Summen einstreicht, wenn es um teurere Immobilien geht. Das ist nichts als akzeptierte Konvention. Genauso sehr ist "Copyright" an sich eine Konvention. In vielen Kontexten ist sie nützlich und notwendig, in vielen anderen dagegen schädlich und schlimm. Ist es angemessen, dass Freiheitsrechte immer weiter eingeschränkt werden, nur weil ein paar CDs weniger von Madonna verkauft werden? Ist ein fotokopierter (oder am Bildschirm zu lesender) Harry Potter wirklich eine Konkurrenz zu einem schnieken gedruckten Buch? Natürlich würde die Content-Industrie Nachteile erleiden, doch besser ein kleiner, beschränkter Industriezweig als die ganze Gesellschaft. Da die Content-Industrie sich offenbar nicht mit dem Erreichten zufrieden geben kann und zu stets neuerlichen Entrechtungsvorstößen ansetzt, kommen immer mehr Konsumenten zur Überzeugung, dass nur eine vollständige Freigabe von musikalischen, literarischen und anderen kulturellen Werken für die nicht-kommerzielle Weitergabe Abhilfe schaffen könnte.