Es geschehen noch Zahlen und Wunder

Die Ausstellung "10+5=Gott" im Jüdischen Museum Berlin geht dem Mysterium der Zahlen nach

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Am Anfang war nicht das Wort, sondern die Zahl und das Zeichen. Im Jüdischen Museum Berlin führt die Ausstellung 10+5=Gott die Macht der Zeichen und die Magie von Zahlen vor. Vom Urkilogramm bis zur Schreibmaschine mit Gender-Taste reicht die Palette an naturwissenschaftlichen Exponaten.

"floating.numbers" von ART+COM. © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe, Berlin

Einzelne Ziffern und ganze Zahlenkolonnen schweben auf einer tiefblauen Fläche, die einem Firmament gleicht. Von der Decke werden sie auf den raumfüllenden Tisch projiziert. Leuchten sie gelb auf, kann sie der Ausstellungsbesucher berühren und es öffnen sich Computeranimationen zu Bedeutung, Mythologie und Kulturgeschichte der jeweiligen Zahl.

Dass die 13 eine Unglückszahl sei, liegt allein im Auge des Betrachters. Allerdings: Seit Jesu Geburt, ist zu erfahren, gibt es mehr Freitage, die auf einen 13. gefallen sind, als auf einen anderen Tag im Monat. Und der Zwölftonkomponist Arnold Schönberg zog es vor, die 13 selbst bei Hausnummern zu meiden - an einem 13. geboren, verstarb er auch an einem solchen Tag. Zufall oder Schicksal eines abergläubischen Menschen?

Um die 7 ranken sich ebenso viele Mythen, von den sieben Weltwundern und den sieben Tugenden bis zur rechnerischen Annahme, dass alle 6 Milliarden Menschen um sieben Ecken miteinander bekannt sind, wenn man davon ausgeht, dass jeder Mensch 100 Bekannte hat.. Mathematiker wissen, dass Zahlen eine eigentümliche Eleganz und Ästhetik innewohnt. So lässt sich etwa das Rechenspiel 12 mal 12 gleich 144 auch in umgestellter Zahlenfolge als 21 mal 21 gleich 441 lesen. Die 48 und 75 gelten als "befreundete Zahlen", da die Summe ihrer Teiler im einen Fall 75 und im anderen Fall 48 ergibt. Die 52 dagegen ist eine "unerreichbare Zahl" - sie ist (ebenso wie die 88) nie die Summe der Teiler einer anderen Zahl. Sehr anschaulich bildet die von Art+Com gestaltete interaktive Installation, die den Mittelpunkt der Ausstellung "10+5=Gott - Die Macht der Zeichen" bildet, das Mysterium der Zahlen ab.

V2-Spitze, 1944. Die V2 war eine der höchstentwickelten Waffen ihrer Zeit. Bevor sie 1942 zum ersten Mal zum Einsatz kam, waren komplexe mathematische Berechnungen notwendig. © Historisch-Technisches Informationszentrum, Peenemünde

Drumherum ordnen sich zehn Räume zu einer Kulturgeschichte der Zeichen an. Anfangs wird auf das Lesen und Schreiben als elementare Kulturtechnik abgehoben. Im hebräischen Alphabet stehen die 22 Buchstaben jeweils auch für Ziffern, die ersten neun für die Zahlen 1 bis 9 (alef=1; bet=2 usw.), dann folgen die neun Zehner und dann die ersten vier Hunderter. Allerdings haben sich aus Glaubensgründen arabische Zahlen durchgesetzt, nur in religiösen Texten und bei Kalenderdaten werden die hebräischen benutzt. Hierdurch erklärt sich der Titel der Ausstellung: Weil die 10 dem Buchstaben J und die 5 einem H entspricht und beide zusammen Teile des Namens Gottes (Jahwe) sind, wird vermieden, die 15 zu schreiben und stattdessen 9+6 benutzt. Den Namen Gottes zu schreiben, ist im Judentum ein Tabu.

Den meisten deutschen Nichtjuden wird dies unbekannt sein, obwohl es eine große gemeinsame Geschichte gibt, die von der NS-Zeit jählings unterbrochen wurde. Zum Selbstverständnis des Jüdischen Museums Berlin gehört es, genau hieran anzuknüpfen und auf die Gemeinsamkeiten der jüdischen und deutsche Geschichte aufmerksam zu machen. So stehen Alltag und Kultur, Religion und Politik, Wissenschaft und Wirtschaft im Zentrum der Ausstellung, deren Exponate aus der ganzen Welt stammen. Das Westfälische Schulmuseum Dortmund beispielsweise hat "Lucke's Leseapparat" und "Wlecke's Finger-Rechen-Apparat", mit denen Kinder um 1920 auf hebräisch lesen und rechnen lernten, zur Verfügung gestellt. Vom Department of Computer Science der israelischen Universität Rehovot in Jerusalem stammt ein Bauteil des Computers Golem Aleph, einem der ersten Elektronengehirne, das dem Ideal der Kabbalistik - eine Welt ganz aus Zahlen - ziemlich recht kommt.

Interaktive Interpretation des Spiels "Himmel und Hölle". © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe, Berlin

Naturgemäß spielen Zahlen in der Wissenschaft eine große Rolle. Um 1900 war die Universität Göttingen das Zentrum der mathematischen Gelehrtenwelt. Berühmte Mathematiker, darunter viele Juden, vollzogen in Göttingen den Übergang zur formalistischen Mathematik, die aufgrund ihrer schwierigen Vermittelbarkeit eine "Krise der Anschauung" zu Folge und eine Reihe von Judenklischees hervorgebracht hatte. Die Jacobische Amplitude, die Kummersche Fläche und Hilberts 23 mathematische Probleme, von denen erst zehn als gelöst gelten, wurden in Göttingen "erfunden". Die bahnbrechenden Neuerungen veranlassten den ebenfalls dort ansässigen Philosophen Edmund Husserl zu seiner Habilitationsschrift "Über den Begriff der Zahl", woraus dann das philosophische Teilgebiet der Phänomenologie sich entwickelte. Ebenso wie Husserl und Einstein musste John von Neumann 1933 Deutschland verlassen. In einem Video ist er in den sechziger Jahren bei einem Auftritt im amerikanischen Fernsehen zu sehen, wie er dem etwa vierzehnjährigen Bill Clinton die Notwendigkeit einer naturwissenschaftlichen Ausbildung erklärt. Doch vergeblich: Clinton wollte lieber Jura studieren.

MitzvaMan 613, 1999.Jüdische Version des PacMan. Der Spieler gewinnt Bonuspunkte, wenn er eine Frage zu den 613 Ge- und Verboten der jüdischen Religion richtig beantwortet. © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Jens Ziehe, Berlin

Zu den vielen Klischees über Juden gehört auch das Bankenwesen. Zwischen 1870 und 1900 waren zwei Drittel der Berliner Bankiers jüdischer Herkunft. Georg von Siemens, Joseph Mendelssohn und Adelbert Delbrück zählten zu den großen Finanzherrschern. Traditionell von vielen Berufen ausgeschlossen, hatten sich Juden bereits im Mittelalter auf den Geldverleih kapriziert und ein internationales Geflecht von Beziehungen aufgebaut - ideal für die spätere Hochfinanz. Dass sie auch maßgeblich an der Entwicklung von Telefon und Telegrafie sowie am Bau des Berliner Rohrpostsystems beteiligt waren, wird in der Ausstellung kaum unterschlagen. Ein Zahlenspiel ganz anderer Art prangt auf einem elektronischen Display: Die aktuelle, sich sekündlich um 2000 Euro vermehrende Staatsverschuldung der BRD, gewonnen aus Zahlen vom Bund der Steuerzahler.

Vom ersten deutschsprachigen Monopoly-Spiel, das Goebbels 1936 als "jüdisch-spekulativ" verbieten ließ, über die seltsame Zählweise von Hausnummern in einigen Berliner Straßen (eine Straßenseite wird hoch-, oben angekommen die andere dann runtergezählt) bis zu den berüchtigten Verschwörungstheorien zur Zahl 23 befasst sich die Ausstellung in anregender Weise mit dem Zahlenuniversum. Nicht zu vergessen den Pacman mit Schläfenlocke und die Schreibmaschine des Göttinger Anthropologen Karl Saller, die eine Gender-Taste aufweist, damit der Gelehrte in seinen Schriften auf die um 1920 noch unumstößliche Differenz zwischen männlich und weiblich besser zugreifen konnte.

Die Ausstellung läuft bis 1. August 2004 im Jüdischen Museum Berlin