Es muss geritten werden

Das Dritte Reich im Selbstversuch, Teil 13/II: … reitet für Deutschland

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Teil I: Der innere Befehl

Zuletzt hat der Held von … reitet für Deutschland festgestellt, dass er kein Krüppel ist, dass er wieder reiten und Toms lieben kann (Toms ist eine Frau, kein Pferd). Kaum wieder fest im Sattel sitzend, will der Rittmeister den Franzosen und den Engländern - nur beim Springreiten! - zeigen, wo der Hammer hängt. Auf dem Weg dahin muss er einige Hindernisse überwinden, die er so souverän überspringt wie die Hürden, die theoretisch von der FSK aufgestellt werden, um die Jugend vor dem Gedankengut der Nazis zu schützen. Dazu kommen wir gleich. Vorher noch ein paar Anmerkungen zur Link auf ./37047_1.pdf des Münchner Filmmuseums in Sachen "Vorbehaltsfilme", die kürzlich stattgefunden hat.

Der Leiter des Filmmuseums, Stefan Drößler, hatte … reitet für Deutschland als Vorprogramm zur Podiumsdiskussion ausgewählt, obwohl das, streng genommen, gar kein Vorbehaltsfilm ist. Aber streng genommen gibt es für die Vorbehaltsfilme sowieso keine Kriterien außer dem, dass ein Film auf irgendeiner Liste steht. Und ganz generell war … reitet für Deutschland eine gute Wahl. Ich schreibe hier nur über diesen Film, weil mir beim Wiedersehen klar wurde, wie exemplarisch er für den "verantwortungsbewussten Umgang mit der NS-Vergangenheit" (etc. pp.) steht.

Nichts Genaues weiß man nicht

Die Ergebnisse der Podiumsdiskussion sind rasch zusammengefasst. Kurz gesagt: Mit den Vorbehaltsfilmen verhält es sich in etwa so, wie ich mir das am Anfang dieser Artikelreihe, und in Ermangelung verlässlicher Informationen, selbst zusammengereimt hatte. Mit Befriedigung erfüllt mich das nicht, denn die ganze Angelegenheit ist ein Trauerspiel. 1945 bestimmten die Alliierten Militärbehörden nach eher oberflächlichen Kriterien (Krieg, NS-Symbole, karikierte Juden, Mitwirkung einschlägig vorbelasteter Personen), welche Filme aus der Produktion des Dritten Reichs weiter ungekürzt gezeigt werden durften, welche nur mit Schnittauflagen und welche gar nicht mehr. Die so entstandene Verbotsliste wurde im Laufe der Jahre immer kürzer. Die Titel, die jetzt noch auf der Liste stehen, das sind die Vorbehaltsfilme.

Zur Diskussion waren Personen gekommen, von denen man hätte hoffen können, dass sie mehr über die Vorbehaltsfilme sagen würden. Ernst Szebedits (Vorstand der Murnau-Stiftung), Karl Griep (Chef des Bundesfilmarchivs) und Christiane von Wahlert (Geschäftsführerin der FSK) waren aber entweder überfragt oder der Meinung, dass es wohl so oder so ähnlich gewesen sein müsste wie soeben beschrieben. Genaueres wusste niemand. Schon daraus ergibt sich, dass die in der NS-Zeit hergestellten Filme heute nicht mehr ganz so gefährlich sind, wie man glauben könnte. Sonst müsste man nämlich den Uralt-Kriterienkatalog der Alliierten auf seine Sinnhaftigkeit überprüfen, die uns überlieferte Produktion neu sichten, bisher verbotene Filme eventuell freigeben, andere verbieten und so weiter. Nichts davon ist je geschehen. Keiner der Diskutanten war der Ansicht, dass man das jetzt mal nachholen sollte. Ein dringender Handlungsbedarf besteht demnach nicht. Wir haben es mit einer Verbotsliste als einem Fossil aus der Nachkriegszeit zu tun. Und weil wir in der Bundesrepublik Deutschland leben, wo man die Bevölkerung leidenschaftlich durch Verbote schützt, ohne diese je zurückzunehmen, gibt es sie noch heute.

Es ließe sich einwenden, dass die ganze Diskussion rein akademisch ist, weil uns die Digitalisierung eine absurde Situation beschert hat. Die Dinge, die die einen in den Giftschrank sperren, holen sich die anderen aus dem Netz. Auflösen können das nur Rechte- und Materialverwahrer wie die Murnau-Stiftung oder das Bundesarchiv (da lagern zum Beispiel die Wochenschauen), indem sie zugänglich machen, was über trübe Kanäle sowieso verfügbar ist. Nur so hat man einen Einfluss darauf, wie Dinge rezipiert werden, die sich virtuell (im Kopf von Zensoren und Bedenkenträgern) verbieten lassen, in der Wirklichkeit hingegen nicht. Ich kenne einen Internet-Anbieter, bei dem man Liebeneiners Ich klage an! auf DVD kaufen kann und einige Euthanasie-Rechtfertigungsschriften mit dazu. Kostenloser Download? Auch kein Problem. Weil es umsonst ist, kann sich der User bei der Gelegenheit gleich noch die Statements prominenter Holocaust-Leugner auf CD brennen, oder eine Dokumentation darüber, warum Hitler den Frieden wollte. Dem muss man etwas entgegensetzen, statt Sachen wegzusperren, die längst vervielfältigt wurden.

Eine grundsätzliche Überlegung gibt es auch. Zum Funktionieren der Propaganda im Dritten Reich gehörten ganz wesentlich die Gleichschaltung der Medien und die Abschaffung der Informationsfreiheit. Darum müsste es sich von selbst verstehen, dass man im Umgang mit den Hinterlassenschaften einer Diktatur, die verbot, was ihr nicht passte, extrem vorsichtig mit eigenen Verboten ist. Das heißt nicht, dass man grundsätzlich nichts verbieten darf. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass die Alliierten unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs bestimmte Filme nicht in deutschen Kinos sehen wollten (ob sie dabei immer die richtigen erwischten, ist eine andere Frage). Aber heute, 2012? Wenn man glaubt, die Demokratie schützen zu müssen, indem man selbst die Informationsfreiheit beschneidet, sollte man das zumindest sehr gut begründen. Dieser Satz wird allmählich zu meinem Mantra. Wahrscheinlich bin ich dazu verdammt, ihn so lange zu wiederholen, bis ich einen Menschen treffe, der mir erklären kann, warum es 67 Jahre nach Kriegsende noch immer diese Liste mit Filmen geben muss, die man als erwachsener Mensch nur sehen darf, wenn ein Aufpasser mit dabei ist. Bei der Veranstaltung im Münchner Filmmuseum bin ich diesem Menschen leider nicht begegnet.

Ich weiß jetzt, dass die Murnau-Stiftung Mitarbeiter hat, die gute und wichtige Arbeit leisten. Dumm nur, dass diese Arbeit wenig mit dem zu tun hat, was mich an den Vorbehaltsfilmen interessiert. Vielleicht ist das der Grund, warum mir außer der freundlichen Leiterin der Rechtsabteilung nie jemand geantwortet hat. Es gibt schlicht niemanden, der einem zu den Vorbehaltsfilmen etwas sagen kann. Einzige Ausnahme: Die rechtlichen Schritte, die man unternommen hat, um die unerlaubte Verbreitung in Ländern wie den USA zu unterbinden, was sogar dann einem Kampf gegen Windmühlenflügel gleichen würde, wenn eindeutig geklärt wäre, ob die Stiftung dort überhaupt Rechte geltend machen kann. Hier noch einmal die Definition auf der Website der Murnau-Stiftung:

Vorbehaltsfilme (VB-Filme) sind vorwiegend Propagandafilme aus der Zeit des Dritten Reichs, deren Inhalt kriegsverherrlichend, rassistisch oder volksverhetzend ist, denen z.T. die Freigabe der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK) verweigert wurde und die auf Beschluss des Kuratoriums der Murnau-Stiftung von ihr nicht gewerblich ausgewertet werden.

Da würde man doch annehmen, dass das Kuratorium diese Filme mal gesehen hat, die "nicht gewerblich ausgewertet werden" (= nicht öffentlich gezeigt werden dürfen = mittels Urheberrecht verboten sind), wegen dem verantwortungsbewussten Umgang mit der NS-Vergangenheit und dergleichen. Das habe ich früher nicht geglaubt, und jetzt glaube ich es noch weniger. In dieser Meinung bestärkt fühle ich mich durch die Ausführungen von Ernst Szebedits. Statt zu mauern, legte der neue Chef der Stiftung in München eine erfrischende Offenheit an den Tag. Wenn das so bliebe und er nicht in einem Crashkurs lernt, wie man sich hinter Worthülsen und Betroffenheitsrhetorik verschanzt (andere Teilnehmer am Podiumsgespräch haben es da zu großer Meisterschaft gebracht), das wäre schon mal was. Der Mann reagiert sogar auf E-Mails. Das könnte den Aufbruch in die Moderne signalisieren.

Fragmentierte Vergangenheit

Szebedits hat als Defizit erkannt, dass die Stiftung keinen Filmhistoriker in ihren Reihen hat (Abhilfe zu schaffen ist kompliziert, weil sie auch kein Geld hat). Da dem so ist, wurde in den 1990ern einer zugezogen. Dieser mir nicht namentlich bekannte Herr (ich nehme an, es war ein Herr) sollte die Vorbehaltsliste überprüfen und kam zu dem Ergebnis, dass alles seine Ordnung hat. Wie er zu dieser Erkenntnis gelangte, weiß ich nicht. Szebedits zufolge gibt es mehrere, nicht immer deckungsgleiche Listen, und nicht alle der dort aufgeführten Filme sind im Archiv der Stiftung auch vorhanden (der Inhaber der Verwertungsrechte besitzt nicht automatisch eine Filmkopie). Fuhr der beauftrage Historiker zwecks Sichtung zum Bundesarchiv, wo ebenfalls Verbotenes aus der NS-Zeit lagert (nachvollziehbare Kriterien: wieder Fehlanzeige)? Machte er sich anhand der Zusammenfassungen im Illustrierten Film-Kurier ein Bild, die einem - etwas paraphrasiert und ohne Quellenangabe - auf der Website der Murnau-Stiftung offeriert werden und von da vermehrt in die Bibliographie filmhistorischer Publikationen wandern, als seien das objektive Informationen und keine Propagandatexte (ein später Triumph für Dr. Goebbels)? Oder urteilte der Experte nach Aktenlage?

Akten, sagt Szebedits, gibt es bei der Stiftung jede Menge. Wenn die mal aufgearbeitet würden, das wäre schön. Danach könnte man dann sagen: So war das früher, das haben wir jetzt festgestellt, von nun an machen wir es anders. Der neue Chef der Stiftung ist mit dem Ziel angetreten, den Ruf seines Ladens zu verbessern. Da hat er viel zu tun. Bei der Diskussion meinte jemand im Publikum, dass fast alles von dem Filmerbe, das in Wiesbaden für uns verwaltet wird, quasi "unter Vorbehalt" steht, also nicht frei zugänglich ist, wenn man nicht in der Nachbarschaft der Stiftung wohnt. Dort dürfte man sich die Filme anschauen, was für Nicht-Wiesbadener eine eher theoretische Möglichkeit ist. Praktisch leiden die Murnau-Stiftung und ihre Vertriebspartner beim Veröffentlichen von Filmen auf modernen Trägermedien wie der DVD seit Jahren an einer Ladehemmung.

Das wurde bisher damit begründet, dass das nötige Geld fehlt und die wenigen schönen DVD-Editionen zu Lang, Lubitsch und Murnau nicht genug Käufer fanden. Am Geld allein kann es jedoch nicht liegen. Der lebende Beweis dafür saß bei der Diskussion mit auf dem Podium. Stefan Drößler, der Gastgeber und Organisator der Veranstaltung, rettet unermüdlich Filme für die Nachwelt und macht sie per DVD einem gegenwärtig existierenden Publikum zugänglich, obwohl er mindestens so unterfinanziert ist wie die Murnau-Stiftung und sicher weiß, dass er nie mehr als ein sehr kleines Marktsegment besetzen wird. Trotzdem bringt es die von Drößler initiierte und betreute DVD-Reihe von Filmarchiven und anderen Kulturinstituten jetzt schon auf mehr als 60 Titel für ein nicht nur am Mainstream interessiertes Publikum. (Neu erschienen: Peter Fleischmanns unbedingt sehenswerte Dokus zu Bernhard Kimmel, dem "Al Capone von der Pfalz").

Die Vorbehaltsfilme sind keine Meisterwerke der Kinematographie. Aber als Zeitzeugen zum dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte sind sie unentbehrlich. Aus den bislang in dieser Artikelreihe vorgestellten habe ich viel mehr über das Dritte Reich gelernt als aus den von Guido Knopp zu Fertigsuppen verrührten Erinnerungsschnipseln. Wenn Geschichte gekannt und verstanden wird ist das die beste Gewähr dafür, dass sie sich nicht wiederholt. Als Nachgeborener, finde ich, hat man einen Anspruch darauf, diese Filme zu sehen - nicht für Unsummen restauriert, aber in akzeptabler Qualität; so, dass man die Details erkennen kann und nicht in Form mehrfach kopierter und irgendwann digitalisierter Video-Mitschnitte, die durch das Netz geistern.

Mit neuen Personen kommen neue Chancen. Szebedits hat angekündigt, dass "noch in diesem Jahr" etwas passieren wird. Falls das zu DVD-Veröffentlichungen führen sollte, ist die FSK gefragt. Auch dort wäre eine kritische Bestandsaufnahme angesagt, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Die bei Zensoren schon immer sehr beliebte Konzentration auf das Herausschneiden bestimmter Stellen ist keine Erfindung der Alliierten. Für die unmittelbare Nachkriegszeit ist das sogar logisch nachvollziehbar. Als die Verantwortung von den Alliierten an die FSK überging, vermute ich, erwies sich das Herumschnippeln als unwiderstehlich. Indem man an der Oberfläche kratzte und die NS-Ideologie an Uniformen, Hakenkreuzen und Karikaturen vom bösen Juden festmachte stärkte man gleichzeitig die beruhigende Fiktion, dass alle Filme, in denen solche Propagandamerkmale nicht oder nicht mehr zu finden waren, zur harmlosen Unterhaltung zählten. Die meisten von den Leuten, die die alliierten Zensoren im Blick hatten, als sie dieses Vorgehen wählten, sind längst gestorben. Allmählich wäre es mal an der Zeit, die fragmentierte durch eine ganzheitliche Betrachtungsweise zu ersetzen.

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