Es war einmal in einer schlecht beleuchteten Galaxis

Bild: © Marvel Studios 2018

Wir leben im MCU-Regime: "Avengers 3: Infinity War"

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They don’t call it a universe for nothing
Andrew O. Scott, New York Times, 24.04.18

Something is very wrong.
Thor, Dialogauszug

"Das Ende ist nahe" - mal wieder, wie jedes Jahr ab Frühsommer im Monatstakt im Blockbuster-Kino. Und die halbe Menschheit rennt hinein in diese Filme - schon deshalb sind sie ein Kulturphänomen und zwar ein weltweites, und vielleicht haben diese Superhelden daher mehr zur globalen Annäherung und Verständigung beigetragen als so mancher Politikergipfel.

Dass das Ende nahe ist, das könnte in diesem Fall auch ein Versprechen sein. Das Versprechen eines großen epischem Abenteuers, das auf einen bestimmten Punkt hinführt, einer Katharsis oder einen Showdown, und irgendwann ist dann eben alles erzählt. Auch der trojanische Krieg war nach all den vielen Jahren, in denen sich die Helden mit Götterunterstützung gegenseitig dezimierten, irgendwann ja doch mal zu Ende.

Tatsächlich erweckte auch der Marvel-Konzern lange den Eindruck, so etwas zu wollen und mit den Avengers einen epischen Erzählbogen zu schaffen, der die verschiedenen Haupt- und Nebenfiguren seines ganz eigenen Heldenolymps zusammenführt.

Entscheidungsabläufe und Zuständigkeiten

Die "Avengers" sind schließlich eine Art Nationalmannschaft der Superhelden: Hier treffen sich die Besten der besten Superhelden und formen ein Team. So sind die Avengers, ein Crossover aus eitlen Stars, die es sonst gewohnt sind, ganz und gar allein im Zentrum zu stehen, sowie eine Verbindung aus kaum zu vereinbarenden Denk- und Handlungsstilen - und das ganz ohne Bundestrainer.

Avengers: Infinity War (26 Bilder)

Bild: © Marvel Studios 2018

Die "Avengers" sind also auch ein Meisterwerk der Selbstorganisation. Aber wie in allen sozialen Systemen gibt es auch hier diverse Friktionen, Rivalitäten und Streit, die nur in sehr sehr vielen Meetings zu klären sind. Unglaublich viel Zeit verbringen die Avengers mit narzisstischer Selbstbeschäftigung im Miteinander - und der betriebssoziologische Blick offenbart das Fehlen klarer Hierarchien, Entscheidungsabläufe und Zuständigkeiten - eines Organigramms.

Gerade in Krisensituationen wäre das hilfreich. Man kann jetzt auch nicht mit Clausewitz einwenden, der Krieg sei "ein Chamäleon" und Superheldenkampfeinsätze gegen Monster und Weltbedrohungen demnach nicht planbar - denn auch das Militär kennt klare Befugnisverteilungen, Befehlsketten und Verantwortlichkeiten. Jeder mag "den Marschallsstab im Tornister" haben wie der Bauer im Schach, aber nicht jeder ist ein General.

Umgekehrt sah zum Beispiel die unter Moltke erneuerte Heeresordnung des preußischen Generalstabs unabhängige Entscheidungsbefugnisse und große Freiheiten für Unterführer vor, ein Verfahren von dem noch heute Managementpraktiken börsennotierter Konzerne lernen - nicht aber die Avengers.

Derlei Organisationsmängel führten zuletzt ("Captain America: Civil War") gar zu Bürgerkrieg und einer Aufspaltung in zwei verfeindete Lager, aus der sie noch nicht einmal eine GroKo retten konnte. Dieser Binnenzwist der Avengers offenbart dabei nicht zuletzt das Scheitern aller neoliberalen Modelle der Selbststeuerung sozialer Verhältnisse: Der Markt für Superhelden "entscheidet" in diesem Fall gar nichts.

Was bleibt ist eine Art "levee en masse", in der die Kämpfer "wie wilde Bestien" (Kleist) aufeinanderschlagen Aber wir weichen ab.

Es klang jedenfalls sehr logisch, das Unterfangen, diesen chaotischen Haufen wieder zu trennen, worauf dann jeder seiner Wege geht und für sich die Welt rettet. Dafür müsste man sie nun aber zuerst ein letztes Mal zusammenbringen.

Zumal die Gefahr dies erfordert: Thanos ist der Mega-Schurke, der sich das komplette Weltall unterwerfen will - eine derart heftige und machtvolle Bedrohung, dass sie den Multilateralismus der Superhelden erfordert.

Da erscheinen sie alle nacheinander auf der Leinwand, die auch längst ihre eigenen Filme haben: Iron Man/Tony Stark (Robert Downey Jr.), Peter Parker/Spider-Man (Tom Holland), Banner/Incredible Hulk (Mark Ruffalo); Steve Rogers/Captain America (Chris Evans), Dr. Steven Strange (Benedict Cumberbatch), Natasha Romanoff/Black Widow (Scarlett Johansson), Gamora (Zoe Saldana), Wanda Maximoff/Scarlet Witch (Elizabeth Olsen), Android Vision (Paul Bettany), Peter Quill/Star Lord (Chris Pratt), Rocket the Raccoon (gesprochen von Bradley Cooper) und T’Challa/Black Panther (Chadwick Boseman), der Shooting-Star des Jahres, der erste Superheld mit schwarzer Haut, dem eine eigene Franchise gewidmet wurde - auch im Superheldenuniversum geht es um Diversität und Gleichberechtigung.

Wer Batman und Wonderwoman jetzt in dieser Reihe vermisst, der zeigt nur, dass er nichts begriffen hat: Die gehören nämlich zur Gegenwelt des anderen Konzerns, der an seinem eigenen Epos schreibt.

Und die "X-Men"? Nun ja, die sind schon Marvel-Stoff, die Rechte sicherte sich aber schon vor langer Zeit der Fox-Konzern.

Es treten in diesen inzwischen nicht mehr alljährlichen, sondern monatlichen Comic-Superhelden-Blockbusterspektakel eben auch Medienkonzerne mit ihren Investoren und Controllern gegeneinander an, wie in der Championsleague Real Madrid gegen Bayern München und den FC Barcelona. Oder - es geht ja um Kultur - Suhrkamp gegen den Hanser und den Fischer-Verlag. Vielleicht passt der Vergleich "Coca gegen Pepsi" hier aber trotzdem doch besser.

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