Euro und Chaos, Drachme und Chaos oder endlich eine Lösung?

Auf der letzten Wahlkundgebung verschwand Samaras, der Chef der konservativen Nea Dimokratie immer wieder hinter Nebel. Bild: W. Aswestopoulos

Ein pessimistischer Witz besagt, dass Griechenland am Samstag aus Euro 2012 - dem Fußballwettstreit - ausscheidet und am Sonntag den Euro verliert

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Seit Freitagnacht, 24 Uhr ist in griechischen Rundfunkmedien jegliche Wahlkampfberichterstattung verboten. Die Bürger sollen, so sieht es das Gesetz vor, "in Ruhe und Frieden zu den Urnen gehen". Die Wahlpflicht gilt als wichtigster demokratischer Akt. Nur leider war der Wahlkampf alles andere als ruhig und demokratisch. Wer wählbar ist, darüber streiten sich die Griechen, wirklich sicher ist sich niemand.

Umfragen sehen ein Fotofinish zwischen der Nea Dimokratia und SYRIZA voraus. Momentan scheint es, als könnten die Konservativen einen Prozentpunkt vor den Linken landen. Beide Parteien sollen aber, glaubt man den Meinungsforschern, unter 30 Prozent bleiben. Es muss somit zu einer Koalitionsregierung kommen, denn trotz des Bonus von 50 Mandaten für die stärkste Partei gilt eine absolute Mehrheit als ausgeschlossen.

Die PASOK schrumpft weiter und wird ebenso Federn lassen wie die Unabhängigen Griechen, die Kommunisten und die rechtsradikale Chryssi Avgi, meinen die einheimischen Experten. Lediglich der Demokratischen Linken wird ein kleiner Stimmanstieg zugetraut.

Eines ist sicher, die Neuwahlen werden preiswerter sein als der Urnengang vom 6. Mai 2012. Stolz verkündete Regierungssprecher Dimitris Tsiodras den versammelten Journalisten der einheimischen und internationalen Presse, das Werk der kommissarischen Regierung: "Es gibt eine Kostenminderung um 30 Prozent im Vergleich zur vorherigen Wahl." Das bedeutet, dass statt 50 Millionen Euro am Sonntag nur 30 Millionen Euro fällig werden.

Unter anderem verzichtet die Regierung diesmal auf die Versendung der Wahlergebnisse aus den Wahllokalen per Telegramm und setzt stattdessen auf modernere Technik. Per Fax geht es nicht nur preiswerter, sondern auch schneller, meint die Regierung und verspricht eine schnellere Verkündung des Endergebnisses. Schließlich informierte er die Journalistenschar in eigener Sache. Insgesamt 615 Reporter waren am 6. Mai, dem letzten möglichen Tag für eine Wahlakkreditierung registriert. Bereits am Donnerstag hätten sich, so Tsiodras 620 Journalisten dem Akkreditierungsprozedere, das einen Zugang zu staatlichen Pressezentren ermöglicht, unterzogen. Das Heer der akkreditierten Auslandskorrespondenten wuchs von 165 auf 238.

Fast im gleichen Atemzug erwähnte Tsiodras auch einen Rüstungskauf. Das Heer bezog für 13,5 Millionen Euro Munition aus den Niederlanden. Eine 252-Millionen-Euro-Förderung konnte von der EU für dringend benötigte Straßenbauarbeiten auf dem Peloponnes errungen werden. Somit verkündete der Sprecher die Schaffung von 6.000 Arbeitsplätzen.

Die Übergangsregierung hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten gute Arbeit geleistet. Ein neuerlicher Streik der Apotheker, die immer noch auf ihre Bezahlung warten, konnte buchstäblich in letzter Sekunde verhindert werden. Recht zum Streiken hätten die Pharmazeuten wie zahlreiche andere Freiberufler und Geschäftsleute auch. Denn bei ihren Steuererklärungen müssen sie, unabhängig von der Höhe des tatsächlichen Einkommens, auch für nicht beglichene Rechnungen Steuern zahlen.

Ebenso schlimm trifft es die Arbeitslosen. Da jeder Besitz von Autos oder Wohnungen zur Ermittlung eines Schätzeinkommens führt, muss ein Arbeitslosenpaar ohne Einkommen oder Arbeitslosengeld mit einer achtzig Quadratmeter großen Wohnung und einem alten PKW schnell 3000 Euro Steuern zahlen. Solche Extrembeispiele sind nicht selten. Sie sind ein Ergebnis des im vergangenen Juni beschlossenen "mittelfristigen Etatplans", mit dem die Kreditgebertroika besänftigt werden sollte.

Sparkurs ohne Erfolg

Seit dem Ausbruch der Krise wurschtelten die bisherigen Regierungsparteien kurzfristig Gesetze für immer noch und dringender denn je benötigte Reformen des maroden Staatsapparats. Umgesetzt wurde kaum etwas. Die dadurch fehlenden Spareffekte glich die Regierung immer wieder da aus, wo sie am leichtesten hinpacken konnte. Bei der Besteuerung von Arbeitern, Angestellten, Kleinbetrieben, Rentnern und Arbeitslosen. An die aufgrund einer Regelung der Militärdiktatur steuerfreien Reeder traute man sich ebenso wenig ran, wie an eine tatsächliche Aufarbeitung der politischen Korruptionsfälle (Beleidigungen, Chaos und sich selbst erfüllende Prophezeiungen). Deshalb hat der scheidende Eurogruppenchef Jean Claude Juncker auch "noch keinen reichen Reeder weinen sehen". Wie auch, denn Reiche und Arme werden im Land mit den gleichen Kopfsteuern versehen.

Für jeden Stromanschluss, ob in Villenvierteln, auf Mykonos oder im nordgriechischen Bergdorf, überall sind für "soziale Maßnahmen" unabhängig vom Verbrauch, dem Einkommen oder eventuell eigener Bedürftigkeit die gleichen Eurosummen fällig. Die steuerlich getätschelten Reeder brüsten sich, dass sie Arbeitsplätze im Land schaffen würden. Tatsächlich soll die letzte verbliebene Großwerft Skaramangas bald eine "Ein-Tage-Woche" schieben, während die neuen Schiffe für "eine der drei größten Handelsflotten der Welt" in China und Korea bestellt werden.

Samaras fühlt sich als Sieger. Bild: W. Aswestopoulos

Wenn für das geschätzte Einkommen keine Konsumbelege in Form von Kassenbons aus Warenhäusern und Supermärkten vorgelegt werden können, dann ist eine weitere Strafe fällig. Multinationale Firmen können indes weiterhin einige Steuerfreiheiten genießen. Denn sie sollen, so plante es der Gesetzgeber, für Arbeitsplätze belohnt werden.

Im März 2012 waren 3.843.905 Griechen beruflich tätig, 3.372.144 Millionen galten als "nicht wirtschaftlich tätig" und 1.075.081 waren laut Statistikamt arbeitslos gemeldet. Bis zum Jahresende soll diese Zahlt auf mindestens 1,5 Millionen steigen. Die kommissarische Regierung hat die Abgabefrist für die Steuerklärungen auf die Zeit nach den Wahlen verschoben. Vorgegeben werden technische Gründe.

Es ist somit jedem im Land klar, dass die Rechnung des bisherigen Sparkurses nicht aufgehen kann. Nach außen hin kommuniziert Evangelos Venizelos von der PASOK immer noch die Versicherung, dass er sich an die vereinbarten Verträge halten wird. So selbstsicher und souverän wie früher kann sich Venizelos aber nicht mehr zeigen. Immer öfter verliert er bei Streitgesprächen die Nerven. So wurde er anlässlich einer Bürgerfrage während der vergangenen Woche fast handgreiflich. Der potentielle Wähler fragte Venizelos, was dieser über den seitens der griechischen Presse kolportierten Zusammenhang von Korruption und falscher Politik zu sagen habe.

Griechische Medien sehen einen Zusammenhang zwischen den Schmiergeldzahlungen deutscher Firmen an griechische Großparteien und dem ständigen Nachgeben der Politiker auf den Druck der Bundeskanzlerin Merkel. Da zum Beispiel die Siemenskorruptionsaffäre in Hellas niemals endgültig aufgeklärt wurde und somit niemand weiß, wer das Geld nahm, glauben die Griechen, dass der nach seiner Flucht in Deutschland weilende Ex-Manager von Siemens, Michalis Christoforakos, die entsprechenden Daten an die deutsche Staatsanwaltschaft weitergegeben hat. Christoforakos musste gegenüber der deutschen Justiz Rede und Antwort stehen. Ausgeliefert werden kann er nicht, da er die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt.

Venizelos' Ausbrüche, er regte sich in gleichem Maße über eine Frage nach der erschreckenden Zunahme von schuldenbedingten Selbstmorden auf, werden von vielen in einen Zusammenhang mit der alltäglich zunehmenden Gewalt der Rechtsradikalen gesetzt (Griechenland: Mit Tempo in Richtung Weimarer Verhältnisse). Generell ist die Gewaltbereitschaft im Land gestiegen.

Bild: W. Aswestopoulos

"Am Sonntag besiegt das Volk die Angst"

Logik war im Wahlkampf fehl am Platz. Jeder beschuldigte jeden aber vor allem SYRIZA und die Nea Dimokratia. Die wirtschaftlichen Programme der Parteien ähneln sich frappant. Niemand wagt es konkrete Zahlen zu nennen. Alexis Tsipras meint, dass er seinen Plan B nicht vor der Aufnahme von Verhandlungen mit der EU präsentieren könne. Antonis Samaras verspricht "aufgrund geänderter Verhältnisse in der EU-Politik" niedrigere Steuern, Sozialhilfen und eine Verdopplung der Zahlungsperiode von 12 Monaten auf zwei Jahre für Arbeitslosengelder. Er möchte die Kürzungen des Mindestlohns ebenso zurücknehmen, wie Alexis Tsipras.

Welten trennen die beiden Kontrahenten bei der Immigrationspolitik. Tsipras möchte die EU angesichts der zwei Millionen im Land befindlichen illegal eingereisten Immigranten um eine "wirkliche Solidarität im Sinn der Europäischen Grundlagen" ersuchen, während Samaras auf Vereinbarungen pfeift und schlicht alle ausweisen möchte.

Gleich mit dem von Tsipras klingt auch das Wahlkampfmotto des eher nationalkonservativen Panos Kammenos, der mit seinen Unabhängigen Griechen ebenso wie Tsipras, die Verträge schlicht kippen und neu verhandeln möchte. "Am Sonntag rufen wir die Griechen auf, die Angst zu löschen", tönt Kammesnos. Tsipras prophezeit: "Am Sonntag besiegt das Volk die Angst".

Die endgültige Wahlentscheidung wird für die Hellenen, deren altes Parteienbild sich vollkommen aufgelöst hat, zur reinen Gefühlsentscheidung. Wer gegen die abgewirtschafteten Parteien stimmen möchte, wird die Nea Dimokratia und PASOK meiden. Befürworter einer in der Immigrationsfrage humanen und gesellschaftlich sozial verträglichen Politik suchen zwischen SYRIZA, der Demokratischen Linken und den Kommunisten nach ihren Favoriten. Diesen Parteien am nächsten kommt, jedoch mit einer restriktiveren Sichtweise hinsichtlich der illegalen Immigranten, die Truppe der unabhängigen Griechen.

Eindeutig ausländerfeindlich, antidemokratisch, auch dem Euro- und NATO-Austritt sowie einem Krieg gegen die Türkei nicht abgeneigt sind die durch vermehrte Gewalt auffallenden Anhänger der Chryssi Avgi. Ausländerfeindlich aber mit propagiertem Kurs auf Europa gibt sich die Nea Dimokratia. Seitens der PASOK hofft man auf den Bruchteil der Stammwähler, die in der Partei trotz Missmut über die vergangenen zwei Jahre den Garanten für eine logische, europäische Politik sehen. Die übrigen Parteien, die es am 6. Mai nicht ins Parlament geschafft hatten, spielen kaum eine Rolle mehr. Allen Parteien gemeinsam ist der Umstand, dass sie sich jegliche Einmischung aus dem Ausland verbitten.

Der eindeutige Wahlaufruf pro Nea Dimokratia, zu dem sich die Financial Times Deutschland am Freitag hinreißen ließ, wirkt daher kontraproduktiv. So sah sich auch der Sprecher der Nea Dimokratia Giannis Michelakis genötigt, sich "eine derart provokante und beleidigende Einmischung in innere Angelegenheiten des Landes zu verbitten.

Einen dritten Wahlgang, das ist allen klar, kann sich das Land nicht leisten. Dann käme es ob mit Euro oder Drachme zum endgültigen Chaos. Deshalb befürchten viele bereits für die Wahlnacht einen Run auf Bankautomaten. Die Wahllokale sind am Sonntag von 7 h bis 19 h Ortszeit geöffnet. Danach wird man sehen, welche der Prophezeiungen sich erfüllt.