Europa ohne Atomstrom ist machbar

CO2-Emissionen. Bild: Umweltbundesamt

Die Energie- und Klimawochenschau: Europäischer Atomausstieg bis 2030 möglich, Photovoltaik-Forscher wünschen sich Modulproduktion in Deutschland und Vattenfall baggert weiter

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Heute jährt sich die Atomkatastrophe von Fukushima zum dritten Mal. Die Folgen des Unglücks sind bis heute gravierend, die Situation in den havarierten Reaktorblöcken nur bedingt unter Kontrolle. Eines der größten Probleme stellen die großen Mengen radioaktiv verseuchten Wassers dar - rund 400 Tonnen pro Tag, die tagtäglich anfallen und in Tanks auf dem Kraftwerksgelände gelagert werden. Da kein Verfahren zur Verfügung steht, um dieses Wasser komplett zu dekontaminieren, wächst die Menge immer weiter an, so dass sie am Ende doch einfach in den Pazifik entsorgt werden könnte.

Reaktor 4 am 15.3.2011. Bild: Tepco

Während die japanische Regierung an der Atomkraft festhält, protestieren zehntausende Japaner am Wochenende für einen Ausstieg. Auch in Berlin demonstrierten am Samstag rund 500 bis 1000 Anti-Atom-Aktivisten für einen weltweiten Ausstieg - kaum vergleichbar mit den Massendemonstrationen, die vor drei Jahren in Deutschland auf die Katastrophe folgten. Das mag daran liegen, dass der Atomausstieg hierzulande inzwischen besiegelt ist, oder daran, dass die Veranstalter die Demonstration ausgerechnet auf den internationalen Frauentag legten. Die Initiative ausgestrahlt rief außerdem zu dezentralen Mahnwachen am Montag und Dienstag auf.

Mahnwachen Aktion Bergedorf. Bild: .ausgestrahlt/CC-BY-SA-3.0

Im Nachgang der Katastrophe von Fukushima hat in Deutschland die Strahlenschutzkommission die Vorgaben für den Katastrophenschutz überarbeitet. So wurden die Zonen vergrößert, die im Fall eines schweren Atomunfalls evakuiert werden sollen. In der "Kernzone" sollen statt bisher zwei Kilometer nun fünf Kilometer im Umkreis einer Havarie innerhalb von sechs Stunden evakuiert werden, die "Mittelzone" bis zu einem Abstand von 20 Kilometern (statt bisher 10) soll innerhalb von 24 Stunden evakuiert werden können. Diese Empfehlungen müssen aber noch von den Innenministern der Länder beschlossen werden.

Nach der Katastrophe von Fukushima hatte die deutsche Bundesregierung die noch 2010 beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke rückgängig gemacht und eine stufenweise Abschaltung bis zum Jahr 2022 beschlossen.

Ein europaweiter Atom-Ausstieg ist notwendig, um uns in Mitteleuropa tatsächlich vor Atomgefahren zu schützen, befindet dagegen die österreichische Umweltorganisation Global 2000. Diese hat eine Studie zum Atomausstieg in Europa bis 2030 in Auftrag gegeben, die im März veröffentlicht wurde.

Ausstiegsszenario. Bild: Global2000

Damit könne das Ende der Atomkraft fünf Jahre früher besiegelt werden, als es aus bereits bestehenden Studien hervorgeht. Diesen zufolge wurde von einer Reststrommenge aus Atomkraftwerken in Höhe von 78 Twh - entsprechend 2,2 Prozent des europäischen Strombedarfs ausgegangen. Die Studienautoren von der Technischen Universität Wien und der Stiftung Umweltenergierecht kommen zu dem Schluss, dass diese Lücke bis 2030 geschlossen werden kann, ohne dass dadurch die Klimaziele bis 2050 gefährdet würden. Energieeffizienzpotenziale müssten hierfür verstärkt und die erneuerbaren Energien schneller ausgebaut werden.

Was hierfür notwendig ist, ist letztendlich politischer Wille. Dies betrifft etwa die grenzübergreifende Kooperation und den Netzausbau. Frankreich wäre beispielsweise nach Abschaltung seiner Atomkraftwerke auf den Import erneuerbaren Stroms aus Spanien abhängig. Verbindliche Energieeffizienzziele und Ausbauziele für die erneuerbaren Energien auf EU-Ebene gehören genauso zu den nötigen politischen Rahmenbedingungen wie ein etablierter CO2-Preis oder verbesserte Marktregeln für den europäischen Strommarkt, die den Ausbau der Erneuerbaren berücksichtigen. Auch bürokratische Hürden wie lange Genehmigungsverfahren oder Behinderungen beim Netzzugang müssten abgebaut werden.

Die britischen Pläne für das neue Atomkraftwerk Hinkley Point C mit einer garantierten Einspeisevergütung von 92,5 Pfund pro Mwh (entspricht z. Zt. 110,88 Euro pro Mwh oder 11 Cent pro kWh) stehen einem europäischen Atomausstieg allerdings genau entgegen. Hier wäre auf EU-Ebene zu klären, ob es sich bei der geplanten Vergütung um eine verbotene Beihilfe handelt. "Diese Studie kommt zu der Schlussfolgerung, dass der von UK vorgelegte Fördermechanismus für neue Reaktoren nicht mit dem EU Beihilferecht vereinbar ist", so die Autoren.

Großskalige Modulproduktion als Reaktion auf den Preisverfall?

Mit dem Berliner Solarmodulhersteller Solon verschwindet ein weiterer Akteur der PV-Branche vom europäischen Markt. Ende 2011 hatte das 1996 gegründete Unternehmen Insolvenz angemeldet und wurde zum großen Teil von Microsol aus den Vereinigten Arabischen Emiraten übernommen. Solon-Module werden seither bereits in den VAE produziert, nun zieht auch der Firmensitz der Marke Solon hinterher. 230 Mitarbeiter werden von der Schließung des Berliner Firmensitzes betroffen sein.

Das weitere Zusammenschrumpfen der deutschen und europäischen Branche hält andere nicht davon ab, groß zu denken. So stellten die Fraunhofer-Institute für Produktionstechnik und Automatisierung IPA und Solare Energiesysteme ISE jüngst eine "Studie zur Planung und Aufbau einer X-GW Fabrik zur Produktion zukunftsweisender Photovoltaik-Produkte in Deutschland". Die Fraunhofer-Institute propagieren den Aufbau einer großskaligen Fertigung gerade vor dem Hintergrund des Preisverfalls von Solarmodulen auf dem Weltmarkt. Global seien Überkapazitäten aufgebaut worden.

"Hiesige Forschungsinstitute, Maschinenhersteller und Materiallieferanten für die Solarindustrie sind aber nach wie vor technologisch global führend. Ohne enge Zusammenarbeit mit starken Kunden in Europa sind ihre Unabhängigkeit und ihre europäischen Standorte jedoch gefährdet", heißt es in der Studie. Gerade durch die großskalige und weitgehend automatisierte Fertigung könnten die Kosten weiter reduziert werden. Idealerweise solle die Produktionsstätte im Südwesten Deutschlands liegen, "aufgrund der weltweit herausragenden Dichte an technologiegebenden Industrieunternehmen und Forschungsinstitutionen".

Zudem wünschen sich die Autoren für die Produktionsstätte eine "im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähige Finanzierung". Etwa eine Milliarde Euro müssten investiert werden, um Herstellungskosten von unter 40 Cent pro Wattp erreichen zu können. "Voraussetzung hierfür ist eine substanzielle nationale und europäische Unterstützung auf höchster politischer Ebene. Ohne den politischen Willen die PV-Industrie in Europa zu halten, wird in wenigen Jahren die Produktion von Photovoltaik hier nicht mehr stattfinden."

Nach einem Bericht des pv-magazines hat der Direktor des Fraunhofer ISE, Eicke Weber, die Pläne inzwischen weiter konkretisiert. Ab der zweiten Jahreshälfte solle demnach mit dem Aufbau einer Pilotlinie begonnen werden, ab 2018 in die Massenfertigung gegangen werden. Der Standort werde wahrscheinlich nicht in Süddeutschland, sondern in Frankreich liegen. Weber rechne in etwa zwei Monaten mit einer Ankündigung von Seiten der Politik.

Mehr CO2-Emissionen

Nach den Machbarkeitsstudien noch ein Blick auf die Realität: Im Jahr 2013 hat Deutschland 951 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente in die Luft geblasen, das sind 1,2 Prozent oder fast 12 Millionen Tonnen mehr als im Vorjahr. Neben der langen Heizperiode macht das Umweltbundesamt die steigende Stromerzeugung aus Steinkohle sowie den zunehmenden Stromexport verantwortlich.

"Dass sich der Trend zur Kohleverstromung im Jahr 2013 noch verstärkt hat, erfüllt uns mit Sorge. Hält das an, wird es kaum möglich sein, das Klimaschutzziel der Bundesregierung für das Jahr 2020 zu erreichen", erklärte UBA-Vizepräsident Thomas Holzmann. Bis dahin soll Deutschland seine Treibhausgasemissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 reduziert haben. Derzeit sind es nach Angaben des UBA lediglich 23,8 Prozent.

Vattenfall macht derweil weiter wie gehabt: Mit der Erweiterung des Tagebaus Nochten will der Stromkonzern in Sachsen weitere 300 Millionen Tonnen Braunkohle für die Versorgung des Kraftwerks Boxberg fördern. Der Antrag auf die Erweiterung des Tagebaus, für die 1500 Einwohner umgesiedelt werden müssen, wurde vergangene Woche vom sächsischen Innenministerium genehmigt.