Europa und Trump

Wie kann, wie soll sich Europa zum US-Präsidenten stellen?

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Europa darf sich wegen Trump nicht von den USA abwenden. Denn der Präsident ist nicht das Land. Die kommenden Jahre werden daher eine Doppelstrategie Europas nötig machen: auf der einen Seite Koexistenz in Mäßigungsbemühen neben Trump; auf der anderen Seite Festhalten an der atlantischen Freundschaft und Fortführung der atlantischen Gemeinschaft.

I. Die Populismus-Krise der anglo-amerikanischen Welt

Während die amerikanische Raumfahrtbehörde NASA sich anschickt, die Menschheit mit einem neuen Raumfahrzeug 2018 erstmals der Sonne anzunähern, um diese in revolutionärer Weise zu erkunden und endgültig das "solare Zeitalter" in Technologie und Imagination zu eröffnen1, verliert der globale "Leuchtturm" der Demokratie Amerika durch eine kleine Gruppe um Donald Trump bereits nach wenigen Monaten massiv an Einfluss in der Welt.2 Zugleich schwächen Trumps Politiken den demokratischen Westen nachhaltig gegenüber illiberalen und autoritären Mächten.3

Die atlantische Perspektive ist gespalten. Europa befindet sich nach dem "annus horribilis" 2016 am Beginn eines Konsolidierungsprozess, dessen Zukunft nicht zuletzt mittels Komplexitätsreduktion nach dem Wegfall der jahrzehntelangen Blockadepolitik Großbritanniens und der Selbst-Disqualifikation der Türkei von Beitrittschancen positiver sein könnte, als von vielen erwartet.4 Die wirtschaftliche Entwicklung mag dafür als Indikator dienen. Trotz der Brexit-Krise wuchs Europa 2016 stärker als die USA - 1,7% verglichen mit 1,6%. Dieser Trend setzte sich im ersten Halbjahr 2017 fort.5 Gleichzeitig befindet sich die anglo-amerikanische Welt - als der bisher machtpolitisch, kulturell und zivilreligiös führende Teil der globalen Allianz der Demokratien - in der tiefsten Demokratie-Krise seit Menschengedenken. Trumps Amtszeit erweist sich als zumindest temporäre politische Kulturveränderung6 - und damit als eine einzige große Prüfung für die USA, die sich der tiefen Verunsicherung und Orientierungslosigkeit Großbritanniens nach dem Brexit an die Seite stellt. Trump zieht Amerika in die Isolation, Großbritannien hat die Leinen losgemacht und taumelt allein auf dem offenen Ozean. Beide Systemerschütterungen wurden entscheidend durch Populisten vom Schlag eines Farage und Trump und dahinterstehenden, zwielichtigen Ideologen von der Art eines Johnson und Bannon mit verursacht.

Die Frage ist, wie lange diese Phase des Übergangs und der Selbstneufindung dauern wird. Inzwischen fragen sich auch viele Stammwähler Trumps angesichts der unvergleichlich vielen Fehler und Skandale, ob Trump dem Amt überhaupt gewachsen ist. Viele stellen sich zu einem weit früheren Zeitpunkt als jemals in der US-Geschichte der Einsicht: Trump ist gar nicht der große Zocker, der große Geschäftemacher, der eiskalte Profi im Dienst einer neuen innerer Mobilisierung und äußeren Vorherrschaft der USA, als der er gewählt wurde - sondern vielmehr jemand, der diesen Job gar nicht beherrscht. Trump stellt Eigen- und Gruppeninteressen systematisch über Gemeinwohl, Fortschritt und Partizipation.7 Und dies nicht nur ein persönliches Problem, sondern ein Kernelement, das dem "Trumpismus" als solchem innewohnt.

Die Irritation über den Präsidenten wächst mit jedem Tag. Während seine Amtszeit von Anfang an von den niedrigsten Zustimmungswerten aller US-Präsidenten begleitet wurde, standen im Juni 2017 standen nur noch 36% der Wähler zu ihm - ein Tiefstwert im Vergleich zum selben Zeitpunkt der Amtszeit Obamas mit 61% und George W. Bushs mit 55%.8

Einzelne Politikentscheidungen haben sogar noch schlechtere Zustimmungswerte. Und die Glaubwürdigkeit Trumps unter den Amerikanern ist katastrophal. So kam "eine Untersuchung der Tageszeitung Washington Post mit dem TV-Sender ABC zum Ergebnis: Nur 28 Prozent der US-Bürger halten den Ausstieg aus dem Klima-Abkommen für richtig. 59 Prozent lehnen ihn ab. 13 Prozent sind sich nicht sicher. Bei der Befragung stellte sich zudem heraus: Die Mehrheit der Amerikaner glaubt Trump nicht. 62 Prozent von ihnen halten seine Behauptung, dass der Ausstieg gut für die US-Wirtschaft sei, für Unsinn…. Selbst unter Republikanern wird immer mehr Skepsis laut. Immerhin 25 Prozent der konservativen US-Bürger halten den Ausstieg für falsch. Bei den Demokraten lehnen ganze 92 Prozent den Schritt ab. Doch was Trump und seiner Partei vor allem zu denken geben dürfte ist dies: Auch 63 Prozent der unabhängigen Wähler, die mal demokratisch und mal republikanisch wählen, halten den Ausstieg für einen schwerwiegenden Fehler."9

Das Problem dabei: Trumps Kernwähler stehen weiterhin zu 80% zu ihm, weil ihnen sowohl sein Benehmen wie seine weltumspannenden Gesamtpolitiken herzlich egal sind. Für sie zählt nur die Interessenspolitik für ihren je eigenen, engen Horizont. Insofern bleibt Trumps berühmter Wahlkampfspruch vom Januar 2016 wahr: "Ich könnte jemanden auf der Straße erschießen und würde trotzdem keinen einzigen Wähler verlieren."10 Diese Wahrheit bleibt aus Sicht seiner "Basis" auch dann intakt, wenn noch weitere Skandale und Verfehlungen dazukommen - solange Trump es nur schafft, in ihrer Wahrnehmung den Eindruck zu erwecken, klar und eindeutig ihre Interessen zu bedienen. Eben deshalb versucht Trump den Anschein zu erwecken, seine Wahlkampfversprechen buchstabentreu und möglichst radikal umzusetzen und sich nicht, wie alle anderen Präsidenten vor ihm, gegenüber dem Wahlkampf zu mäßigen.

Obwohl Trump sich auf die "Umformung" Amerikas und sein Chefideologe Bannon auf die dauerhafte Verankerung rechten Gedankenguts in der konservativen Wählerschaft über die Trump-Ära hinaus konzentrieren, hat Trumps Amtszeit bereits nach wenigen Monaten weltweite Auswirkungen. Die internationale Konstellation hat sich bereits in den ersten Monaten der Präsidentschaft Trumps auf zumindest siebenfache Weise verändert:

"Mit Donald Trump im Weißen Haus hat sich die Beziehung der USA mit dem Rest der Welt in wichtigen Aspekten verändert. Darunter sind: Erhöhte nukleare Spannungen in Asien; eine noch kompliziertere Beziehung mit Russland; ein kritisches Augenmerk auf der NATO; Gewaltbereitschaft nimmt zu; die Zukunft des freien Handels ist unklar; Rückfall im Umwelt- und Klimaschutz; Nuklearabkommen mit dem Iran in Frage gestellt."11