Europäisches Parlament gegen Webseitensperrungen

Medienkompetenz und Selbstkontrolle statt Blockade

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Die Diskussion um Internetzensur kommt in die Gänge. Bisher schien es fast so, als würden Netzaktivisten und die Bezirksregierung in Düsseldorf den Streit um Webseitenblockaden unter sich austragen. Doch nun gibt es immer mehr Statements von Außenstehenden. Ein Evangelischer Kirchenrat aus Düsseldorf sprach sich für die Sperrungen aus, das Europäische Parlament und die Initiative D21 erklärten den Webseitenblockaden eine klare Absage (siehe auch EU-Parlament gegen Webzensur und Site-Sperrung).

Europas Mühlen mahlen langsam. So hat das Europäische Parlament das Thema "Jugendschutz im Internet" keinesfalls kurzfristig auf die Tagesordnung genommen. Schon im Jahre 1998 hatte die Industrie einen Vorschlag eingebracht, die Fragen des Jugendschutzes in digitalen Medien einheitlicher zu regeln, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Die Kommission ergriff darauf die Initiative und schickte allen Mitgliedsstaaten einen Fragebogen, um einen Evaluierungsbericht zu erstellen. Ein mehrjähriger Aktionsplan wurde gestartet, der unter anderem die Ausarbeitung von Verhaltenskodizes und die Errichtung von Hotlines vorsah, bei denen Nutzer illegale Inhalte melden konnten (EU beschließt Aktionsplan für sicheres Internet).

Das Europäische Parlament verabschiedete mit überwältigender Mehrheit (460 Pro-Stimmen, 3 Enthaltungen) einen Entschließungsantrag, der klar für eine Selbstregulierung der Industrie Stellung bezieht. Die Mitgliedsstaaten sollten Inhalteanbieter zum Einrichten von Missbrauchsabteilungen ermutigen, der Jugendschutz soll im Bereich Filme und Computerspiele in Europa einheitlich gestaltet werde. Dem Erfahrungsaustausch unter den Ländern misst das Parlament große Bedeutung bei. Regierungsstellen sollten sich von der Industrie und Nicht-Regierungs-Organisationen beraten lassen. In Punkt 16 der Entschließung erteilt das Parlament Internetblockaden eine klare Absage.

"Das Europäische Parlament ist der Auffassung, dass die Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen der Internet-Industrie, den Regierungen und den nationalen und regionalen Behörden die wirksamste Möglichkeit darstellt, gegen schädigende und illegale Inhalte im Internet vorzugehen, und zeigt sich besorgt, dass die jüngsten Entscheidungen bzw. Strategien im Hinblick auf die Blockierung des Zugangs zu bestimmten Websites zur teilweisen Einschränkung des Internetzugangs bzw. zur Verhinderung des Zugangs zu rechtmäßigen Inhalten führen können und deshalb keine wirksame europäische Lösung für die Bekämpfung illegaler und schädigender Internetinhalte darstellen."

In der Begründung wird ausdrücklich auf grenzüberschreitende Gesetzesanwendung eingegangen. Das Vorgehen Frankreichs gegen Yahoo wird als problematisch geschildert. (Hyperaktive Pariser Richter). Ganz klar will man sich auch von Staaten abgrenzen, die sich von der Meinungsvielfalt im Internet abschotten wollen:

"Zwar gibt es Mittel und Wege, um das Internet zu zensieren. Dieselbe Abschirm- und Filtertechnologie, die zum Schutz von Firmennetzen gegen Eindringlinge verwendet wird, wird z.B. zur Abtrennung von Internetbenutzern in China vom Rest des Netzes verwendet. Singapur und Saudi Arabien filtern und zensieren den Internetinhalt; Südkorea hat den Zugang zu Glücksspielseiten verboten; und in Iran ist die Benutzung des Internets durch Kinder gesetzwidrig, und die Zugangsdiensteanbieter müssen den Zugang zu unmoralischem oder anti-iranischem Material verhindern. Kundige Benutzer können diese Technologien umgehen, das Material, zu dem die meisten Internetbenutzer in der Praxis Zugang haben, könnte jedoch zensiert werden. Selbst wenn die Europäer dem Grundsatz der Zensur oder dem, was auf den Websites in der EU zensiert werden sollte, zustimmen können, würde dies das Problem der Websites außerhalb der EU außer Acht lassen. Und das in der Empfehlung angesprochene Problem würde in jedem Fall weiterbestehen: Was kann getan werden, um Minderjährige vor Material zu schützen, das vielleicht für Erwachsene geeignet und daher ganz legal sein mag, aber Kindern und Jugendlichen schaden könnte?"

Bei dem Schutz der Jugendlichen sehen die Parlamentarier eindeutig die Eltern in der Pflicht. Sie haben dafür Sorge zu tragen, dass ihr Nachwuchs vernünftig mit dem Medium Internet umgeht. Damit sie damit nicht allein stehen, soll die Medienkompetenz "vom Kindergarten an" gestärkt werden, Medienkunde soll an den Schulen unterrichtet werden. Auch die Kennzeichnung von Inhalten wird gefordert, Initiativen wie die Internet Content Rating Association ausdrücklich begrüßt (Filterinitiative ICRA: Wir sind die Guten).

Der Verband der deutschen Internetwirtschaft begrüßt die Entscheidung des Europäischen Parlamentes als "kompetent und sachgerecht". Auch der Verband European Internet Services Providers Association (EuroISPA äußerte Zustimmung. Webblockaden seien technisch schwierig, demokratisch fragwürdig und unzweifelhaft ineffizient.

Inzwischen hat sich ein weiterer Industrieverband auf die Seite der Kritiker von Sperrungsvorhaben geschlagen: "Gezielte Bestrafung von kriminellen Inhalten - ja! Sperren von Web-Sites - nein!" sagt Erwin Staudt, Vorsitzender der IBM Deutschland GmbH und der Initiative D21. In der Pressemitteilung heißt es: " Statt des technischen Sperrens von Web-Seiten bei den Zugangs-Providern fordert die Initiative D21, dass Politik und Wirtschaft umgehend einen Vorschlag erarbeiten, in dem in einer Art Selbstkontrolle die Kriterien und Kontrollmöglichkeiten für ein "sauberes Internet" mit allen Facetten eines differenzierten Einsatzes von Filtern und Kontrollsystemen beschrieben ist."

Zur Problematik der Sperrung von Websites wegen unliebsamer Inhalte und zu den Sperrungsverfügungen in Nordrhein-Westfalen veranstaltet heise online am Montag, den 15. April, einen Online-Chat mit dem Düsseldorfer Regierungspräsidenten Jürgen Büssow sowie dem CCC-Sprecher und ICANN-Direktor Andy Müller-Maguhn. Näheres dazu findet sich auf den Chat-Seiten von heise online.