Europas drängendstes Problem

Die Jugendarbeitslosigkeit in Teilen Europas wird zu einem immer drängenderen Problem. Lösungsansätze gibt es einige, doch welcher hilft?

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Es ist nicht lange her, da galt Dänemark als Himmel auf Erden, zumindest hinsichtlich seines Arbeitsmarktes. Arbeitgeber wie Arbeitnehmer schienen von dem "Flexicurity" genannten System außerordentlich gut zu profitieren. Populär wurde Flexicurity Anfang der 1990er Jahre. Das Königreich im Norden weichte seinen Kündigungsschutz massiv auf und sorgte so dafür, dass schnell neue Mitarbeiter eingestellt und diese auch schnell wieder entlassen werden konnten. Kündigungsschutz gibt es in Dänemark nicht.

Flankiert wird die ganze Sache mit einer außerordentlich guten sozialen Absicherung. Über zwei Jahre hinweg können arbeitslose Dänen bis zu 90% ihres vorhergehenden Gehaltes als Arbeitslosengeld erhalten. Anschließend erhalten sie eine individuelle Sozialhilfe, bei der sie in aller Regel zwar Einbußen von 20 bis 40 Prozent gegenüber ihren vorhergehenden Einkünften akzeptieren müssen, insgesamt jedoch immer noch akzeptabel über die Runden kommen.

Mit einer rigorosen Politik des "Förderns und Forderns" wird versucht, Fehlanreize in Zaum zu halten. Beraten, vermitteln und qualifizieren heißen in Dänemark die Stichworte "einer aktiven Arbeitsmarktpolitik". Vor allem junge Arbeitslose erhalten sehr schnell aktive Hilfen, die sie nicht ablehnen können.

Zu den Besonderheiten zählt auch, dass die Arbeitsmarktpolitik mit der Dauer der Arbeitslosigkeit "fördernder und fordernder" wird. Mit dieser Strategie soll in Dänemark Langzeitarbeitslosigkeit verhindert werden. Für die Vertreter der Arbeitgeber ist Dänemark daher seit Langem ein gutes Beispiel, um Kritik am "verkrusteten deutschen Arbeitsmarkt mit seinen gesicherten Pfründen für die Arbeitnehmer" zu üben.

Allerdings - seit 2008 schwächelt das dänische System gewaltig. Lag die Arbeitslosigkeit vor der Finanzkrise noch bei 3,2%, hat sie heute wieder fast ihren Stand vor Einführung des Flexicurity-Systems erreicht und liegt nun bei knapp über 8%.

Verschlossene Türen wegen des Kündigungsschutzes?

Auch den Jugendlichen scheint der besonders flexible, kündigungsschutzlose dänische Arbeitsmarkt nicht recht genutzt zu haben. Die Arbeitslosenquote unter jungen Dänen liegt derzeit bei über 14% und hat sich somit seit 2006 verdoppelt. Ebenso wie in allen anderen europäischen Staaten hat auch Dänemark massiv unter dem finanziellen Kollaps europäischer und amerikanischer Banken gelitten und sich bis heute nicht vollständig davon erholt.

Trotzdem bleiben die Rufe nach einer Lockerung des Kündigungsschutzes, die als Allheilmittel für einen desolaten Arbeitsmarkt gepredigt wird, laut, besonders wenn es um junge Menschen geht.

Insbesondere im Fall Spanien, das mit einer Jugendarbeitslosenquote von teils über 50 Prozent das europäische Schlusslicht darstellt, wird der außerordentlich rigide Kündigungsschutz immer wieder als Hemmnis für die Einstellung der sogenannten Generation Zero angeführt.

Auch der besonders hohe Ausbildungsstand spanischer Jugendlicher scheint diesem Problem nicht Herr werden zu können. Wer in Spanien eine Festanstellung habe, sei nahezu unkündbar, so der Tenor. Junge Menschen erhielten daher kaum eine Chance, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten und würden so ihrer Chancen auf Teilhabe an der Gesellschaft beraubt.

Vergleichbares gilt auch für Deutschland. Zwar hat Deutschland eine noch niedrigere Jugendarbeitslosenquote als Dänemark. Der Kündigungsschutz ist jedoch eher mit dem in Spanien vergleichbar. So ist es auch in Deutschland nicht unüblich, über immer wieder verlängerte Zeitverträge angestellt zu werden. Insbesondere gut ausgebildete junge Menschen können solch prekären Arbeitsverhältnisse aber immer häufiger umgehen und steigen direkt oder zumindest nach einiger Zeit in eine Festanstellung ein.

Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland liegt, im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten, am oberen Ende der Skala. Derzeit sind in Deutschland etwa 12% der jungen Menschen zwischen 15 und 25 weder in einer Schule, an einem Ausbildungsplatz oder an einer Universität. Deutsche Jugendliche leben, im Vergleich zu ihren südeuropäischen Altersgenossen, tatsächlich in himmlischen Verhältnissen.

Der Mindestlohn

Der Grund für diese herausragend guten Bedingungen für junge Deutsche scheint weder in der besonders guten Ausbildung, noch in dem besonders deregulierten Arbeitsmarkt zu liegen. Vielmehr scheint hier der demografische Wandel besonders stark zugeschlagen zu haben. Des deutschen Unternehmers Klagen über den Fachkräftemangel spricht Bände.

Manch einer mag nun einwerfen, es seien die Mindestlöhne, die in nahezu allen europäischen Staaten gezahlt werden müssten. Dänemark und Deutschland besitzen - zumindest derzeit - tatsächlich keinen gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn. Ein Blick in die Niederlande zeigt jedoch, dass dieses Argument nur bedingt verfängt. In den Niederlanden gibt es einen Mindestlohn. Derzeit liegt er bei 9,07€ und die Jugendarbeitslosenquote bei 11,6%. Die Niederlande liegen damit hinter Deutschland und Österreich auf Platz 3 in Europa.

Der anvisierte deutsche Mindestlohn von 8,50 liegt deutlich darunter. Als Hauptgrund für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland werden die Dumpinglöhne in einigen Branchen angegeben. Dänische Arbeitnehmer sind davon in aller Regel nicht betroffen. Sie sind mit fast 90% gewerkschaftlich organisiert und damit tariflich abgesichert. Der dänische Arbeitsmarkt kennt zwar keinen Mindestlohn, aber auch kein Problem mit Löhnen zwischen 3 und 6€ in der Stunde.

Wie ein solch kurzer Vergleich der unterschiedlichen europäischen Arbeitsmärkte zeigt, liegt das Erfolgsgeheimnis für eine niedrige Jugendarbeitslosenquote weder in der Abschaffung eines mehr oder weniger stark ausgeprägten Kündigungsschutzes, noch in der Verweigerung eines Mindestlohnes, wie ihn deutsche Arbeitgeber vor der vergangenen Bundestagswahl vehement forderten.

Keine Übertragung von Erfolgsmodellen möglich

Vielmehr gibt es auf den verschiedenen Arbeitsmärkten unterschiedliche Probleme, die demzufolge individuelle Lösungen nahelegen. Eine einfache Übertragung des einen oder anderen Erfolgsmodells auf andere Volkswirtschaften kann nicht funktionieren. Vielmehr werden die Staaten, mit besonders hoher Jugendarbeitslosigkeit, eigene Konzepte entwickeln müssen.

Dabei wird es sicherlich auch zur ein oder anderen staatlichen Deregulierung auf den Arbeitsmärkten kommen müssen. Gleichermaßen jedoch kann es durchaus auch angebracht sein, staatlich einzuschreiten und verschiedene Arbeitnehmergruppen durch entsprechende Gesetze abzusichern. Ein einheitliches Konzept für alle europäischen Arbeitsmärkte kann es nicht geben, da jeder Arbeitsmarkt ganz eigenen sehr spezifischen Gesetzen folgt und ebenso eigene Probleme hat.

Arbeitserfahrung bekommt nur, wer arbeiten kann

Übertragbar auf jeden Arbeitsmarkt, insbesondere, wenn es um junge Arbeitslose geht, ist nur ein Lösungsansatz. Solange Arbeitgeber von jungen Arbeitskräften erwarten, dass sie ebenso produktiv einsetzbar sind wie ältere und erfahrenere Mitarbeiter, solange werden Arbeitnehmer keinen passenden Nachwuchs finden. Denn Arbeitserfahrung will zuerst einmal erworben werden. Und dies kann eben nicht, wie eine Ausbildung in irgendeiner Schule, Universität oder in der Familie geleistet werden. Arbeitserfahrung bekommt nur, wer arbeiten kann.

Ein diesbezüglicher Kulturwandel täte sicherlich allen Arbeitsmärkten gut, insbesondere jedoch dem vom Fachkräftemangel gebeutelten deutschen. Aufgrund der spezifisch deutschen Situation ist ein Mindestlohn kein Hindernis für die Einstellung junger Menschen. Die bislang noch offenen Ausbildungsplätze im Land und das Dauerweinen deutscher Arbeitgeber über die fehlenden oder zu schlechten Fachkräfte im Land, zeigen, dass das (spezifisch deutsche!) Problem weniger im verkrusteten Arbeitsmarkt liegt als vielmehr in den unflexiblen Köpfen deutscher Personalabteilungen.