Europol-Direktor gesteht Organisationsprobleme ein

Im Rahmen der Anti-Terror- und der Cybercrime-Bekämpfung soll die europäische Polizeibehörde mehr Befugnisse erhalten - doch noch kann sie ihren "Mehrwert" gegenüber nationalen Ermittlungsstellen nicht beweisen

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Die europäischen Innen- und Justizminister wollen Europol nach den Terroranschlägen auf die USA mit dem Aufbau eines europaweiten Ermittlungsdienstes betrauen sowie den Datenaustausch zwischen nationalen Sicherheitsbehörden über die Den Haager Einrichtung verbessern. Europol-Direktor Jürgen Storbeck hatte diese Befugnisse seit Jahren angemahnt - und ist jetzt trotzdem nicht auf sie vorbereitet.

Wie so viele andere Ermittlungsbehörden und Geheimdienste haben die islamistischen Terrorattacken auf New York und Washington auch Europol vollkommen unvorbereitet getroffen. "Wir haben ein Krisenzentrum eingerichtet und uns um die Weiterleitung von Informationen gekümmert", erläuterte der deutsche Chef der in Den Haag angesiedelten Behörde vergangene Woche dem Europa-Ausschuss des Bundestags. Doch zunächst blieb dem europäischen Polizeiamt nichts anderes übrig, gab Storbeck zu, als aus "offenen Quellen" zu schöpfen: "Fernsehen, Radio und Presse waren einfach schneller." Erst langsam kämen inzwischen immer mehr "harte Informationen" aus nationalen Polizeiämtern rein. 50 Prozent davon stammen aus dem Bundeskriminalamt (BKA), dem der Europol-Direktor einmal angehörte.

Die Geschichte ist typisch für die Probleme Europols. Vor zwei Jahren hat die Behörde - ausgerüstet mit einer im Europol-Abkommen festgelegten Lizenz zum umfangreichen Datensammeln (Vgl. Computer - Daten - Macht) - offiziell ihre Arbeit aufgenommen. Doch seitdem kämpft das Polizeiamt um Anerkennung durch die nationalen Ermittlungsbehörden. Die sollen laut Plan Europol zuarbeiten und mit Daten versorgen, auf denen basierend die Den Haager Strategen ihre viel gepriesenen Lagebilder aufbauen wollen. Die Eurocops selbst dürfen bisher weder Wohnungen durchsuchen noch Telefone abhören oder Verdächtige verhaften. Europol soll vielmehr als "Service-Zentrale" fungieren, die mit Hilfe ihrer Verbindungsbeamten den Überblick behält und vermittelt.

Doch der Informationsfluss von außen ist nach wie vor äußerst spärlich, kaum eine Polizeibehörde der Mitgliedsstaaten außer dem BKA will mit Europol kooperieren. "Wir brauchen eine stärkere Akzeptanz bei den Polizeibehörden", weiß Storbeck. Eine Zentralstelle habe es ungeheuer schwer, akzeptiert zu werden. Selbst in den Niederlanden, wo die räumliche Nähe zumindest noch gegeben ist, ist das Misstrauen groß gegen das ungewohnte Gebilde auf eigenem Grund und Boden. So haben die holländische Polizei und der holländische Nachrichtendienst im Sommer Europol vorgeworfen, ineffektiv zu arbeiten und das Budget in Höhe von 35 Millionen Euro mehr oder weniger zu verplempern (Noch mehr Probleme für Europol). Auch der aufgedeckte Betrugsskandal in der Den Haager Behörde hat das Vertrauen in Europol nicht gerade gestärkt (Europol im Bermuda-Dreieck).

Das politische Tempo hält Europol in Atem

Den Beschlüssen der europäischen Justiz- und Innenminister zufolge soll Storbeck im Nachklang der Ereignisse in den USA nun aber endgültig der Rücken gestärkt werden. Europols Weg zu einer Behörde mit eigenen Ermittlungsbefugnissen und ausgeweiteten Einsatzmöglichkeiten vor Ort liegen kaum noch Steine im Wege. Am wenigsten hat damit anscheinend der in den letzten Jahren wenig hofierte Europol-Direktor selbst gerechnet. Dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Art kleines Euro-FBI nun derart "schnell und unbürokratisch geschaffen werden", ist für Storbeck jedenfalls eine neue Erfahrung. "Das politische Tempo hält uns in Atem", gab er im Berliner Europaausschuss zu. "Wir kommen mit der Umsetzung kaum nach."

Mit dem Segen von oben will Storbeck nun zunächst ein "gemeinsames Ermittlungskonzept" mit den EU-Mitgliedsländern sowie eine "Risiko- und Bedrohungsanalyse" durchführen. Die Koordination der vielen nationalen Ermittlungen, die teilweise lokal ohne Kontakt mit einer übergeordneten Behörde laufen, will der Europol-Chef übernehmen. Auch die Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten soll möglich sein, wünscht sich Storbeck, der "mittelfristig auch Ermittlungsmaßnahmen initiieren" möchte. Dazu will er im Rahmen einer Task-Force eigene Leute in die Mitgliedsstaaten entsenden, um dort besser nach dem Rechten sehen zu können.

Euro, Terror und Cybercrime bringen mehr Befugnisse

Den eigentlichen "Durchbruch" erhofft sich Storbeck allerdings weniger über die Terrorismus-Bekämpfung als vielmehr über den Euro. Da könne man schnell eine allgemeine Strafbarkeit schaffen und es gebe ein europäisches, nicht mehr nur nationales Strafverfolgungsinteresse. Potenziell sieht der langjährige Kriminalbeamte aber auch "die Störung von Systemen, Hackertätigkeiten oder Betrügereien" in die Zuständigkeit von Europol fallen. "Das ist von der Europarats-Konvention gegen Cybercrime so vorgesehen". Zunächst müssten die speziellen Formen der Computerkriminalität aber erst überall in den Mitgliedsstaaten strafbar gestellt und in einem zweiten Schritt Europol die Instrumente für den Informationsaustausch zwischen einzelnen Staaten in die Hände gegeben werden.

Trotz der ambitionierten Pläne musste sich Storbeck im Europaausschuss von einem PDS-Abgeordneten die Frage gefallen lassen, welchen "Mehrwert" seine Behörde nun eigentlich mit sich bringe. "Was wäre, wenn es Europol nicht gäbe?" Den Bedarf erläuterte der ehemalige BKA-Beamte daraufhin mit dem Verweis auf die Sprachprobleme zwischen nationalen Ermittlungsstellen. Die will Storbeck mit dem neuen Computersystem Europolis lösen, dank dem Anfragen und Recherchen in Zukunft übersetzt werden sollen. Starttermin ist Anfang 2002. Mitte nächsten Jahres soll es in sechs Sprachen arbeiten und 2003 in allen Sprachen der EU-Staaten - falls nicht ähnliche Schwierigkeiten drohen wie beim Inpol-neu-System des BKA (Vgl. Inpol-Neu gescheitert?).

Überwachung der Überwacher noch schwach ausgeprägt

Inhaltlich ist Europolis als System gedacht, in dem harte Daten - also keine Verdachtsmomente - über beispielsweise die Festnahme eines Täters mit 100 Kilogramm Kokain gespeichert werden sollen. Storbeck denkt dabei an Informationen über Straftäter, kriminelle Organisationen, Modi Operandi, über Unternehmen und Adressen, die in Ermittlungen eine Rolle spielen. Sie sollen von den Mitgliedsstaaten nach nationalem Recht in den Europa-Computer eingespeist werden, um von dort dann im Bedarf von anderen Staaten abgefragt zu werden.

Angesichts dieser neuen Datenverarbeitungsmöglichkeiten und den im Raum stehenden Ermittlungsbefugnissen für Europol stellt sich natürlich erneut die Frage nach einer effektiveren Kontrolle der Behörde, die Datenschützer seit Jahren einfordern. Mit dem Aufbau einer begleitenden europäischen Staatsanwaltschaft, die mit dem Namen Eurojust bereits in Planung ist, dürfte es dabei nicht getan sein.

Einer zu starken Überwachung der Überwacher steht Storbeck allerdings skeptisch gegenüber. Es wäre "unerträglich", sagte er in Berlin, "wenn wir die Datenschutzbelange von 32 Datenschützern berücksichtigen müssten." Einer stärkeren Kontrolle durch das Europaparlament stehe er aber offen gegenüber. Doch das hat bislang kaum etwas zu sagen in der Europäischen Union - und daran wollen die um ihre eigene Macht besorgten nationalen Parlamente und Regierungen auch wenig ändern.