Evolution in Hochgeschwindigkeit

Der Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis) gilt hierzulande als invasive Art. Bild: Pbech/CC0

Invasive Arten, Globalisierung und ökologische "Fremdenfeindlichkeit"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit der Globalisierung und den schnellen Verkehrsmitteln ist die Natur auch nicht mehr das, was sie vielleicht einmal war, sondern beginnt sich schnell zu verändern, weil hier wie im Cyberspace die Grenzen fallen. Meere, Berge oder Wüsten sind keine Barrieren mehr, um den Verkehr der Organismen zu blockieren. Es ist eine Zeit der Wanderströme angebrochen, die sich ebenso wenig stoppen lassen wie die der Migrationsströme der Menschen. Und angesichts der möglichen tiefgreifenden Veränderungen, die das Eindringen und Sich-Ausbreiten fremder Arten mit sich bringt, gleichen sich auch die Ängste derjenigen, die ökologische oder kulturelle Identitäten gegen die Veränderungen aufrecht erhalten wollen. "Fremdenfeindlichkeit" wird schließlich auch gerne biologistisch begründet.

Globalisierung ist bekanntlich nicht nur ein Phänomen, das sich im Bereich der Wirtschaft oder der Kultur abspielt und nur indirekt auch die Natur betrifft. Während über die globalen Kommunikationsnetze Daten, Informationen, Computerviren und Meme übertragen werden, findet über die Transportnetzwerke und die steigende Mobilität der Menschen auch ein reger Austausch von Organismen statt, die sich in bislang fremden Ökologien ansiedeln, sich manchmal sprunghaft vermehren, regionale Biosysteme radikal verändern und auch zum Verschwinden bislang heimischer Arten beitragen.

Auf der einen Seite sind es die direkten Eingriffe der Menschen, die die Natur verändern oder auch zerstören, auf der anderen Seite tritt als Nebeneffekt des weltweiten Handels und Verkehrs immer stärker das Problem von eingeschleppten Arten auf, die sich rasant verbreiten und heimische Arten oft schneller vernichten, als dies durch die menschengemachten Veränderungen geschieht. Ob manche genveränderte Organismen möglicherweise ähnliche Eigenschaften wie invasive Arten zeigen können, wird man erst noch sehen müssen.

Als drohende Vision wird von manchen Warnern eine biologisch homogenere, jedenfalls weniger vielfältige Welt an die Wand gemalt. Manche sprechen gar von der nächsten großen Umweltkrise, von einem sich ausbreitenden Krebs, einer biologischen Umweltverschmutzung oder dem nächsten Massenaussterben. Allerdings gilt die Bezeichnung nur gegenüber eingeführten Arten, die sich unerwünscht und unkontrolliert ausbreiten, während die meisten Nutzpflanzen, die schließlich auch den Lebensraum anderer Arten mit der Hilfe des Menschen erobert haben, in aller Regel nicht dort angebaut werden, wo sie herstammen.

Invasive Arten als Problem

Angeblich würden invasive Arten von Mikroorganismen über Pflanzen bis hin zu Tieren alleine in den USA jährlich einen Schaden von über 130 Milliarden Dollar verursachen. Das Problem ist natürlich auf Inseln wie Neuseeland oder Hawaii mit isolierten ökologischen Nischen am schlimmsten. Zu einem solchen Schaden würde beispielsweise die jüngste Bekämpfung des West-Nil-Virus, der zu den prominenten invasiven Mikroorganismen gehört, durch Pestizide in New York zählen - mitsamt den Folgewirkungen, die die Bekämpfung auf Menschen und die Umwelt ausübt. Der Virus wurde, so vermutet man, mit illegal geschmuggelten tropischen Vögeln über den Atlantik in die USA eingeführt. Stechmücken übertragen den Virus von den Vögeln auf heimische Vögel und schließlich auf Menschen.

Mittlerweile ist das Problem der invasiven Arten in den USA auf der höchsten politischen Ebene angekommen. In der von Präsident Clinton erlassenen Anweisung vom 3. Februar 1999 werden alle Behörden aufgefordert, sich des Themas zuzuwenden, die Einführung neuer fremder Arten zu unterbinden und sie zu bekämpfen und zu überwachen, wenn sie bereits eingedrungen sind. Geschaffen wurde zur Koordination ein Invasive Species Council, das vor einigen Tagen die Arbeit aufgenommen hat. Seltsam allerdings mag es erscheinen, dass gerade in den USA, einem klassischen Einwandererland, derart massiv gegen aus dem Ausland eingeführte Arten vorgegangen werden soll, während man gegenüber den gentechnische veränderten Organismen offenbar wenig Bedenken hat. Aber vielleicht spielt hier auch die Geschichte einen Streich, da die ursprüngliche Bevölkerung in Nordamerika weitgehend von der "invasiven Art" der weißen Europäer verdrängt wurde.

Allgemein nimmt man an, dass invasive Arten, die die einheimischen Pflanzen und Tiere verdrängen und zu einer weltweiten Homogenisierung der Arten führen könnten, sich vor allem deswegen so schnell ausbreiten und reproduzieren, weil ihnen die "natürlichen Feinde" in ihrer neuen Heimat fehlen. Wissenschaftler konnten jedoch auch beobachten, dass ihr Vorteil auch in der bislang für unwahrscheinlich angenommenen Geschwindigkeit ihrer evolutionären Anpassung an die neue Umgebung liegen könnte.

Fremde Arten als Schädlinge

In der Biologie spricht man dabei noch ganz konservativ von invasiven, exotischen, nicht-heimischen oder fremden Arten, deren Veränderung oder Zerstörung von regionalen ökologischen Systemen derzeit immer größere Bedeutung erlangt und natürlich auch in der Diskussion um genmanipulierte Organismen eine große Rolle spielt. Ausgangspunkt dabei ist die stillschweigende Annahme, dass ökologische Systeme stabil sowie mehr oder weniger geschlossen sind und Immigranten eher eine Bedrohung darstellen. Obgleich nur die wenigsten "fremden" Organismen, die bewusst oder zufällig in ein Ökosystem eingeführt wurden, negative Folgen entstehen lassen, geht man davon aus, dass dies bei einer von sieben fremden Arten der Fall sei.

Invasive Arten werden gerne direkt als "Schädlinge" definiert, die in der Landwirtschaft, im Gesundheitswesen oder für die heimische Ökologie zu hohen Kosten führen können. 8 bis 47 Prozent aller Pflanzenarten und 68 Prozent aller "Unkrautarten" in den USA gelten inzwischen als invasive Arten. So geht man davon aus, dass die amerikanische Wirtschaft jährlich Verluste von vielen Milliarden Dollar durch invasive Arten erleidet. Sie werden daher in der von Präsident Clinton erlassenen Anweisung auch umstandslos als "fremde Arten" definiert, die nicht zu den Ökosystemen der USA gehören, wobei ihre "Einführung Schäden für die Wirtschaft, die Umwelt oder die Gesundheit verursacht oder wahrscheinlich hervorruft."

Außer Acht gelassen wird dabei unter den vorwiegend ökonomischen Perspektiven, dass die Landwirtschaft selbst vor allem auf eingeführten Nutzpflanzen basiert und selbst in weitaus erheblicherem Maße die Ökosysteme zerstört, während man in der Gentechnologie fleißig Organismen mit neuen Eigenschaften herstellt. Immerhin hat die EPA, die Umweltbehörde der USA, jetzt beschlossen, dass genveränderte Pflanzen von einem Saum an natürlichen Arten umgeben werden müssen, allerdings weniger, um die Ausbreitung von diesen zu verhindern, sondern weil dadurch die Anpassung der Schädlinge vereitelt werden soll.

"Biologische Verschmutzung"

Die Abwehr des biologisch Fremden oder die wachsende Angst vor diesem lässt sich durchaus mit gesellschaftlichen Vorbehalten gegenüber "Fremden" vergleichen, die sich einer regionalen Kultur nicht assimilieren, sondern durch ihre Anwesenheit verändern, was dann bekanntlich auch zu grausamen "ethnischen Säuberungen" führen kann. Die Stabilität von Ökosystemen ist freilich nur sehr relativ, denn Migrationen und Invasionen gab es auch immer in der natürlichen Welt - und man glaubt seit der bereits im letzten Jahrhundert aufgekommenen Theorie der Panspermie auch, dass Mikroorganismen in der Lage gewesen sein könnten, etwa durch Meteore von einem Planeten zum anderen zu springen oder dass die Erde gar vom Weltraum aus "befruchtet" worden ist. Konservativ gesehen ist die durch Einwanderer verursachte Veränderung eines Ökosystems eine Katastrophe oder Zerstörung, aus "fortschrittlicher" Sicht jedoch eine kreative Veränderung, die zu neuen Systemen führt.

Bislang ging man in der Forschung davon aus, dass biologische Einwanderer, die etwa durch Aktivitäten des Menschen in neue ökologische Systeme gelangen, sich vor allem deswegen dort manchmal explosionsartig verbreiten können, weil ihre natürlichen Feinde fehlen, die sie in einer Art des biologischen Wettrüstens normalerweise in Schach halten. So heißt es in dem Bericht Invasive Pflanzen des Defense Environmental Network & Information eXchange (DENIX), dass sie normalerweise in eine Umgebung eingeführt werden, in der ihre Evolution nicht stattgefunden hat, weswegen "es normalerweise keine natürlichen Feinde gibt, die ihre Reproduktion und Ausbreitung begrenzenGanz entsprechend ist dies natürlich auch bei Krankheitserregern, gegen die sich noch keine Immunabwehr aufbauen konnte und die in der Geschichte der Menschheit immer wieder wie bei der "Schwarzen Pest" im Europa des ausgehenden Mittelalters oder bei der Eroberung von Amerika zu verheerenden Seuchen geführt haben. Aus diesem Grund wird auch befürchtet, dass das Sammeln von Proben auf anderen Planeten oder auf Kometen oder im kosmischen Staub und deren Rückführung zur Erde ähnliche Gefahren mit sich bringen könnte.

Gefürchtet wird durch die Aufhebung der territorialen Isolation auf globaler Ebene, die eine Artenvielfalt erzeugt und garantiert hatte, eine Homogenierung der Pflanzen- und Tierwelt - ähnliche Ängste gehen auch von der Globalisierung auf der kulturellen Ebene aus, man könnte sich fragen, wer in diesen Vorstellungen die "Invasoren" sind und welche Rolle sie spielen. "Biologische Verschmutzung", so der Bericht, habe wahrscheinlich auf die Biota der Welt größere Auswirkungen als die Folgen der globalen Erwärmung.

Schnelle Evolution

Zumindest der Glaube, einzig das Fehlen natürlicher Feinde lasse fremde Arten besonders schnell sich reproduzieren und verbreiten, könnte durch eine Untersuchung revidiert werden. Fallbeispiel der Biologen von der University of Washington ist allerdings die sowieso wegen ihrer schnellen Reproduktionsrate geschätzte Taufliegenart namens Drosophila subobscura, die ursprünglich in Europa und Nordafrika lebt und 1978 erstmals in einer chilenischen Hafenstadt entdeckt wurde. Seitdem breitet sie sich mit großer Geschwindigkeit entlang der Küste und über die Anden hinweg bis nach Argentinien aus. Seit 1990 findet man sie auch an der Westküste Nordamerikas, wo sie sich ebenso rasant ausbreitet und die heimische Art Drosophila pseudo-abscura bereits in vielen Regionen verdrängt hat. Weil beide Populationen nahezu identisch sind, nimmt man an, dass sie mit einem Schiff eingewandert sind, das in Chile und in Nordamerika gewesen ist.

Die europäischen Invasoren haben eine seltsame Eigenschaft. Je höher der Breitengrad ihres Lebensraums ist, desto größer sind auch die Taufliegen, was sich beispielsweise an ihren Flügeln zeigt. Eine Überprüfung der eingewanderten Taufliegen in Nordamerika zeigte ein ganz ähnliches Muster der Veränderung, allerdings mit einem auffälligen Unterschied. Die Biologen haben Fliegen aus Nordamerika und aus Europa gesammelt und sie über einige Generationen gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt, um dadurch Umwelteinflüsse weitgehend auszuschließen und genetisch bedingte Eigenschaften feststellen zu können. Die Flügelgrößen bei den Taufliegen aus beiden Erdteilen nahmen, abhängig von ihren Fundorten, zu, wenn sie aus Gebieten in höheren Breitengraden stammten, doch wuchsen bei ihnen unterschiedliche Teile des Flügels, was auf eine evolutionäre Veränderung innerhalb von nur 20 Jahren hinweist.

Bislang habe man nur einmal eine schnellere Evolution bei Galapagos-Finken entdecken können, die 1978 nach einer Dürre zu größeren Schnäbeln geführt hatte. Das allerdings geschah auf isolierten Inseln, während die eingewanderten Taufliegen mittlerweile in riesigen Gebieten leben: "Die Evolution hat sich nicht nur lokal, sondern auf einer kontinentalen Ebene ereignet." Raymond Huey, Mitautor der Studie, sieht in dieser schnellen Evolution die Gefahr, dass sie sich nicht nur schnell neuen Bedingungen anpassen, sondern dadurch auch eine schnelle Veränderung des Ökosystems, in das sie eingedrungen sind, bewirken können. So könnten Versuche, Schädlinge biologisch zu bekämpfen, die immer populärer werden, in vielen Fällen zu negativen Folgen führen:

"Die Menschen führen auf der ganzen Erde Pflanzen und Tiere ein, und in vielen Fällen haben diese Einführungen katastrophale Folgen für die einheimischen Arten. Die Dynamik der Invasionen wird noch viel komplizierter, wenn sich die Invasoren schnell evolutionär weiterentwickeln. Es ist sehr wahrscheinlich, dass eingeführte invasive Arten sich evolutionär verändern, und die Wissenschaftler haben normalerweise nicht beachtet, wie schnell die Evolution bei invasiven Arten erfolgen kann. Das bedeutet wahrscheinlich auch, dass die einheimischen Arten sich ebenfalls in Reaktion auf die eingeführten Arten verändern."

Der europäische Eindringling habe die einheimische Taufliegenart in manchen Regionen bereits weitgehend verdrängt.

Schutz der regionalen Ökologien?

Unerwünschte Invasoren wieder zu verdrängen, ist meist eine vergebliche Arbeit, die höchstens auf kleinen überschaubaren Inseln gelingt. Gerade soll versucht werden, auf der kleinen Insel Ramsey an der britischen Pembrokeshire-Küste, die der Royal Society for the Protection of Birds untersteht, die wahrscheinlich vor 200 Jahren eingewanderten Ratten zu eliminieren. Um die bedrohten Vogelarten zu schützen, deren Eier von den Ratten gefressen werden, legt man auf der ganzen Insel Gift aus. Die Kaninchen in Australien hingegen, die sich nach ihrer Einführung dort explosiv vermehrt hatten, wurden hingegen mit einem Virus bekämpft. Nachdem sie gegen die Viren Immunität entwickelt haben, scheint die biologische Strategie versagt zu haben. Vor 50 Jahren wurden auf der südafrikanischen Marion-Insel Katzen eingeführt, um die Mäuse auf der Wetterstation zu bekämpfen, aber die hatten dann größeren Gefallen an Seevögeln entwickelt. 16 Jäger mussten fünf Sommer lang die kleine Insel durchkämmen, um die Katzen zu eliminieren.

Daher werden die Vorschriften der Staaten gegen die Einführung fremder Arten immer strenger, wahrscheinlich aber nur eine relative erfolglose Strategie, die sowieso schon vielfach "globalisierte" regionale Ökologie zu schützen, in die jetzt zudem mehr und mehr gentechnisch veränderte invasive Arten eindringen könnten. Auch wenn man, an sich erfreulicherweise, die Schäden, die die menschliche Produktion der Ökologie zufügt, biologisch zumindest reduzieren will, weiß niemand, was allein durch das massenhafte Aussetzen gentechnisch veränderter Bakterien an neuen Veränderungen ausgelöst werden könnte. So schön es also ist, Gene etwa des für Menschen harmlosen Bakteriums Escheria in das Genom des ebenso harmlosen coli Überlebenskünstlers Deinococcus radiodurans einzubauen, ein Bakterium, der hohe radioaktive Strahlung aushalten kann, um das in radioaktivem Abfall anfallende giftige Quecksilber Hg(II) in das weniger giftige Hg umzuwandeln, so können solche biologischen Verfahren nicht garantieren, weniger harmlos als andere Eingriffe zu sein und ebenso unvorhergesehen "Nebeneffekte" haben zu können wie jede andere Technik auch.

Wie man es also dreht und wendet, der Mensch muss, gewissermaßen als invasive Art, die Erde in seinen Garten verwandeln, in dem es vielleicht auch noch ein paar Stellen der Wildnis geben mag, wenn man sie unter strenge Quarantäne stellt. Die "Wildnis" der Evolution aber kann vermutlich diesem Garten, der auch bis auf die Ebene der Mikroorganismen, die im Boden leben, homogener wird und eine geringere Artenvielfalt aufweist, nicht ausgetrieben werden. Die "Aliens" bleiben unter uns - und sie werden uns und die Welt um uns herum verändern.

Fragen kann man natürlich auch, ob Roboter wie die Aibos auch eine Form von neuartigen invasiven Arten sind. Noch klappt es ja nicht mit der schnellen Reproduktion, aber das mag sich auch noch ändern ...