FDP-Versicherungspflege

"Das ist gegen jede ökonomische Vernunft" - Sozialverbände kritisieren "Pflege-Bahr"

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Gestern war Geschenktag im Kabinett Merkel. Die CSU brachte das Betreuungsgeld durch und die FDP die Förderung privater Pflegezusatzversicherungen. Wer hier einen Tauschhandel sieht, liegt vermutlich nicht falsch. Beide Gesetzesvorhaben sind umstritten und hatten Parteiräson nötig, um sich gegen vernünftige Einwände durchzusetzen. Gewinner des von der FDP initiierten Gesetzesvorhabens "Pflege-Bahr" sind auf jeden Fall die Versicherungen, die sich über die Aussicht neuer Abschlüsse freuen. Aus Sicht der Allgemeinheit spricht einiges dafür, dass durch das Parteiengeschacher Steuergelder verschwendet werden.

Der Aufwand für die staatliche Förderung der privaten Pflegezusatzversicherungen wird von Gesundheitsminister Daniel Bahr mit rund 100 Millionen Euro angegeben, mit dem Zusatz, dass dies keine Obergrenze bedeute: Wenn eintritt, was sich die Versicherungen wünschen - dass eine sehr große Anzahl von Verträgen abgeschlossen wird -, dann falle die Summe höher aus.

Daniel Bahr. Bild: Raimond Spekking. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Monatlich bezuschusst der Staat, jeden, der eine private Zusatzversicherung mit einem Mindestmonatsbeitrag von 10 Euro abschließt, mit 5 Euro. Im Versicherungsfall soll ein Tagespflegegeld von monatlich mindestens 600 Euro für die Pflegestufe III ausbezahlt werden, wird berichtet. Und weiter: "Die Versicherungen dürfen keine Gesundheitsprüfung verlangen. Die Verträge müssen mindestens fünf Jahre laufen, bevor es zu einer Auszahlung kommen kann."

Aus Kreisen, die mit der Praxis der Pflegeversicherungen vertraut sind, ist zu hören, dass der Punkt "Gesundheitsprüfung" nicht so festgeschrieben sein muss, wie dies im Sinne der Versicherten sein sollte. Fragen zum Gesundheitszustand würden nämlich in der Praxis schon gestellt und dass die Versicherungen hier nach ihrem Vorteil entscheiden, liegt nahe.

Viel von dem Geld, das der Staat für das Modell Pflege-Bahr berappt, dürfte für Verwaltungskosten bezahlt werden. Anderseits sind die 5 Euro, die beim Versicherungsnehmer pro Monat ankommen, "keine Entlastung", kritisiert die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Ulrike Mascher:

Für eine ausreichende Versorgung liegen die Tarife derzeit - je nach Geschlecht und Alter - zwischen 40 und 80 Euro im Monat.

Dem stimmt auch die Expertin der Stiftung Warentest zu. Laut Sabine Baierl-Johna müsse bei Versicherungsmodellen, die alle Pflegestufen umfassten, mit Einstiegstarifen um die 50 Euro gerechnet werden.

Für die jüngeren Versicherungsnehmer sind die Policen allerdings günstiger. Gut möglich, dass Bahr die jüngere Klientel seiner Lobbyisten im Visier hat. So lässt sich der 5-Euro-Monatszuschuss weniger als tatsächliche Unterstützung begreifen, sondern vielmehr als Anreiz, um in die private Versicherung einzusteigen. In diesem Sinn wird Bahr auch von der FAZ zitiert:

Bahr sprach davon, die Einigung sei der Einstieg in eine kapitalgedeckte Säule der Pflegefinanzierung, und sagte, schon kleine Fördersummen gäben oft den Impuls, eine solche Versicherung abzuschließen.

Dass für die Pflegeversicherung auf den Versicherungskapitalmarkt gesetzt wird, ist bei den bekannten Turbulenzen auf den Kapitalmärkten allerdings erstaunlich risikobereit.

Angesichts der Situation an den Finanzmärkten ist es völlig unverständlich, wie man wieder auf Kapitaldeckung zur Finanzierung eines allgemeinen Lebensrisikos setzen kann. Das ist gegen jede ökonomische Vernunft.

Ulrike Mascher

Besser wäre es, schlägt Mascher vor, wenn der gesetzliche Pflegeversicherungsbeitrag "moderat" angehoben würde, das solidarische Prinzip sei die geeignetere Lösung, um gute Pflege zu finanzieren. Zumal beim Modell, das auf private Zusatzverssicherung setzt, die Geringverdiener deutlich benachteiligt sind: "Um die Versorgungslücken von bis über 2000 Euro in Pflegestufe III wirklich zu schließen, müssten Pflegetagegeldversicherungen abgeschlossen werden, deren Beiträge für Geringverdiener unerreichbar hoch sind."

Die Lücke werden die Kommunen über Sozialhilfe schließen, so die Prognose des Vorsitzenden des Paritätischen Gesamtsverbands, Rolf Rosenbrock.