FIFA: die Fraktale Korruption

Über einen unreformierbaren Verein

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Mit der Wiederwahl von Joseph Blatter als Chef der FIFA hat der finanzstärkste "Verein" der Welt beurkundet, dass business as usual die Devise im Weltfußball ist. Zu viel Geld steht auf dem Spiel: In den Jahren 2011 bis 2014 fuhr die FIFA einen Umsatz von 5,7 Milliarden Dollar ein, wovon 70% auf den Verkauf der Fernseherechte für die WM in Brasilien entfallen.

Den mehr als 200 Delegierten aus den sechs Fußballföderationen war die Anklage von amerikanischen Justizministerium gegen mehrere ehemalige FIFA-Vizepräsidenten bzw. Föderationschefs, sowie gegen weitere 19 "co-conspirators" wegen Betrug, Bestechung, Vorteilsnahme und Geldwäsche nicht eindrucksvoll genug (vgl. FIFA indictment).

Wie Jack Warner, früherer Chef der CONCACAF, Vizepräsident der FIFA von 1997 bis 2011 und einer der Hauptangeklagten, einmal an seine Verbündete schrieb: "Wenn ihr fromm seid, gründet eine Kirche, Freunde. Unser Geschäft ist unser Geschäft." So reitet Sepp Blatter weiterhin als Chef der FIFA durch die Welt und verspricht, wie schon seit Jahren, die Korruption des Fußballverbandes zu beenden.

Die Anklage des US-Justizministeriums gegen die FIFA bestätigt nur das, was jeder, der nur ein bisschen Zeitung liest, schon immer weiß: Die Fernseh- und Vermarktungsrechte, die Haupteinnahmequelle der FIFA, werden seit Jahrzehnten gegen Bestechungsgelder vergeben. Dubiöse Firmen werden in Steuerparadiesen gegründet, oft mit direkter Beteiligung von Verwandten der Fußballfunktionäre, und dienen nur als Vermittler zwischen FIFA und die Fernsehanstalten bzw. Sponsoren.

Die Bestechungsgelder sind so ansehnlich und gebräuchlich, dass man Tabellen braucht, um sie einigermaßen überblicken zu können. Tabelle 1 aus der Anklage von Justizministerium zeigt, dass für die Vermarktungsrechte für vier Ausgaben von "Copa America" (die Lateinamerikanische Fußballmeisterschaft) 352,5 Millionen Dollar und dazu 110 Millionen an Bestechungsgelder bezahlt wurden, d.h. etwa ein Viertel des gesamten "Preises" besteht aus Bestechungen. Auf ein Geschäft, bei dem aus jedem Dollar 25 Cent in die eigene Tasche gesteckt werden können, mag keiner freiwillig verzichten. Das erklärt wohl die Mentalität der Anhänger von Blatter.

Vertragsunterzeichnung Gastgeberland Vertragssumme (Millionen USD) Bestechungsgeld (Millionen USD)
2015 Chile 75 20
2016 USA 112 30
2019 Brasilien 80 20
2023 Ecuador 85 20
Insgesamt 352 110

Die FIFA als Verein

Das Grundübel bei der FIFA ist die Fiktion, sie sei ein Verband, vergleichbar einem Karnevals- oder Gesangsverein. Deswegen operiert die FIFA in der Schweiz steuerfrei, da sie "Völker verbindet". Eine Weltmeisterschaft wird nur an Länder vergeben, die Steuerfreiheit im Voraus garantieren - so geschehen 2006 in Deutschland.

Die FIFA besteht aus sechs Konföderationen, die weitgehend eigenständig operieren. Die ganze Welt wird zwischen sechs Verbänden (Abb. 1) aufgeteilt:

Nordamerika und Karibik CONCACAF 41 Mitglieder
Südamerika CONMEBOL 10 Mitglieder
Europa UEFA 54 Mitglieder
Afrika CAF 56 Mitglieder
Asien AFC 47 Mitglieder
Ozeanien OFC 14 Mitglieder

Während die FIFA das große Geld aus den Weltmeisterschaften verwaltet, kümmern sich die Konföderationen um ihre Regionalturniere. Es ist eine Pyramide der Fußballereignisse und Fernsehrechte. Bei der jetzigen Anklage des US-Justizministeriums wurde der Fokus teilweise auf Lateinamerika gerichtet, da einer der Verschwörer, Chuck Blazer, als Kronzeuge der Anklage dient. Sein Wissen und seine Kontakte haben es dem Justizministerium ermöglicht, die Kette der Bestechungen in der Karibik und in Südamerika detailliert nachzuvollziehen. Es ist kein Wunder, dass die FIFA selbst und einige Föderationen in "Steuerparadiesen" angesiedelt sind. Auch die UEFA ist in der Schweiz registriert; die CONCACAF in der Bahamas.

Abb. 1: Die Aufteilung der Welt laut FIFA. Bild: Magnus Manske. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Jede FIFA-Föderation ist ein eigenes Imperium, bei der die Fußballfunktionäre sich selbst bedienen können. Die FIFA-Korruption endet nicht in Zürich - es handelt sich um eine fraktale Korruption, die sich auf allen Ebenen widerspiegelt und selbst regeneriert. Auf Stimmenjagd hat Joao Havelange, der frühere achtzigjährige FIFA-Boss, den Geldhahn in Richtung der schwächeren Föderationen geöffnet. Durch die Einrichtung von "Entwicklungsprojekten" sind zwischen 2011 und 2014 mehr als eine Milliarde Dollar nach Asien und Afrika geflossen. Deswegen stehen die Stimmen der jeweiligen Verbände dem momentanen FIFA-Chef immer treu zur Verfügung, egal, wie viel die UEFA zappeln mag.

Jedes Land hat eine Stimme bei der FIFA und so wiegt die Stimme Deutschlands so viel wie die Stimme von American Samoa mit 55.000 Einwohnern, d.h. weniger Personen, als das Westfalenstadion fassen kann. Wenn deswegen FIFA-Reformer die Macht anstreben, fällt ihnen nichts Besseres ein, als Geschenke für die Verbände zu versprechen, wie im Fall von Luis Figo, der eine Weltmeisterschaft mit 48 Ländern sowie 250% mehr Geld für Entwicklungsprojekte im Fall seiner Wahl in Aussicht stellte.

Fußball ist Big Business

Die Fiktion von Fußball als dem Betätigungsfeld von Vereinen überlebt noch in Deutschland wegen der sogenannten "50+1 Regel". Demnach darf keine Einzelperson oder Firma mehr als 50% der Stimmen eines Fußballclubs kontrollieren. Seit je her gehört die Mitgliederversammlung zum Ritual des Fußballs in Deutschland, bei der sich die Anhänger von Hertha oder Bayern einmal im Jahr gegen die Funktionäre austoben dürfen. Fußballklubs sind wie kleine Bananrepubliken mit lokalen Fürsten, die oft aus der Politik stammen. Andere Länder haben längst die Vereinsfiktion abgeschafft, so dass russische Millionäre oder Scheichs ihrem Fußballhobby frönen dürfen. Der Milliardär Carlos Slim hat kürzlich einen Verein in Spanien gekauft. Fußball ist heute das ultimative Testosteron-Hobby für Krösusse.

Fußball ist Big Business und kein Gesangsverein. Der europäische Fußball spielt alleine einen Umsatz von etwa 20 Mrd. Dollar im Jahr ein, wovon die Hälfte auf die fünf größten Ligas entfällt (England, Spanien, Deutschland, Frankreich, Italien). Die UEFA hat einen größeren Umsatz pro Jahr als die FIFA selbst. So gesehen könnte es den UEFA-Funktionären wohl egal sein, was mit der FIFA los ist - und manchmal hat man der Eindruck, das sei auch so. Es ist wahrscheinlich nicht abwegig zu schätzen, dass Europa die Hälfte des Weltumsatzes beim Fußball einbringt, so dass wir einen Gesamtmarkt von etwa 40 Milliarden Dollar im Jahr hätten. Das wären etwa 30% des weltweiten Sportmarktes im Jahr 20151 - eine Schätzung, die plausibel erscheint.

Allerdings ist der Wettmarkt noch größer als das Ereignis selbst: Um die 500 Milliarden Dollar sollen jedes Jahr in Fußballergebnisse verwettet werden! Von den 55.000 Fußballspielen, die jedes Jahr bei Wetten beobachten werden, sind laut BBC 500 im voraus "disponiert" worden. Die weltgrößten Wettspieler sind die Australier, die pro Kopf jedes Jahr in Wetten 1.288 Dollar einsetzen. Spanier, Griechen und Italiener gehören auch zu den "top ten" der Welt bei Wetteinsätzen pro Kopf. Das meiste davon entfällt auf Fußball. Es ist deswegen nicht erstaunlich, dass in Spanien drei bis vier Tageszeitungen ausschließlich dem Sport gewidmet sind. Die tägliche Lektüre von "Marca" bzw. "Mundo Deportivo" ist für jeden Fußballfan in Spanien Pflicht.

Deshalb wurden nach Bekanntgabe der US-Anklage Stimmen aus Spanien und Italien laut, die Schiebung bei der Weltmeisterschaft 2002 vermuten. Der jetzt angeklagte Jack Warner ("Geschäft ist unser Geschäft") war für die Benennung der Schieds- und Linienrichter bei der WM in Korea/Japan zuständig. Ein Landsmann von Warner aus Trinidad und Tobago hat zusammen mit einem ägyptischen Schiedsrichter im Spiel Südkorea-Italien unzählige Fouls gegen die Italiener toleriert. Die Italiener haben schließlich eine rote Karte statt einen deutlichen Elfmeter erhalten. Im Gruppenspiel Spanien/Südkorea wurden den Spaniern zwei regelkonforme Tore annulliert. Südkorea kam bei der WM, wie bestellt, in Asien, der Hauptburg der globalen Wetteinsätze, weiter. Wenn man das Video des Spiels Italien-Südkorea von 2002 sieht, ist es offensichtlich, dass der Spiel gekauft wurde.

FIFA: der unreformierbare Verein

Solange die Fiktion von der FIFA als Verein aufrechterhalten wird, solange wird sie nicht den üblichen Steuer- und Umsatzkontrollen unterliegen. Solange Weltmeisterschaften nicht als das taxiert werden, was sie sind, als Großgeschäfte, so lange wird das Geld unkontrolliert fließen. Solange werden sich zur Wahl nur "Reformer" stellen, die dann schlimmer als der Vorgänger sind.

Sepp Blatter kam einst, um die FIFA von Joao Havelange zu befreien, der sich und seine Verwandtschaft skandalös bereichert hatte. Im Jahr 2011 kandidierte gegen Blatter der Chef der Asiatischen Föderation, Prinz Mohammed bin Hammam von Qatar. Er versprach ein Transparenzkommittee bei der FIFA. Zur selben Zeit kaufte er allerdings Stimmen der Verbandsmitglieder gegen Bares. Als dies aufflog, stellte er seine Kandidatur ein.

Noch ein Beispiel: Als bei der CONCACAF Jack Warner aufgelöst wurde, kam als neuer Chef Jeffrey Webb, der jetzt zusammen mit Warner beschuldigt wird. Die Anklage des US-Justizministeriums stellt trocken fest, wie unreformierbar die FIFA geworden ist:

The corruption of the enterprise became endemic. Certain defendants and co-conspirators rose to power, unlawfully amassed significant personal fortunes by defrauding the organizations they were chosen to serve, and were exposed and then either expelled from those organizations or forced to resign. Other defendants and co-conspirators came to power in the wake of scandal, promising reform. Rather than repair the harm done to the sport and its institutions, however, these defendants and co-conspirators quickly engaged in the same unlawful practices that had enriched their predecessors.

Zumindest waren die Betrüger "demokratisch" beim Betrug: Warner verkaufte seine Stimme für die WM 2010 sowohl an Marokko als auch an Südafrika, das letztendlich den Zuschlag erhielt (und 10 Millionen Dollar an die Verschwörer zahlte).

Einer, der im Januar rechtzeitig das Weite gesucht hat, ist Fußballlegende Günter Netzer:

Die Wanda-Gruppe übernimmt den Sportrechtevermarkter Infront. Günter Netzer ist dort Geschäftsführer, Sepp Blatters Neffe CEO. Die Schweizer sollen chinesische Bewerbungen für Sport-Großereignisse "aktiv unterstützen".

Wir wissen, was bei der FIFA "aktiv unterstützen" heißt.