Fall Tim Hunt: "Spaß beiseite"?

Neue Informationen verstärken die Auffassung, wonach die Kündigung des Nobelpreisträgers aufgrund eines Twitter-Shitstorms zu eilfertig war

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ironie hat es schwer in einer Informationskultur, in der die Toleranz gegenüber Ambiguität in dem Maße sinkt, wie die Begeisterung für linientreue und feste Überzeugungen steigt. Das hat der britische Nobelpreisträger Tim Hunt (2001, in "Physiologie oder Medizin") Anfang Juni erfahren.

An seinem Witz über "Frauen im Labor" , mit dem er ein Statement bei einer Konferenz von Wissenschaftsjournalisten auflockern wollte, baute sich via Twitter ein Entrüstungsturm auf, in dessen Folge Hunt in kürzester Zeit zum Rücktritt von seinen Posten an einer Londoner Universität und von seiner Tätigkeit beim Europäischen Forschungsrat gedrängt wurde (Londoner Universität beugt sich dem Shitstorm). Auch die Royal Society ging auf Abstand zu ihm. Sein Ruf war binnen weniger Tage ruiniert.

Angefacht wurde die Entrüstung, die sich in der internationalen Öffentlichkeit verbreitete, durch einen über Twitter verbreitetenAusschnitt aus Hunts Statement bei einem Luncheon der World Conference of Science Journalists. Hunt sollte etwas zum Thema "Rolle und Bedeutung der Frauen in der Wissenschaft" sagen. Zum Skandal wurde einmal folgende Bemerkung Hunts:

Lassen Sie mich von meinen Schwierigkeiten mit Mädchen erzählen…drei Dinge passieren, wenn sie in einem Labor zugegen sind…Sie verlieben sich in sie, und auch sie verlieben sich und wenn Sie sie kritisieren, weinen sie.

Zum anderen wurden Aussagen Hunts überliefert, wonach er sich selbst als "Chauvinist" bezeichnete und sich für getrennte Labors aussprach. Zusammen mit Berichten zur Person Hunts, die dazu auftauchten , ergab dies ziemlich passgenau das Narrativ eines sexistischen Männertypus, der Frauen am Arbeitsplatz von oben herab behandelt und einschüchtert.

Daran konnten auch dem widersprechende Äußerungen seiner Frau, einer angesehenen Wissenschaftlerin, von Kollegen und anderen Wissenschaftlerinnen nichts oder nur wenig ändern. Klar, sind sie doch durch ihre Verbundenheit mit dem Mann und ihrer Sympathie befangen.

Aber wie unbefangen ist die Journalistin, die die Welt via Twitter über die Äußerungen Hunts informierte und damit den Shitstorm in Gang setzte?

Die Frage stellt sich neu, da mittlerweile ein "Gesprächsprotokoll" kursiert, das Neues zum Kontext der Huntschen Bemerkung beisteuert. Nach Informationen der britischen Times soll Hunt seine Bemerkung, die er während eines "Toasts" machte, mit einer "ironischen Einführung" eingeleitet haben.

Sinngemäß: Er werde seiner Zuhörerschaft zuerst vor Augen führen, was für ein "chauvinistisches Monster" er sei. Dann sagte er den Satz mit den "weinenden Mädchen", fügte dem erneut hinzu, dass dies ironisch gemeint sei und fuhr fort mit "jetzt im Ernst", worauf ein Statement folgte, in dem er, so der Bericht der britischen Daily Mail "enthusiastisch" über die "wichtige Rolle, die Frauen in der Wissenschaft spielen", sprach.

"Spaß beseite", heißt es in einem deutschen Kommentar dazu. Die Richtigkeit dieses Protokolls dürfe bezweifelt werden. Zudem bleibe die Anklage:

Zum anderen - und das ist der wichtigere Aspekt - ist es für den Kern der Sache völlig unerheblich, ob Hunts Äußerungen witzig sein sollten oder nicht, denn sie bleiben Ausdruck von Sexismus.

Als Kronzeugin wird mehrmals die britische Dozentin für Wissenschaftsjournalismus Connie St Louis angeführt, die die öffentliche Debatte über ihre Twittermitteilung angestoßen hatte.

Recherchen der britischen Daily Mail ergaben, dass sich in der beruflichen Selbstdarstellung der Journalistin mehrere Übertreibungen - ihre Engagements bei renommierten Medien betreffend - finden, die - gelinde gesagt - nicht unbedingt das Bild einer seriösen, immer auf sachliche Darstellung bedachten Quelle ergeben.

So dürfen auch ihre Aussagen zur Sache Hunt bezweifelt werden; ähnlich wie bei der Eigendarstellung beim CV genügt auch das Setzen einiger Lichtpunkte beim Porträt einer anderen Person, um einen bestimmten Blick auf die Person zu verstärken. Intrigen arbeiten genau so.

Dass sich die Universität trotz der mehrfachen Entschuldigung Hunts von der Entrüstungswelle dazu gezwungen sah, den Mann möglichst schnell zu entfernen, geht zuletzt auf Aussagen einer Journalistin zurück, die sich als sehr imageorientiert herausstellt. Spaß beiseite, das ist bitter.