"Falschmeldungen und wirre Spekulationen"

Die FPÖ macht im Kontext der Spitzelaffäre deutlich, was sie von Pressefreiheit und Rechtsstaat hält

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Die sogenannte Spitzelaffäre in Österreich ist seit der vergangenen Woche in ein neues Stadium getreten. Die Ermittlungen der Sonderkommission des Innenministeriums haben Verdachtsmomente erhärtet und zu Suspendierungen von Polizeibeamten geführt. Die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von zunächst 3, dann 2 weiteren FPÖ-Landespolitikern wurde beantragt. Die Ermittlungen rücken immer näher heran an den engsten Kreis um den einstigen Parteichef und Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider. Haider und seine Parteifreunde versuchen seither mit wilden Rundumschlägen die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Diese Taktik des Gegenangriffs, welche die FPÖ in der Vergangenheit aus schlimmen Krisen gerettet hat, sieht jedoch immer mehr nach einer Verzweiflungshandlung aus. Mit ihren Verbalattacken gegen Justiz, Medien und zuletzt sogar die Austria Presse Agentur zeigt die Haider-Partei, was sie von demokratischen Grundwerten hält.

Die Rundumschläge der Freiheitlichen Parteispitzen begannen mit einer typischen Haider-Aussage. Bei einer Pressekonferenz in Kärnten sagte er, die ganze Affäre sei nur in den "kranken Gehirnen" von Journalisten entstanden. Seine Gefolgsleute beeilten sich nachzulegen: "Tot- und Vernichtungsschreiber" nannte ein FPÖ-Landespolitiker FPÖ-kritische Journalisten. Als "erlogen und erstunken" bezeichneten andere Beschuldigte die Medienberichte. In den Augen der FPÖ sind solide wirtschaftsfreundliche Blätter wie der Standard oder Profil scheinbar jene "Zeitgeistmagazine" und "linksextremen Blätter", von denen sie dauernd reden.

Doch nachdem die Ermittlungen der Sonderkommission des Innenministeriums dazu führten, dass 11 der FPÖ nahestehende Polizeibeamte vom Dienst suspendiert und die Aufhebung der parlamentarischen Immunität mehrerer FPÖ-Landespolitiker beantragt wurde, begann sich die Schussrichtung der FPÖ zu ändern. Der Innenminister, die Sonderkommission und sogar die Staatsanwaltschaft gerieten in die Schusslinie.

Von "kranken Gehirnen" zu "Judas"

"Rote Günstlinge im Innenministerium" würden hinter "Kriminalisierungsversuchen in Richtung FPÖ" stehen und dabei Ermittlungsmethoden, "ärger als bei der Gestapo" benutzen (Zitate verschiedener FPÖ-Spitzen). Haider sah sich von einem "Machtkampf des Systems" bedroht und fragte, "auf Grund welchen Wissensstandes" Innenminister Ernst Strasser überhaupt eine Sonderkommission in der Spitzelaffäre eingesetzt habe. Dem Innenminister wurde vorgeworfen, "auf dem linken Auge blind" zu sein. Deshalb forderte die FPÖ die Einrichtung einer zweiten Sonderkommission, die gegen die "höchsten roten Beamten" in Wien ermitteln sollte. Nachdem der Innenminister das ablehnte, geriet er selbst ins Kreuzfeuer.

Strasser agiere wie ein "Judas", meinte der Kärntner FPÖ-Chef Jörg Freunschlag. Die Ermittlungsmethoden gegen FPÖ-Politiker bezeichnete er als "unwürdige Menschenhatz". Der Salzburger FPÖ-Chef Karl Schnell, gegen den ebenfalls ermittelt wird, forderte die Ablöse des Generaldirektors für öffentliche Sicherheit Erik Buxbaum, sonst sei Innenminister Strasser "fällig".

Haider selbst hielt sich zwar mit Rücktrittsforderungen gegenüber Strasser bislang noch zurück, dafür will er das gesamte "Rechtssystem reformieren". Dieses ist ihm wohl deshalb nicht recht, weil dessen Ermittlungen gegen FPÖ-Spitzen schnelle Fortschritte machen und bereits Konsequenzen zeigen. Haiders Pech: Es mag zwar möglich oder sogar wahrscheinlich sein, dass gelegentlich auch Polizeiinformationen zu sozialistischen Politikern flossen, doch die Verdachtsmomente erhärten sich, dass nur die FPÖ ein regelrechtes Spitzelnetz unterhalten und langjährig und systematisch polizeiliches Insiderwissen für politische Zwecke missbraucht hätte. Mit dem Verweis auf frühere Skandale möchte die FPÖ den Eindruck erwecken, dass das ganze System korrupt sei. Berichterstattung und Ermittlungen über mögliche Straftaten der FPÖ werden somit als "einseitig" abgekanzelt und der Eindruck erweckt, man könne der Justiz nicht vertrauen.

Der Innenminister behält aber vorerst die Nerven und lässt die Beamten weiter ermitteln. Deren Erhebungen weiteten sich auf Kärnten und Salzburg aus, wo weitere Suspendierungen von Polizeibeamten kurz bevorstehen dürften. Auch gegen weitere Landespolitiker wie den oben zitierten Karl Schnell wurden inzwischen Auslieferungsbegehren gestellt. Die von der FPÖ wohl als "linksextrem" betrachtete Wiener Stadtzeitung "Der Falter" veröffentlichte in ihrer jüngsten Ausgabe und auch im Netz die Akten des Wiener Landesgerichtes, der Wirtschaftspolizei und die Einvernahmeprotokolle Josef Kleindiensts, der mit einer Buchveröffentlichung die Affäre ins Rollen gebracht hatte, erstmals im Wortlaut, so dass sich jeder selbst ein Bild machen kann.

Attacke auf die APA

Da sich Sonderkommission und Staatsanwaltschaft von den Einschüchterungsversuchen der FPÖ-Spitze nicht beeindrucken lassen, richtet diese ihre Attacken erneut gegen die Medien. Jörg Haider hatte bereits angekündigt "Ordnung in die Redaktionsstuben" zu bringen. Der Freiheitliche Pressedienst (FPD) wurde nun offenbar in diesem Sinne aktiv. Unter der Überschrift "Agenturjournalist betätigt sich als FPÖ-Diffamierer" griff der FPD einen Journalisten der Austria Presse Agentur (APA) an. Eine Pressemeldung der APA wird als "Falschmeldung" und "wirre Spekulation" bezeichnet. Die APA würde "Lügen in Umlauf" bringen. Im Schlussabsatz wird die APA aufgefordert, "diesen Schwachsinn eines außer Rand und Band geratenen journalistischen Träumers richtig zu stellen".

Die Ausfälle gegen die APA, die heilige Kuh des österreichischen Journalismus, haben nun massive Proteste des gesamten journalistischen Establishments nach sich gezogen. In einer sechs Punkte umfassenden Erklärung weist der Redaktionsbeirat der APA, "alle in der genannten Aussendung enthaltenen Angriffe und Verdächtigungen in Inhalt und Ton schärfstens zurück". In Punkt 5 stellt die APA klar:

"Wer Medien oder einzelne Journalisten attackiert und in rüder Form beleidigt, kann an einer offenen und demokratischen Debatte nicht interessiert sein. Die Freiheit der Presse ist eines der höchsten Güter der Demokratie. Einschüchterungsversuche fallen auf deren Urheber zurück."

Die FPÖ hat ihre demokratische Ungenießbarkeit hinlänglich bewiesen. Seitdem sie in der Regierung sitzt, identifiziert sie sich scheinbar mit der Rechtssprechung und ist bereit das Vertrauen in die Justiz zu unterminieren, wenn sie ihr nicht willfährig ist. Es wird durch die jüngsten Vorgänge immer deutlicher, dass die FPÖ nicht einfach eine "normale" rechtspopulistische Partei ist, sondern eine, die für sich Sonderrechte jenseits der geltenden Rechtsordnung in Anspruch nimmt. Dazu passt, dass es Teil ihrer Politik ist, alle Gegner wegen Ehrenbeleidigung (Majestätsbeleidigung?!) zu verklagen. Der Österreichische Richterverband hat diese Praxis bereits vor Ausbruch der Spitzelaffäre kritisiert, mit der die Justiz zum Instrument der Politik gemacht werden solle.

Umso unverständlicher wird das Schweigen des ÖVP-Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel, der scheinbar so sehr an der Macht hängt, dass ihn die Ausfälle seines Koalitionspartners gegen Justiz und Presse auch nicht weiter zu stören scheinen. Sollte sich die Affäre aber so weiter entwickeln wie bisher, könnte der üble Geruch auch an ihm hängenbleiben.