Farbenspiele, Blogs und Negative Campaigning

Über den Onlinewahlkampf zur Bundestagswahl - Teil II: Das Campaigning der Parteien

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Während kurz nach der Wahlankündigung einige Fachleute noch davon ausgingen, dass der Wahlkampf im Internet 2005 keinen besonders großen Stellenwert bekommen werde, sieht die Realität nun anders aus. Vor allem die beiden großen Parteien haben sich intelligenter und umfangreicher im e-Campaigning positioniert als 2002. Doch auch die kleineren Parteien sind im Spiel.

Die Frühstarter unter den bundesdeutschen Parteien waren die Grünen. Mit ihrem Wiki zur Digitalen Gesellschaft (Schneller, intensiver Wahlkampf) starteten die Grünen früh in den Internetwahlkampf. Dass nicht alle der von den Nutzern entworfenen Punkten im Wahlprogramm der Grünen ankamen, kann angesichts der Pionierleistung vielleicht als zweitrangig bezeichnet werden. Ende Juli gingen die Grünen mit einer frisch redesignten Website für den Bundestagswahlkampf unter gruene.de an den Start. Begleitet wird der Auftritt von der Aktionswebsite gruene-aktion.de. Erst vor wenigen Tagen ging eine neue Idee der Grünen an den Start: Das gesamte neunköpfige Spitzenteam, von Spitzenkandidat Fischer bis zum Parlamentarischen Geschäftsführer Volker Beck, bloggt bis zur Bundestagswahl unter blog.gruene.de.

Die CDU relaunchte Anfang August ihre Website cdu.de, die seitdem um immer mehr Unterwebseiten wie der Website des teAM Zukunft ergänzt wurde. Die beiden großgeschriebenen Buchstaben sollen die Initialen der Spitzenkandidatin Angela Merkel darstellen. Wiederbelebt wurde erwartungsgemäß das Informationsangebot wahlfakten.de, ein Rapid-Response-System das in vergangenen Wahlkämpfen bereits erprobt wurde. Hier werden zeitnah Aussagen des politischen Gegners mit wohlselektierten Fakten und Meinungen unabhängiger Dritter gegenübergestellt. Insbesondere parallel zu Fernsehauftritten wird das Angebot intensiv bestückt. Zielgruppe sind hier in erster Linie Vertreter der Presse, in zweiter Linie das Wahlvolk.

CDU setzt nicht auf Blogs...

Nicht so engagiert zeigt sich die CDU im Bereich der Blogs. Die Unionspolitiker, die selbst von dem Tool begeistert sind, betreiben es unabhängig von der Parteizentrale, so zum Beispiel der Oberhausener Olav Gutting, CDU-Abgeordneter für den baden-württembergischen Wahlkreis Bruchsal-Schwetzingen. "Ich mach hier meinen Wahlkampf vor Ort und die CDU-Zentrale muss ihren machen." so Gutting, und weiter: "Ich hab kein Problem damit, dass die das nicht machen und die haben auch nichts dagegen, dass ich das mache." Aber klar für ihn ist, dass das Bloggen ein modernes Tool ist: "Als junger Abgeordneter lege ich natürlich Wert darauf, mit der Zeit zu gehen."

Für Negative Campaigning ist bei der Union ausreichend Platz: die Website leere-versprechen.de (eigentliche Domain www.informationen-zur-spd-von.cdu.de/) soll den politischen Gegner diskreditieren. Grundsätzlich führt die Union jedoch einen verhaltenen Onlinewahlkampf - ganz nach dem alten Motto ihres früheren Generalsekretärs Laurenz Meyer: "Ich glaube, ohne Internet kann man in Zukunft keine Wahl mehr gewinnen. Allerdings gewinnt man Wahlen nicht allein wegen Internet." Den internen Einsatz des Internet als Tool für die eigenen Mitglieder und Wahlkämpfer treibt die CDU genauso wie die meisten anderen Parteien stark voran.

Die Sozialdemokratische Partei ging wenige Tage vor der CDU mit ihrer neuen Website an den Start. So wie die Christdemokraten auf ihre neue Imagefarbe Orange setzen, das seit der Hamburger Bürgerschaftswahl 2004 im Einsatz ist, hat die SPD ihre neuen Auftritte in die umstrittene schlammige Farbe Umbra gefärbt. Setzte die älteste deutsche Partei 2002 in ihrer Anti-Stoiber-Kampagne noch auf die Adresse nicht-regierungsfaehig.de, so ist zur Wahl 2005 mit die-falsche-wahl.de ein neues, komplett auf Schwarz-Gelb abgestelltes Negative-Campaigning-Angebot eingerichtet worden. Hier werden Union und FDP, Angela Merkel und Guido Westerwelle frontal angegangen.

Freiwillige Unterstützer der Sozialdemokraten sollen mit dem Angebot rote-wahlmannschaft.de angesprochen werden. Typisch ist, dass sich der Wahlkampf öffnet: In der roten Wahlmannschaft ist Parteimitgliedschaft genausowenig Pflicht wie bei den Jungen Teams, die sich allerdings trotzdem zum großen Teil aus der organisierten Parteijugend rekrutieren.

...die SPD hingegen um so mehr

Natürlich wird auch der politische Gegner beobachtet: "Die CDU ist spät aus den Startlöchern gekommen und wirkt nicht besonders ambitioniert", sagt Sebastian Reichel über den Onlinewahlkampf des politischen Gegners. Insgesamt fünf SPD-eigene Mitarbeiter zuzüglich der Mitarbeiter der beauftragten Agentur face2net kümmern sich im Willy-Brandt-Haus um den Onlinewahlkampf der Sozialdemokraten. Die SPD-Onlinekampagne setzt dabei nicht nur auf die Profis, sondern stark auf Sympathisanten.

Insbesondere die Blogosphäre hat es den Sozialdemokraten angetan. Gleich zwei Gruppierungen kümmern sich um die Verbreitung der Parteilinie im Internet: "Wenn Sie jetzt die Blogs nehmen, haben sie die Rückeroberung des Internets durch den Nutzer", sagt Sebastian Reichel. Was für ihn wichtig ist: "Es geht darum, eine breite Blogszene zu schaffen." In Zeiten, in denen der "Bild, BamS und Glotze"-Kanzler medial nicht immer so wohlgelitten scheint, eine sicherlich Erfolg versprechendere Strategie.

Ein nicht direkt von der Partei organisiertes Angebot ist das vielbeachtete wirkaempfen.de, das kurz nach der Neuwahlankündigung online ging. Die Initiative verschiedener bekannter Bundespolitiker wird organisatorisch unterstützt vom so genannten Netzwerk Berlin, einer Gruppierung junger und eher Schröders "neuer Mitte" zuzuordnender SPD-Politiker. Hier wird nicht nur eine Unterstützerkampagne mit Unterschriftenliste und ähnlichem versucht. Hier organisiert sich Partei ein Stück weit selbst.

Als die SPD-Zentrale ihren Kandidaten und Mitgliedern noch keine Wahlkampfmaterialien zur Verfügung stellte, bot die Initiative wirkaempfen.de bereits Argumentationskarten und Ideen für den Wahlkampf an. Und war damit laut Jürgen Neumeyer, Geschäftsführer des Netzwerk Berlin, extrem erfolgreich. Als Grassroot-Campaigning ist das Angebot zwar nicht zu bezeichnen. Doch die spontane Initiative mehrerer Abgeordneter und Parteifunktionäre zeigt, dass die klassische Kommunikation aus den Parteizentralen heraus nicht unbedingt das einzige Mittel in Wahlkampfzeiten bleiben muss.

Bislang zurückhaltend ist der Auftritt der Liberalen: 2002 im "Spaßwahlkampf", der der FDP viel Kritik einbrachte, setzte die Partei stark auf das Internet. Zur Unterstützung des "Projekt 18" wurde unter anderem die Site guidomobil.de betrieben - die jetzt nur noch auf die FDP-Bundesverbands-Website hinweist. Diese wiederum wurde ebenfalls komplett umgestaltet und dem Wahlkampf angepasst: Wenige Informationen werden gezielt an prominenter Stelle präsentiert, eine Gemeinsamkeit aller Parteiportale. In Wahlkampfzeiten wird die Komplexitätsreduktion offensichtlich weiter verstärkt und gerade im WWW weiterbetrieben.

Weniger bekannt als das Grünen-Wiki zum Wahlprogramm war die Möglichkeit, bei der FDP über das "Deutschlandprogramm" mitzudiskutieren. Unter der entsprechenden Domain deutschlandprogramm.de konnten die Abschnitte der Liberalen Programmatik diskutiert und Verbesserungsvorschläge eingebracht werden. Das forenbasierte System der Liberalen war nicht so offen wie ein Wiki, doch genau wie bei den Grünen stand auch hier am Ende die Umarbeitung durch Parteikader in die "redaktionelle Endfassung".

Linkspartei: Arbeit mit Netz ist fremd

Die Linkspartei kämpfte lange Zeit mit der eigenen Namensfindung. So war der zwischenzeitlich angestrebte Name "Demokratische Linke" als Domainname vergeben, später entschied man sich für "Die Linke.PDS" und leitet seither Anfragen auf linkspartei.de direkt auf die PDS-Plattform sozialisten.de um. Die Partei ist derartigen Kummer gewohnt: Schon in den 1990ern kam sie zu spät, so dass sie die Domain pds.de nicht bekam.

Einige der PDS-Politiker bloggen, so zum Beispiel Petra Pau Und auch ein Angebot zum Mitbloggen ist im Portfolio der PDS. Fast schon typisch für den Netzwahlkampf der PDS, den die Agentur DIG Plus managt: Beide Spitzenkandidaten der Linkspartei haben keine Homepage.

Interaktivität in engen Grenzen

Ein klarer Trend im e-Campaigning 2005: Interaktivität wird großgeschrieben, aber nur in engem Rahmen. "Es werden nur wenige interaktive Elemente eingesetzt, es ist relativ wenig verknüpft mit dem Offlinebereich. Gerade wenn man es mit der Howard Dean-Kampagne vergleicht, zeigt sich, dass es noch viel zu wenig ineinander greift", sagt Eva Schweitzer, die über Onlinewahlkampf an der Universität Mainz promoviert.

Ob Die Rote Box oder Grüne Aktion, bei Grünen und SPD gibt es die Möglichkeit, sich öffentlich zur jeweiligen Parteilinie zu bekennen. Und auch die Union versucht ähnliches mit dem teAM Zukunft. Doch insgesamt hat die CDU ihr Onlineengagement gegenüber 2002 deutlich umstrukturiert. Es gibt weniger Angebote mit eher lockerem Zugang zur Politik, das sogenannte Politainment fällt bislang eher gering aus. Die Union führt auch online einen Wahlkampf aus der Position, in der sie gar nicht ist - den einer Regierungspartei. Die SPD kann wenig verlieren, sie ist auch im Netz klar in der Angreiferrolle. Die Rollen sind verteilt - wie sie ausgefüllt werden, bleibt weiterhin spannend. FDP und Grüne laufen sich langsam warm, doch bislang ist der wirklich zündende Funke noch ausgeblieben.

Teil III der Serie wird sich mit dem Onlinewahlkampf einzelner Politiker beschäftigen.