Feinde zu Freunden gemacht

Der Aachener Friedenspreis ehrt israelische und deutsche Friedensaktivisten

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Die israelischen Friedensaktivisten Reuven Moskovitz und Nabila Espanioly sind für den Aachener Friedenspreis "Hoffnungsträger" (vgl "Hoffnungsträger" für den "Frieden zwischen Juden und Palästinensern") für den "Frieden zwischen Juden und Palästinensern", die Initiative Ordensleute für den Frieden (IOF) Menschen, die mit ihrem "beständigen Engagement" Zeichen setzen gegen das "menschenverachtende, kapitalistische Wirtschaftssystem der reichen Staaten". Beide wurden am Montag wegen ihres jahrelangen Engagements geehrt. Eine Reportage.

Reuven Moskovitz ist viel unterwegs, er hält Vorträge, schreibt Bücher. Der 74-jährige Holocaust-Überlebende ist quasi ein rastloser Handlungsreisender, seine Ware: die Utopie von Völkerverständigung und Frieden. "Die Vorstellung, dass das verfolgteste Volk in der Geschichte ein anderes Volk verfolgt und dass in meinem Staat Menschen mitregieren, die offen rassistische Vorstellungen aussprechen - das lässt mir keine Ruhe", begründete er seinen Enthusiasmus im Gespräch. Seine Mitstreiterin, die Palästinenserin mit israelischem Pass, Nabila Espanioly, sagt, ein wirklicher Friede in ihrer Heimat wäre für sie die einzige Belohnung für ihr Engagement.

Seit 15 Jahren ehrt nun der Aachener Friedenspreis e.V. Menschen oder Gruppen, die von "unten her" zur Völkerverständigung beitragen. Der Nahost-Konflikt wirkte sich bislang drei Mal auf die Auswahl der Preisträger aus. 1991 wurden die von Espanioly mit gegründeten "Woman in Black" aus Haifa geehrt, 1997 die israelische Gruppe "Gush Shalom" um Uri Avnery. Die IOF sind die sechste christliche Initiative oder Einzelperson, die geehrt wird, darunter Reverend Lucius Walker von den Pastors for Peace aus den USA. Dem Verein geht es indes weniger darum, die Geehrten mit einem sehr bescheidenen Preisgeld - je 2.000 Euro - zu unterstützen, ihm geht es mehr darum, ihnen und ihrem Anliegen Öffentlichkeit zu verschaffen.

Es ist der Morgen am Tag der Preisverleihung, und ebenso, wie dies traditionell der Antikriegstag, der 1. September ist, beginnt alles mit einer Medienkonferenz. Sie ist mäßig besucht, wie schon im letzten Jahr (vgl. Unbeugsame an der Heimatfront), wo das Medienecho sehr gering war - anders als in den Vorjahren und schon gar kein Vergleich zu dem Medienrummel um die im Jahr 2000 geehrte "Aktion Noteingang" (vgl. Was hat der Anstand der Aufständischen gebracht?), die sich jäh dabei als Aushängeschild des "Aufstands der Anständigen" wieder finden musste. Liegt es daran, dass in Kriegszeiten ein Friedenspreis, und gerade einer "von unten", verunsichert?

Gerhard Diefenbach, Friedenspreis-Vorsitzender, sagt gegenüber den rund zehn Medienvertretern, man sei sehr besorgt über die "Zuspitzung von Hass und Gewalt" zwischen Juden und Palästinensern. Dies habe die Auswahl der diesjährigen internationalen Preisträger beeinflusst. Der nationale Preisträger, die IOF, prangten indes auch die "innere soziale Ungerechtigkeit" an. Ihre Ehrung verstehe sich durchaus als Kritik an "einem Wirtschaftssystem", das "über Leichen geht", wie sich Bruder Markus Fuhrmann, Franziskaner aus Köln, ausdrückt. Der 32-Jährige sagt ebenso: "Krieg braucht Kapital, aber Kapital braucht auch Krieg!" Und er schildert, wie er als eher unpolitischer, angepasster und schüchterner Theologiestudent merkte, wie die Gesellschaft mit Menschen an ihren Rändern umspringt. Ihn bewegte das, sich der IOF zuzuwenden. Unterdessen protestierte er auch schon gegen die Amtskirche, denn diese könne "nicht Gott dienen, und zugleich dem Mammon".

Nachmittags, gemeinsamer Empfang mit vielen früheren Preisträgern und Unterstützern bei Oberbürgermeister Jürgen Linden (SPD) - im historischen Rathaus, in dessen Krönungssaal alljährlich der Aachener Karlspreis verliehen wird. Der Friedenspreis ist sozusagen seit 1988 dessen Gegenstück, dennoch ist der Empfang gute Sitte.

Später folgt die traditionelle Antikriegdemonstration durch die Innenstadt - indes ohne Linden, denn höherrangige Sozialdemokraten führen wohl nur Friedensmärsche an, wenn die Antikriegshaltung von der Bundesregierung vorgegeben ist. Heute führen den rund 200 Menschen starken Protestzug zum Ort der Preisverleihung, der Aula Carolina, die Friedenspreisträger an. Sie, dabei der einst schüchterne Bruder Markus und dessen 59-jährige Mitstreiterin, die unscheinbar wirkende Schwester Angela Kruppa, wiegen sich gut gelaunt im Takt zur vorausmarschierenden Sambatruppe. Sage noch einer, Protest könne keinen Spaß machen.

"Die Beharrlichkeit, mit der sie bei ihrem Engagement bleiben, trotz des Sisyphos-Charakters ihrer Bemühungen, trotz der scheinbaren Vergeblichkeit", all dies ehrt laut Andreas Zumach die Preisträger. Der Journalist aus Genf hebt während des Festaktes in seiner Laudatio zudem hervor, im "schwierigsten aller regionalen Konflikte dieser Erde" würden Moskovitz und Espanioly stellvertretend "als Botschafter und Vertreter all der Heldinnen und Helden" Israels, "die ihre Feinde zu Freunden gemacht haben" ausgezeichnet. Die IOF zeichne unter anderem aus, so Zumach, dass sie sich nicht scheuten, ihre Mahnwachen und Blockadeaktionen "direkt am Ort des Unheils" abzuhalten.

Es folgt, unter großem Jubel und Standing ovations der 600 Gäste, die Preisverleihung. Die Stimmung ist überschwänglich, fast ausgelassen - und ein Kontrast zum staatstragenden Festakt des Karlspreises. Moskovitz wird überdies im Verlauf der zweieinhalbstündigen Feier mehrmals spontan mit Mundharmonika und Geige zur Freude des Publikums das musikalische Begleitprogramm unterstützen.

Doch Moskovitz kann auch anders. Ihre kämpferischen Dankesreden nutzen er und Espanioly, um harsche Kritik an der Militärpolitik Israels zu äußern. Espanioly erinnert indes daran, dass "die Stimme der Vernunft" auch bei den Palästinensern "gestärkt werden" müsse. Auch die 48-Jährige - sichtlich bewegt ob der Ehrung und den Tränen nahe - und der 74-Jährige Israeli - er weicht ständig von seinem Manuskript ab, erzählt lieber Anekdoten - betonen, sie sähen sich nur als stellvertretende Preisträger "für viele Menschen und Gruppen in Israel", die sich für Frieden einsetzten. Moskovitz ist Mitbegründer zahlreicher Friedensinitiativen in Israel und Deutschland. Espanioly lebt in Nazareth und gründete verschiedene jüdisch-arabische Frauen- und Friedensinitiativen. Sie engagiert sich in der Frauen- und Familienpolitik und gründete Hilfseinrichtungen in den besetzten Gebieten.

Die Traumatisierung in der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft sind inzwischen unermesslich hoch und gefährlich. So wird zum Beispiel die real existierende Angst der Menschen in Israel vor Anschlägen von der Regierung für eine weitere Militarisierung missbraucht. Es muss einleuchten, dass ein Volk, das ein anderes Volk unterdrückt, niemals frei sein kann. Andererseits zeigt sich die Traumatisierung in der palästinensischen Bevölkerung wesentlich stärker. Bereits 70 Prozent der palästinensischen Kinder haben ein posttraumatisches Verhalten.

Die Psychologin Nabila Espanioly in ihrer Dankesrede

Stellvertretend für die IOF betont später Schwester Angela, Franziskanerin aus Zell bei Würzburg, man betrachte die Auszeichnung als Ermutigung, sich weiter gegen Krieg und Kapital zu engagieren. Nicht der Profit, so die Ordensschwester in ihrer Dankesrede, sondern der Mensch müsse wieder im Mittelpunkt stehen. Die IOF besteht aus katholischen und evangelischen Christen sowie Nichtchristen. Gegründet wurde sie vor 20 Jahren bei Protesten gegen den NATO-Doppelbeschluss, sie protestiert seitdem, sagt Bruder Markus, "gewaltfrei, aber störend" mit Friedenswallfahrten, Mahnwachen oder Blockaden vor Kasernen und Bank-Filialen. Da IOF-Vertreter sich weigern, die deswegen gegen sie verhängten Geldstrafen zu zahlen, saßen sie schon in Haft.

Dienstagmorgen, Mahnwache. Rund dreißig IOF-Vertreter, Mitglieder des Friedenspreis-Vereins und die internationalen Preisträger stehen vor dem Sitz der Deutschen Bank in Aachen. Es werden Flugblätter verteilt, Passanten in Gesprächen informiert. Schwester Klarissa Watermann sagt, zwar seien fast alle Banken Teil des Wirtschaftssystems, die Deutsche Bank sei aber das größte Geldinstitut in der Bundesrepublik. Daher habe die IOF sie 1990 als Symbol gewählt, ihren Protest auszudrücken. Die Dominikanerin leistet indes auch zivilen Ungehorsam. Sie ist Priorin eines Klosters im nordrhein-westfälischen Schwalmtal, wo die Polizei kürzlich ein Kirchenasyl räumte. Die Beamten mussten seinerzeit die betende Schwester Klarissa wegtragen.